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„Eine patriarchale Erzählung“? Warum junge Frauen die Klimabewegung vorantreiben

Fotos: Javad Parsa/NTB/dpa; David Young/dpa

Luisa Neubauer, Marinel Ubaldo, Oladosu Adenike– und natürlich Greta Thunberg. Warum sind es auf der ganzen Welt vornehmlich junge Frauen, die sich mit Protesten und Öffentlichkeitsarbeit für den Klimaschutz einsetzen?

Die bekanntesten und aktivsten Klimagruppen bestehen zu einem sehr großen Anteil aus jungen FLINTA*, also Frauen, Lesben, intergeschlechtlichen, nichtbinären, trans oder agender Personen: Das bekannteste Gesicht von Fridays for Future (FFF) in Deutschland ist die 26-jährige Luise Neubauer, eine weitere bekannte Sprecherin ist Clara Marisa Mayer, die 2001 geboren ist. Die Sprecherin der Letzten Generation, Carla Hinrichs, musste sich für die Protestaktionen ihrer Organisation schon vor Gericht verantworten. Und auch für das Klimabündnis Ende Gelände sprachen und sprechen vor allem junge Frauen: Dina Hamid, Sina Reisch und Nike Mahlhaus. Lakshmi Thevasagayam war als Pressesprecherin von „Lützerath lebt“ besonders sichtbar. Extinction Rebellion hatte in Deutschland einen männlichen Sprecher, der jedoch 2021 unter anderem von Annemarie Botzki abgelöst wurde.

Auch international hat die Klimabewegung ein weibliches Gesicht: Marinel Ubaldo ist eine der berühmtesten Aktivist:innen der Philippinen und Oladosu Adenike ist Initiatorin der Schulstreiks in Nigeria. Die schwedische Greta Thunberg hat bekanntlich 2018 mit ihrem Schulstreik die FFF-Bewegung ins Leben gerufen. Beim ersten weltweiten Klimastreik 2019 waren laut der Deutschen Presse-Agentur (dpa) 70 Prozent der Teilnehmer:innen weiblich.

Warum prägen junge Frauen diese Protestbewegungen wie nie zuvor? Die Gründe sind laut Expert:innen und den Aktivist:innen selbst vielfältig. Sie reichen von Verantwortungsbewusstsein, über dezentrale Organisationen und 100-prozentige Frauenquoten, bis hin zum „Greta-Effekt“.

Teilnahme an Klimabewegung: Sind Frauen einfach fürsorglicher?

Ein oft genannter Grund, warum vor allem Frauen in der Klimabewegung führend sind, lautet: Weiblich sozialisierte Menschen seien schlichtweg fürsorglicher, altruistischer und mitfühlender. Diese Behauptungen werden auch teils von der Wissenschaft gestützt: Frauen sorgen sich insgesamt mehr um die Umwelt und haben stärkere klimafreundliche Meinungen und Ansichten. Ein Bericht der Yale Universität von 2018 beschreibt, dass viele Forschende den Grund in der Sozialisation vermuten: Frauen hätten ein größeres Risikobewusstsein und tendenziell feministische Ansichten, die Gleichheit und soziale Gerechtigkeit unterstützen.

Dieser Ansatz ist jedoch nicht überall akzeptiert. „Dass Frauen mitfühlender sind und sich deshalb mehr für Umweltschutz interessieren, hört sich für mich wie eine patriarchale Erzählung an“, sagte zum Beispiel Luisa Neubauer gegenüber dem Vice-Magazin. Radikaler Klimaschutz würde stattdessen vor allem die Vorherrschaftsposition von Männern in Politik und Industrie in Frage stellen, sodass diese weniger gewillt seien, sich gegen den Status Quo und für mehr Klimaschutz einzusetzen, meint sie.

Führt mehr Klimaangst zu mehr Klimaaktivismus?

Einer Studie von Forschenden der Umweltpsychologie der Universität Koblenz-Landau hat gezeigt, dass die untersuchten Frauen insgesamt mehr Klimaangst zeigten als die männlichen Teilnehmer der Studie. Gemessen wurde das mithilfe der 2020 entwickelten Climate Anxiety Scale (CAS).

Doch führt stärkere Klimaangst zu mehr Umweltschutz? Oder vielmehr zu Verdrängung und einer Verhaltenslähmung – und somit zu weniger klimaschützenden Aktionen? Wissenschaftlich ist das noch nicht abschließend geklärt.

Mehr lesen: Wie geht man mit „Klimaangst“ um? Das sagt ein Psychologe

Einerseits würden Menschen mit stärkerer Klimaangst eher vermeiden, sich weiter über die Klimakrise zu informieren, wie unter anderem die Autor:innen der oben genannten Studie schreiben. Eine andere Studie aus dem Jahr 2021 unterscheidet unterschiedliche Emotionen, die durch den Klimawandel hervorgerufen werden. Sie ergab, dass „Öko-Wut“ – also Wut über die Klimakrise – im Gegensatz zu „Öko-Angst“ (also Klimaangst) und „Öko-Depression“ den größten Effekt darauf hat, ob Menschen sich im Klimaschutz engagieren. Andere Studien stellen fest, dass es sowohl lähmende als auch aktivierende Arten von Klimaangst gibt – die „practical anxiety“. Die Entwickler:innen der CAS fanden jedoch in ihren Studien heraus, dass Klimaangst keine Verhaltensänderungen in Kilma- oder Umweltschutz hervorruft – weder in die eine, noch die andere Richtung.

Verantwortung für Nahrung, Wasser und Energie liegt vielerorts noch bei den Frauen

Andere Wissenschaftler:innen weisen laut dem Bericht der Yale Universität darauf hin, dass der Geschlechterunterschied besonders bei spezifischen Umweltproblemen am größten sei. Dies könne beispielsweise lokale Probleme betreffen, die auch unmittelbar die Gesundheit gefährde.

Ein Beispiel illustriert Christiana Figueres, die ehemalige Chefin des UN-Klimasekretariats, 2013 in einem Gespräch mit Climate One: „50 Prozent aller Frauen kochen noch auf offenem Feuer: drei Steine, Feuer, darauf ein Topf“. Die Diplomatin gilt weithin als eine treibende Kraft hinter dem Pariser Klimaabkommen und spricht schon seit Langem öffentlich über die wichtige Rolle von Frauen in der Klimabewegung. So würden Frauen in vielen Teilen der Welt noch die Hauptverantwortung für Nahrung, Wasser- und Energieversorgung tragen – drei Aspekte, die laut Figueres direkt vom Klima beeinflusst werden. Weil sie dafür zuständig seien, für die Familie zu kochen, Feuerholz und Wasser zu holen, würden sie die Konsequenzen der Klimakrise oft zuerst zu spüren bekommen.

„Super akademisch, super weiß, super städtisch“: Diversität in der Klimabewegung?

Auch wo kaum jemand noch mit offenem Feuer kochen muss, sind junge Frauen an vorderster Front, aber nicht alle gleichermaßen. In den USA und in Deutschland zum Beispiel ist die Klimabewegung insgesamt sehr bildungsnah – und auch sonst nicht besonders divers.

Eine damalige Sprecherin von Ende Gelände gab 2019 schon gegenüber dem Spiegel zu, die Vereinigung sei insgesamt noch „super akademisch, super weiß, super städtisch“, doch man würde daran arbeiten. Den hohen Bildungsgrad in der Bewegung belegen auch die Zahlen: Über zwei Drittel der Erwachsenen, die etwa mit FFF protestieren, haben einen Hochschulabschluss, wie eine Befragung vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung (IPB) 2022 zeigt.

Der Greta-Effekt: Wie eine junge Schwedin die Welt inspiriert hat

Das wohl bekannteste Gesicht der weltweiten Klimaproteste ist Greta Thunberg. Als sie sich 2018 zum ersten Mal als Einzelperson vor das schwedische Parlament setzte und den Schulstreik fürs Klima ausrief, sorgte ihre Aktion für globale Aufmerksamkeit und hinterließ einen nachweislich bleibenden Eindruck bei vielen jungen Menschen. Wie die dpa berichtet, gaben 2018 etwa 40 Prozent der Teilnehmer:innen an den internationalen Protesten an, dass Greta sie beeinflusst habe; 2019 sank die Zahl auf ein Drittel. Insgesamt zeigen die Befragungen, dass die internationale Klimabewegung den „Greta-Effekt“ verliert.

Die Wissenschaftler:innen der TU Chemnitz, die diese Erhebungen angestellt hatten, sehen darin laut dpa jedoch keinen Grund zur Sorge. Im Gegenteil: Dies zeige, dass sich die Klimabewegung mittlerweile etabliert habe. „Der Trend ist nicht überraschend, weil im Vergleich mit März die Klimastreiks nun schon ein sehr bekanntes Phänomen sind und es viele lokale (junge weibliche) Führungspersonen bei Fridays for Future gibt, die außerhalb Schwedens die Mobilisierung befördern“, zitiert die dpa die Forscher:innen.

Davor standen jungen Frauen nicht viele politische oder aktivistische Figuren zur Verfügung, die ihnen ähnlich waren und sich als Vorbild angeboten hätten. Die Vermutung liegt nahe, dass sich junge weibliche Menschen besonders gut mit Greta identifizieren konnten, selbst aktiv wurden, und daraufhin weitere junge Frauen und Mädchen inspirierten.

Junge Frauen kommen vermehrt zu Wort

Frauen spielen in der Klimabewegung eine entscheidende Rolle. Trotzdem waren zu Beginn der Bewegung auf Pressefotos hauptsächlich männliche Protestierende zu sehen, erinnert sich Mahlhaus, damals bei Ende Gelände, gegenüber Spiegel. „Alles Typen“, sagt sie, und das könne für viele andere, die gerne mitmachen würden, auch abschreckend gewesen sein.

Mittlerweile hat sich das geändert: „Weiblicher Protest ist eine Erzählung, die gut funktioniert“, sagt Neubauer gegenüber Vice. Die „neuen Heldinnen“ würden heutzutage gerne gefeiert. Die Jugendkulturforscherin Beate Großegger erklärt weiter: Diese Protestbewegung sei weniger „Anti-Establishment“ als einige vorausgegangene, und würde stattdessen mit den Medien zusammenarbeiten.

Die Aktivist:innen selbst mussten dazu jedoch auch ihren Beitrag leisten. Wie Mahlhaus dem Spiegel erklärt, fand Ende Gelände bald heraus, dass die männlichen Redner in den Medien weit öfter zitiert wurden, als die weiblichen. Die Organisation entschied sich daraufhin für eine Frauenquote von 100 Prozent bei den Pressesprecherinnen. Denn Feminismus sei für sie gleichermaßen Weg zum Klimaschutz als auch ein eigenes Ziel.

„Streitigkeiten mit Männern, die uns die Welt erklären wollen, gibt es natürlich auch“

Ob Frauen nun wegen ihrer größeren Klimaangst, wegen ihrer Sozialisation zu gemeinwohlorientierten Personen, oder wegen des Greta-Effekts so aktiv in der Klimabewegung sind – der Wunsch an Teilhabe wurde wohl erst durch die dezentrale und basisdemokratische Organisation möglich. Fridays for Future organisiert sich beispielsweise vornehmlich in Regionalgruppen über verschiedene Messenger- und Chat-Gruppen.

Kathrin Henneberger, ehemalige Sprecherin von Ende Gelände, erklärt gegenüber Vice, dass Frauen die Prozesse dort von Anfang an geprägt hatten, und sie dort als Frau „weniger gegen das Übliche anrennen“ müsse. Jedoch: „Streitigkeiten mit Männern, die uns die Welt erklären wollen, gibt es natürlich auch.“

Laut den Aktivist:innen ist für die meisten Teilnehmer:innen selbstverständlich, Geschlechter gleich zu behandeln. „Die junge Generation, die sich hier gerade politisch artikuliert, ist eine emanzipierte Generation“, sagt Neubauer im Vice-Beitrag. Das führe dazu, dass sich die Organisationen bewusst seien, dass Männern in anderen Lebensbereichen oft mehr Verantwortung übergeben werde, und sie sich dadurch auch selbst mehr zutrauen würden.

„Mich über meine Selbstzweifel hinwegzusetzen, hätte nicht geklappt, wenn ich kein solidarisches Umfeld hätte, das mich bestärkt, statt auf mir rumzuhacken“, sagt Sina Reisch, eine weitere Sprecherin von Ende Gelände.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels haben wir geschrieben, dass einige Personen noch Sprecher:innen in Organisationen seien, obwohl sie das nicht mehr sind. Dies haben wir behoben und Dina Hamid als Pressesprecherin bei Ende Gelände ergänzt, sowie Lakshmi Thevasagayaml, die bei „Lützerath lebt“ sehr aktiv ist.

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