Menschen haben entweder XX- oder XY-Chromosomen und sind damit entweder Frauen oder Männer – so lautet oft die Annahme. Dass es auch andere Chromosomen-Kombinationen gibt, ist der Wissenschaft seit längerem bekannt. Eine neue Studie zeigt nun, dass diese deutlich häufiger auftreten als bisher angenommen.
Forschende fanden kürzlich heraus: Dass Männer über ein Extra-Chromosom verfügen, tritt häufiger ein als bislang angenommen. Statt eines XY-Chromosomenpaares weisen sie entweder die Kombination XXY oder XYY auf. Dies birgt gewisse Gesundheitsrisiken.
Disclaimer: Die Studie spricht von „männlichen“ Personen und bezeichnet damit Menschen, die aufgrund ihrer biologischen Geschlechtsmerkmale von den Forschenden als Männer klassifiziert werden. Wir geben die Studienergebnisse wieder und führen die darin verwendeten Bezeichnungen fort. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass sich die betroffenen Menschen nicht zwingend als Männer identifizieren – und durch die Erkenntnisse der Studie teilweise auch als intersexuell gelesen werden, oder sich selbst so identifizieren können. Zudem könnten sie sich als nicht-binär, trans oder mit anderen Geschlechtern identifizieren.
XXY und XYY: Das zusätzliche Chromosom
Für eine Studie, die kürzlich in der Fachzeitschrift „Genetics in Medicine“ erschien, analysierten Forschende über 200.000 Einträge in der Britischen Biobank. In einer Biobank sind verschiedene Biomaterialien hinterlegt, sowie damit verknüpft medizinische und persönliche Daten der entsprechenden Person. Bei den Biomaterialien handelt es sich zum Beispiel um Gewebe oder Körperflüssigkeiten.
Die Forschenden untersuchten die Biomaterialien von allen als männlich hinterlegten Personen. Ziel der Untersuchungen war es, die Anzahl und Beschaffenheit der Chromosomen festzustellen. Das Ergebnis: Eine von 500 männlichen Personen trägt ein zusätzliches X- oder Y-Chromosom in sich.
Unter den über 200.000 DNA-Proben, die das Forschungsteam aus Cambridge untersuchte, waren 231 Personen mit einem zusätzlichen X-Chromosom und 143 wiesen ein zusätzliches Y-Chromosom auf. Die Kombination XXY ist dabei bereits bekannter und wird auch als Klinefelter Syndrom bezeichnet.
Da es sich dabei um eine Variation der Chromosomen handelt, die von der wissenschaftlichen Norm abweicht, zählt dieses Phänomen zur biologischen Intersexualität. Bei Intersexualität haben Menschen oft Geschlechtsmerkmale, die sich weder als eindeutig weiblich noch männlich einordnen lassen. Die Körpermerkmale der Person können jedoch auch eindeutig dem klassichen Bild von einem Mann entsprechen und sie sich gleichzeitig weiterhin als Mann identifizieren.
Das Phänomen des Extra-Chromosoms war in der Medizin bereits bekannt. Neu ist hingegen, dass es so häufig auftritt. Bislang gingen Forschende davon aus, dass nur etwa halb so viele Personen davon betroffen sind. Zudem zeigt die Studie, dass viele Betroffene nichts von dem zusätzlichen Chromosom wissen. Von den Personen, die die Kombination XXY aufwiesen, waren nur 23 Prozent über diese Tatsache aufgeklärt. Bei Menschen mit der XYY-Kombination waren es nur 0,7 Prozent. Dabei gehen mit dem zusätzlichen Chromosom teils schwere gesundheitlich Risiken einher.
Extra-Chromosom: Gesundheitliche Risiken
Welche genauen Folgen das Extra-Chromosom für die Betroffenen hat, ist noch nicht vollständig wissenschaftlich erforscht. Klar ist bislang Folgendes:
- Egal ob ein zusätzliches X- oder Y-Chromosom vorliegt: In beiden Fällen steigt die Wahrscheinlichkeit für Diabetes Typ 2, verstopfte Lungengefäße, Lungenerkrankungen und verstopfte Venen. Im Vergleich zu biologisch männlich betrachteten Personen ohne das Extra-Chromosom ist die Wahrscheinlichkeit für verstopfte Venen bis zu sechsmal höher, das Risiko für Diabetes ist etwa dreimal so groß.
- Ein zusätzliches X-Chromosom erhöht außerdem die Wahrscheinlichkeit für einen höheren Körperfettanteil, Persönlichkeitsstörungen und kognitive Probleme.
- Zudem weisen Betroffene mit dem Extra X-Chromosom oftmals eine niedrigere Testosteronkonzentration im Blut auf, als dies bei Personen mit der XY-Kombination der Fall ist. Das kann dazu führen, dass die Pubertät deutlich verspätet eintritt oder die Betroffenen keine Kinder zeugen können. Da die ausbleibende Pubertät teilweise bereits im Jugendalter für Fragen sorgt, wird diese Kombination öfter diagnostiziert, als es bei einem zusätzlichen Y-Chromosom der Fall ist.
- Bei dem Extra-Y-Chromosom scheint es keine Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit zu geben. Die Betroffenen sind nur eventuell besonders groß gewachsen.
Auch der Studie zufolge weibliche Personen sind von dem Phänomen betroffen. Bislang legen vorangegangene Forschungen nahe, dass in dieser Gruppe etwa eine Person von 1000 ein zusätzliches X-Chromosom aufweist. Dieses kann unter anderem ein schnelleres Wachstum in der Pubertät, eine verspätete Sprachentwicklung oder einen niedrigeren IQ bewirken.
Warum das zusätzliche Chromosom solche Wirkungen auf die Gesundheit hat, ist bislang unklar. Die Forschenden rufen jedoch dazu auf, mehr genetische Tests durchzuführen – insbesondere wenn Symptome vorliegen, die auf das Extra-Chromosom verweisen. Die genetischen Tests kannst du in der Regel in Kliniken durchführen lassen. Meist untersucht das Labor dabei dein Blut oder deinen Speichel. Ob ein solcher Test sinnvoll ist, solltest du vorher mit Ärzt:innen absprechen. Denn ohne ärztlichen Rat übernimmt auch die Krankenkasse die Kosten nicht.
Weiterlesen auf Utopia.de:
- Gender Data Gap: Warum unsere Welt nicht für Frauen gemacht ist
- Warum Frauen besonders von der Klimakrise betroffen sind
- Boys‘ Day: Warum auch dieser Tag seine Berechtigung hat
Bitte lies unseren Hinweis zu Gesundheitsthemen.
** mit ** markierte oder orange unterstrichene Links zu Bezugsquellen sind teilweise Partner-Links: Wenn ihr hier kauft, unterstützt ihr aktiv Utopia.de, denn wir erhalten dann einen kleinen Teil vom Verkaufserlös. Mehr Infos.War dieser Artikel interessant?