Wurst und Bouletten aus Waschbärfleisch – was abstoßend klingt, hat einen Wildfleischer in Sachsen-Anhalt mittlerweile zu lokaler Berühmtheit gebracht. Wie kommt man zu einer solchen Idee? Und was sagen Naturschützer:innen?
Im Schlachtraum von Michael Reiß hängt an einem großen Fleischerhaken ein erlegter Waschbär. Es ist Schlachttag für eine ganze Reihe der kleinen Raubtiere in der Wildererhütte in Kade. An dessen Ende landen Waschbärenbouletten und Waschbärenwürste in Reiß‘ Kühlkammer.
Der 45-Jährige ist erst seit kurzem Wildfleischer. Im Sommer 2022 erhielt er die EU-Zulassung für die Verarbeitung des Wildes. In einem Jahr hat er es aufgrund seiner Waschbärenbouletten zu lokaler Berühmtheit gebracht. Selbst aus Berlin und Leipzig kämen mittlerweile Kund:innen zu ihm ins Jerichower Land in Sachsen-Anhalt, schreibt die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Doch wie kam er zu dieser ungewöhnlichen Idee?
Nach der Betriebsgründung sei der Landkreis auf ihn aufmerksam geworden und habe ihn gebeten, den Kreis bei der Agrarmesse Grüne Woche in Berlin zu vertreten. „Da hat es in mir gerattert. Willst du da jetzt mit einer Hirschsalami hin, die jeder Landkreis hat?“, erzählt Reiß der dpa. „Es musste etwas Besonderes sein.“ Eines Abends sei ihm die Idee gekommen: „Waschbären fangen wir viel, und die schmeißen wir weg. Da habe ich das Veterinäramt angerufen: ‚Mensch, kann ich auch Waschbären verarbeiten?‘“
Die Behörde habe Reiß erklärt, dass eine Parasitenuntersuchung der Tiere nötig sei, dann könne er loslegen. Als „Kostehappen“ für die Grüne Woche eignete sich am besten ein „kleines Bällchen“. So landete Reiß schließlich bei der Waschbärenboulette.
Fleisch von Waschbären: „Ganz viele haben sich dann getraut“
Auf der Grünen Woche Anfang 2023 seien die Besucher:innen erst aus allen Wolken gefallen. „Wollen sie uns verarschen?“ und „Ist das ihr Ernst?“ sei bei vielen die erste Reaktion gewesen. „Ganz viele haben sich dann aber getraut“, erzählt Reiß. Die Rückmeldungen seien überwiegend positiv ausgefallen.
Nach der Grünen Woche habe er die Bällchen in sein Sortiment aufgenommen, so Reiß. Für seinen Imbisswagen habe er zudem eine Rostbratwurst aus Waschbärenfleisch kreiert. Inzwischen gibt es auch „Waschbären-Frühstücksfleisch“ als Konserve im Glas für den Versand. Sein Ziel sei keineswegs eine Massenproduktion, sagt Reiß. Er wolle den einen oder anderen anregen, „auch seine Falle zu stellen und diese invasive Art unter Kontrolle zu kriegen“.
Denn die Tiere richten nach Angaben von Jäger:innen in der Natur einen enormen Schaden an. Sie räumten Nistkästen aus, zerstörten Baumhöhlen und Bodengelege und fräßen sogar Wasserlebewesen wie junge Sumpfschildkröten, sagte ein Sprecher des Landesjagdverbandes Brandenburg der dpa. „Waschbären können wirklich alles – außer fliegen – und haben gefühlt auch immer einen Schraubenzieher dabei, um Nistkästen zu öffnen.“
Im Jagdjahr 2022/23 wurden nach Angaben des Verbandes allein in Brandenburg rund 30.000 Waschbären erlegt, fast zehn Prozent mehr als im Jagdjahr davor. Das reiche aber bei weitem nicht aus, erklärte der Verbandssprecher. Der Bestand weite sich teilweise „dramatisch“ aus.
Das sagt der Nabu
Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und andere Naturschützer:innen hingegen sind der Meinung, dass der Waschbär mittlerweile zur heimischen Tierwelt gehöre und somit das Recht auf eine friedliche Existenz habe. Meist gelinge es ohnehin nicht, die Populationen durch Jagd oder Fang zu verringern. Denn: Die Tiere „können Populationsverluste durch eine vermehrte Fortpflanzungsrate ausgleichen“, schreibt der Nabu. Würden Waschbären getötet, rückten Tiere aus den umliegenden Gebieten nach.
Zwar stimmt es laut den Naturschützer:innen, dass Waschbären Schäden – auch bei anderen Populationen wie etwa den bodenbrütenden Kiebitzen – anrichte. Allerdings seien die Wirkmechanismen nicht ganz so unterkomplex. „Je vielseitiger und strukturierter die Natur, umso geringere Auswirkungen“ habe das Fressverhalten der Waschbären. Mit anderen Worten: Laut Nabu müsse der Schutz des Lebens- und damit Rückzugsraums für Tiere im Allgemeinen Priorität haben.
„Insbesondere für kleinere Säugetiere, Amphibien und Vögel sollten geeignete Lebensräume zur Verfügung gestellt werden und durch Hecken oder alte Baumbestände Verstecke sowie ein größeres Nahrungsangebot geschaffen werden“, heißt es.
Waschbären wurden durch Menschen zur „invasiven Art“
Oft vergessen wird außerdem: Dass der Waschbär zur „invasiven Art“ wurde, liegt an den Menschen. Als Pelzlieferant wurde der Waschbär in den 1920/30er Jahren aus Nordamerika nach Deutschland geholt. Nachdem sie in Pelzfarmen gequält wurden, beschloss man, die Tiere erstmals in Hessen auszusetzen. Natürliche Fressfeinde haben Waschbären in Europa nicht.
Das Umweltbundesamt rät dazu, die Tiere mit „passiven Schutzmaßnahmen“ vor dem Eindringen in Häuser abzuhalten. Demnach müsste unter anderem darauf geachtet werden, dass Müll sowie Essensreste nicht offen rumliegen oder Schuppen ordentlich abgesperrt sind. „Die Gefahren lassen sich durch passive Schutzmaßnahmen in Grenzen halten“, resümiert das Umweltbundesamt.
Fleischer Reiß wiederum scheint pragmatisch mit der Ausbreitung des Waschbären umzugehen. Nur wenig andere Fleischer:innen arbeiten mit dem Fleisch der possierlichen Tiere. „Das ist wahrscheinlich aus kommerzieller Sicht für den ein oder anderen abschreckend“, sagt Reiß der dpa.
„Wir glauben nicht, dass sich hier ein Trend entwickelt“
Die Trichinenuntersuchung koste pro Waschbär fast 14 Euro, hinzu kämen Kosten für die Fleischbeschau und die 10 Euro, die er jedem Jäger pro erlegtem Tier zahle. „Das sind dann schon mal mehr als 25 Euro Fixkosten ohne die Arbeitszeit mit einzubeziehen.“ Demgegenüber stünden nur 1,5 bis 2,5 Kilogramm Fleisch, die er aus dem Tier gewinnen könne. „Die Gewinnmarge ist da nicht die Größte“, erklärt Reiß. Für ihn lohne es sich dennoch. „Die Kunden kommen zum Hofladen, nehmen vier Waschbärenbouletten und noch eine Hirschsalami mit.“
„Wir glauben nicht, dass sich hier ein Trend entwickelt“, heißt es bei der Fleischereiinnung in Berlin. Geschäftsführer Martin Stock sagt, er kenne die Waschbärenverarbeitung vor allem aus den USA. „Hat mich aber weder geschmacklich noch von der Konsistenz überzeugt.“
Waschbärfleisch sei sehr weich, erklärt Reiß. Eine Salami aus Waschbärenfleisch werde deshalb nicht fest, zudem sei das Fett des Tieres recht ölig. „Es ist eher eine Streichwurst.“ In seine Bouletten mengt er nach eigenen Angaben noch etwa 30 Prozent Schweinefett für eine bessere Konsistenz ein.
Lob für seine Idee erhielt Reiß vom Umweltministerium in Brandenburg. „Tiere, die jagdlich (…) erlegt werden, zu Nahrungsmitteln oder Fellprodukten zu verarbeiten oder zu verwerten ist immer sinnvoll“, sagte ein Ministeriumssprecher auf Nachfrage. Eine Förderung für den Abschuss der Tiere gebe es dennoch nicht.
Mit Ausnahme von Bremen und Saarland unterliegen Waschbären in den anderen Bundesländern dem Jagdrecht.
Quellen: dpa, Nabu, Umweltbundesamt
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