In Milch- und Käsewerbung werden Kühe oft in einer idyllischen Landschaft dargestellt. Frei grasend, glücklich. Doch die Realität sieht anders aus. Ein Gutachten, das Greenpeace beauftragt hat, fordert nun Reformen.
Die Haltung von Milchkühen in Deutschland werfe tierschutzrechtliche Bedenken auf und müsse reformiert werden – das ergab ein von Greenpeace beauftragtes Rechtsgutachten. Die Ergebnisse liegen dem Investigativteam des Bayerischen Rundfunks (BR) vor.
In Deutschland gibt es bislang keine gesetzliche Regelung dafür, wie Rinder ab ihrem sechsten Lebensmonat zu halten sind: etwa, wie viel Platz eine Kuh mindestens braucht, ob sie Anspruch auf Weidegang hat und welche Standards das Futter erfüllen muss. Martin Hofstetter, Agrarexperte bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace sagt dazu im Gespräch mit dem BR: „Das ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass es in Deutschland über 50.000 Milchviehbetriebe gibt“. Und in einigen von ihnen fände man erschreckende Zustände vor, so Hofstetter.
Die meisten Milchkühe in Deutschland sind in sogenannten Laufställen untergebracht. Das heißt, sie haben ein gewisses Maß an freier Bewegung im Stall. Doch die Lebensqualität variiert stark. So kann beispielsweise nur jedes dritte Rind im Sommer auf die Weide – wie es die Werbung gerne suggeriert. Das zeigen Daten des Bundesministeriums für Landwirtschaft.
Jedes zehnte Rind verbringt sein Leben angebunden im Stall
Die zentrale Sorge der Gutachter:innen betrifft die Rinder, die nicht in Laufställen leben, sondern in der sogenannten Anbindehaltung. Mit einer Kette um den Hals werden die Tiere nebeneinander im Stall angebunden, 24 Stunden am Tag – nicht selten ihr ganzes Leben lang. Sie können sich lediglich hinlegen und wieder aufstehen, jedoch keine Schritte nach vorn oder hinten machen. Diese Art der Haltung war früher verbreiteter. Doch nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) wird noch heute ein Zehntel aller Rinder in Deutschland so gehalten.
Das in der Werbung vorherrschende Bild von Kühen, die auf großzügigen Weiden stehen, ist Hofstetter zufolge also ein falsches: „Alles super, alle glücklich“ – das entspreche nicht der Realität. Insbesondere in Bayern ist die Anbindehaltung noch gängige Praxis. Rund 10.000 Betriebe nutzten diese Haltungsform noch 2020, wie eine Landwirtschaftszählung Destatis besagt.
Nach Einschätzung der Gutachter:innen verstoße diese Form der Haltung gegen „zentrale Gebote des Tierschutzgesetzes“. In Einzelfällen könne sie sogar den Strafbestand der Tierquälerei erfüllen. „Bei dieser Haltungsform werden die Grundbedürfnisse der Rinder stark eingeschränkt“, sagt Davina Bruhn dem BR. Sie ist Anwältin für Tierschutzrecht und eine der Autor:innen des Rechtsgutachtens. Der Gesetzgeber habe die Anbindehaltung nie wirklich erlaubt, so Bruhn. Dennoch halten Milchbäuer:innen in Deutschland bereits seit Jahrzehnten ihre Kühle angebunden im Stall. Die Haltungsform habe sich in der Praxis etabliert, sagt Bruhn.
Verstößt Anbindehaltung gegen Tierschutzgesetz?
Jens Bülte, Professor für Strafrecht an der Universität Mannheim, hält es für illegal und strafbar, Kühe dauerhaft anzubinden. Diese Form der Haltung sei kein Graubereich in der deutschen Gesetzgebung, sondern verstoße gegen das Tierschutzgesetz. „Wenn wir davon ausgehen – was Stand der Verhaltensforschung und der Veterinärmedizin ist –, dass die Tiere unter der Anbindehaltung leiden, dann bewegen wir uns nicht im Graubereich“, äußert sich Bülte gegenüber dem BR.
Diese Einschätzung bestätigt auch ein Gerichtsurteil des Verwaltungsgerichts in Münster, aus dem Jahr 2019. Eine Tierschutzbehörde hatte einen Bauern angewiesen, seinen Rindern im Sommer täglich mindestens zwei Stunden Auslauf zu gewähren. Der Bauer hatte gegen die Anordnung der Behörde geklagt; Diese Klage wies das Gericht ab. Die Begründung des Gerichts: Die Anbindehaltung schränke die Grundbedürfnisse der Tiere stark ein. Sie könne zudem vermehrt Erkrankungen und Schmerzen verursachen.
Bundesregierung will gesetzliche Grundlage schaffen
Die Bundesregierung will sich dem Thema annehmen. In ihrem Koalitionsvertrag hat die Regierung festgehalten, sie wolle „Lücken in der Nutztierhaltungsverordnung schließen“. Außerdem solle die Anbindehaltung bis 2030 verboten werden.
Nach Einschätzung der Juristin und Mitverfasserin des Gutachtens Bruhn ist diese Übergangsfrist von zehn Jahren viel zu lang. Das Gutachten fordert deswegen ein umgehendes Verbot der Anbindehaltung und gesetzliche Vorschriften für alternative und artgerechte Haltungsformen. Nationale Mindestanforderungen für Milchviehhaltung müssten demnach gesetzlich festgeschrieben werden.
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