Einsamkeit birgt Risiken für die psychische und körperliche Gesundheit. Das Thema rückt immer mehr in den Fokus von Wissenschaft und Politik. Was man darüber weiß – und dagegen tun kann.
Das Thema Einsamkeit rückt immer mehr in den Fokus von Politik und Wissenschaft. Im Juni 2022 gab Familienministerin Lisa Paus (Grüne) den Startschuss für eine „Strategie gegen Einsamkeit“. „Ziel ist es, das Thema in Deutschland stärker zu beleuchten und Einsamkeit stärker zu begegnen“, erklärt Axel Weber vom „Kompetenznetz Einsamkeit“ (KNE), das das Ministerium wissenschaftlich unterstützt und begleitet.
In einer Studie des KNE heißt es, dass vor der Covid-19 Pandemie rund 14 Prozent der Menschen in Deutschland einsam waren. Während der Pandemie sei der Anteil auf 42 Prozent im Jahr 2021 gestiegen. Allerdings wurden alle Menschen mitgezählt, die angaben, sich mindestens manchmal einsam zu fühlen.
Jede:r Zwanzigste ist chronisch einsam
„Wirklich dauerhaft einsam fühlt sich eine Minderheit. Die meisten Menschen fühlen sich geborgen“, sagt Einsamkeitsforscherin Maike Luhmann von der Ruhr-Universität Bochum. Sie geht von etwa fünf Prozent an chronisch einsamem Menschen in der Bevölkerung aus.
Wie sich die Zahl der Einsamen seit der Corona-Pandemie entwickle, wisse man noch nicht. Statistiken seien generell schwierig. „Es gibt keine messbare Definition. In der Wissenschaft wird Einsamkeit als ein Zustand definiert, bei dem die sozialen Beziehungen nicht den Erwartungen der Menschen entsprechen. Dieser Punkt ist für jede Person irgendwo anders“, so Luhmann.
Es lasse sich auch nicht sagen, dass sich die Zahl der Einsamen in den vergangenen Jahrzehnten erhöht habe. „Wir wissen nicht, wie einsam die Menschen vor 20, 30 oder 50 Jahren waren“, so Luhmann. Die Einsamkeitsforschung stecke in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Heute lebten zwar viele Menschen allein. Das bedeute aber nicht automatisch, dass sie sich auch einsam fühlten.
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Das KNE will das bestehende Wissen über Einsamkeit bündeln und neues Wissen generieren. Unter anderem erarbeiten die Wissenschaftler:innen laut Weber ein Einsamkeitsbarometer, um Daten über das Phänomen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu gewinnen, die sich auch über den Zeitverlauf vergleichen lassen.
Was fehlt einsamen Menschen?
Klar sei: „Einsamen Menschen fehlen soziale Beziehungen und Kontakte, insbesondere qualitativ hochwertige Kontakte, enge intime Beziehungen zu anderen Menschen wie Partnern oder Freunden, aber auch sonstige Kontakte zu anderen Menschen im Alltag“, so Luhmann. Dies betreffe auch jüngere Menschen und solche im mittleren Erwachsenenalter. „Auch Familiengründung und das Leben mit kleinen Kindern kann einsam machen. Viele müssen sich in dieser Phase auch beruflich etablieren und haben noch weniger Zeit für Freunde“, so die Wissenschaftlerin.
„Einsamkeit tut weh“: Wie ein Gefühl krank machen kann
Das Gefühl kann krank machen: „Einsamkeit tut weh. Bei chronischer Einsamkeit werden im Gehirn dieselben Areale aktiviert wie bei Schmerz“, so die Psychologin. Es gebe zwar keine klinische Diagnose im klassischen Sinne für das Gefühl und auch keine Therapien oder Medikamente. Man wisse aber, dass Einsamkeit mit großen Risiken einhergehe. So könne chronische Einsamkeit sowohl psychische als auch physische Erkrankungen wie Depressionen, koronare Herzerkrankungen, Schlaganfälle oder Herzinfarkte begünstigen.
„Wir sind soziale Tiere und dafür gemacht, in Gruppen mit anderen zu leben und dort besonders gut zu funktionieren. Einsamkeit ist gar nicht programmiert in unseren Körpern und unseren Seelen“, ergänzt Eva Peters, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universität Gießen.
Stress durch Einsamkeit
Das Gefühl der Einsamkeit bedeute Dauerstress für den Körper, da er sich in ständiger Alarmbereitschaft befinde. Es fehle das soziale Umfeld als Puffer für mögliche Gefahrensituationen. „Das sorgt dafür, dass wir ständig etwas zu viele Stresshormone ausschütten“, erklärt Peters. Das könne wiederum zu Bluthochdruck und weiteren Erkrankungen führen.
„Einsame Menschen sind auch etwas gefährdeter, Krebs zu entwickeln“, so die Medizinerin. Denn bei ihnen könne die Überwachungsfunktion des Immunsystems durch chronischen Stress gestört sein, sodass neu entstehende Krebszellen nur noch in geringerem Maße erkannt und abgetötet werden.
Soziale Interaktionen bieten intellektuelle Herausforderungen
Eine weitere Gefahr bestehe in der fehlenden intellektuellen Herausforderung. „Wenn keine Interaktion und Reize kommen, verkümmert das Gehirn wie ein unbenutzter Muskel. Das kann der Beginn von Alzheimer und Demenz sein“, so Peters.
„Jede Art von sozialer Beziehung ist erstmal gut. Ich bin aber immer etwas skeptisch bei Ansätzen, die verschiedene Generationen einschließen“, sagt Maike Luhmann. Solche Patenschaften könnten eine Chance sein, Verständnis untereinander zu entwickeln. „Unterschiedlich alte Menschen haben aber verschiedene soziale Bedürfnisse, die, glaube ich, eher von Menschen erfüllt werden, die vom Alter her ähnlich sind“.
Einsamkeit vor allem bei alten Menschen ein Problem
Wenn der Freundeskreis schrumpft, Partner:innen sterben, die Gesundheit nicht mehr mitmacht oder auch das Geld für Kino und Restaurantbesuche fehlt, können vor allem ältere Menschen schnell in die Einsamkeit abrutschen. Ein Gefühl, das auch Helga Müller aus Berlin-Tempelhof kennt. Ihre Tochter lebt in Athen, die Freund:innen sind krank, verstorben oder weggezogen. Auch sie erlebt den Mangel an Interaktion mit anderen: „Ich gehe zwar jeden Tag raus, kaufe ein und mache meine Gymnastik, aber zum Reden fehlt mir jemand“, sagt die 85-Jährige.
Seit fast zwei Jahren kann sich die Rentnerin immerhin auf ein ausgiebiges Gespräch pro Woche freuen. Der in verschiedenen Großstädten aktive Verein „Freunde alter Menschen“ hat ihr Jan Römmler, einen Besuchspaten, vermittelt. „Ich möchte meine Zeit sinnvoll nutzen und anderen schenken“, sagt der 50-jährige gelernte Koch und Frührentner.
Helga Müller strahlt über das ganze Gesicht, als Römmler sie zum Spaziergang abholt. „Bei gutem Wetter gehen wir immer unsere Runde und trinken zwischendurch Kaffee“, erzählt die Rentnerin. Sie weiß auch schon, was an diesem Tag wohl Gesprächsthema sein wird: der neue Berliner Senat.
Sie unterhält sich gern mit Menschen aus anderen Generationen: „Mit den gleichaltrigen Bekannten, die ich noch habe, kann ich mich gar nicht über die Themen unterhalten, die mich gerade interessieren“, sagt die Berlinerin.
„Soziale Konvois“: Einen festen Stamm an Menschen um sich zu haben, beugt Einsamkeit vor
Indem die Rentnerin sich nicht nur um Bewegung an der freien Luft und ihren Alltag, sondern auch aktiv um soziale Kontakte bemüht, macht sie aus Expert:innensicht viel richtig. Denn eine der wichtigsten Maßnahmen gegen Einsamkeit aus Luhmanns Sicht ist: Prävention. „Gerade bei Älteren muss man viel in diese Richtung denken, sie ermutigen, dass sie sich, wenn sie es noch können, sich um ihre sozialen Beziehungen kümmern, sich ein Netz aufbauen“.
Sie unterstütze außerdem das Konzept des „sozialen Konvois“. „Das ist eine Gruppe von Menschen, mit denen man durchs Leben geht, Freunde, Familie, Partner, Kollegen. Das kann variieren, aber vielen Menschen tut es gut, so einen festen Stamm um sich zu haben“, so Luhmann.
Was die Politik tun kann
Vor allem auch die Politik sei gefragt, etwa bei der Gestaltung des öffentlichen Raumes. „Orte und Gebäude müssten so konzipiert sein, dass sie allen Menschen zugänglich sind. Es geht letztlich immer um Teilhabe“. Bei Älteren sehe sie auch eine große Chance in der Digitalisierung, so Luhmann. Helga Müller zum Beispiel besitzt aber weder Smartphone noch Internet. Auf den Verein Freunde alter Menschen wurde sie durch einen Artikel in einem Mieter-Magazin aufmerksam.
„Apps könnten vieles ergänzen, aber nicht alles ersetzen. Ab und zu brauchen wir die menschliche Wärme eines echten Miteinanders“, sagt Eva Peters. Sie plädiert eher dafür, die Wohnsituation so zu verändern, dass man tägliche Ansprache und Interaktion von und mit anderen Menschen hat.
Die Bundesregierung fördert bereits zahlreiche Initiativen und Modellprojekte. Aus Sicht Maike Luhmanns ist das einerseits positiv. „Andererseits ist aber kaum erforscht, wie solche Projekte wirken“, so die Wissenschaftlerin.
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