Einige trans* Personen wollen ihre Geschlechtsmerkmale verändern lassen, um sich endlich wohl im eigenen Körper zu fühlen. Der Chirurg Sebastian Dietrich führt solche operativen Eingriffe durch. Im Gespräch mit Spektrum erklärt er, wie das genau funktioniert, auf welche Weise Patient:innen mit den Operationen umgehen und warum eine Geschlechtsangleichung nur die Spitze des Eisbergs ist.
Sebastian Dietrich ist Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie und führt in Berlin Geschlechtsangleichungen durch. In seiner Klinik beobachtet er selbst, dass es immer mehr Menschen gibt, die sich für die operativen Eingriffe entscheiden. Während es 2018 nur etwa 200 Fälle waren, fanden 2021 etwa 400 Geschlechtsangleichungen in seiner Klinik statt. Deutschlandweit liegt die Zahl etwa bei 2000.
Dietrich vermutet zwei Gründe für den Anstieg der Operationen: So habe sich die medizinische Versorgung generell verbessert. Schwerwiegender dürfte jedoch die steigende gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber trans* Identitäten wiegen. Da das Thema immer mehr Sichtbarkeit bekommt und dabei enttabuisiert wird, ist es für Betroffene eventuell leichter, über den Wunsch nach einer Geschlechtsangleichung zu sprechen und diese dann auch durchführen zu lassen.
Auch wenn das bereits ein Indiz dafür ist, dass wir uns in dem Punkt gesellschaftlich in die richtige Richtung bewegen, dürfen wir nicht vergessen, dass trans* Personen nach wie vor von Diskriminierung betroffen sind. Deshalb bleibt es wichtig, dass Cis-Menschen sich als Verbündete bekennen und weiterhin für Gender-Gerechtigkeit kämpfen. Und zwar das ganze Jahr über – der Juni als Pride-Month bietet dafür jedoch besonders viel Raum.
Der lange Weg vor den Operationen: Therapie und Gutachten
Bevor Menschen eine Geschlechtsangleichung durchführen lassen können, müssen sie in Deutschland und den meisten anderen europäischen Ländern ein psychologisches Gutachten vorlegen. Das sieht das sogenannte Transsexuellengesetz vor, das in Deutschland seit 1980 Gültigkeit hat.
Damit die Krankenkasse die hohen Kosten für die Operationen übernimmt, müssen sich trans* Personen zudem mindestens sechs Monate lang einer Psychotherapie unterziehen. Das ist in der entsprechenden Richtlinie des GKV-Spitzenverbandes (gesetzliche Krankenversicherung) festgelegt. Bis zu dieser Neuerung waren sogar 18 Monate Therapie vorgeschrieben. So sollen die Gutachter:innen ausschließen, dass der Wunsch nach einer Geschlechtsangleichung Symptom einer psychischen Krankheit ist und feststellen, ob die Betroffenen tatsächlich trans* sind.
An diesem Vorgehen gibt es viel Kritik. So zum Beispiel vom Bundesverband Trans*, der sich für geschlechtliche Selbstbestimmung einsetzt. Schließlich entscheiden bei der aktuellen Rechtslage letztendlich unbeteiligte Richter:innen, ob eine trans* Person ihren Körper verändern lassen darf oder nicht. Die Vorschrift der Psychotherapie verstärkt zudem die weitere Stigmatisierung von trans* Menschen. Nicht zuletzt verlängern diese Hürden den ohnehin bereits langwierigen Prozess der Geschlechtsangleichung.
So dauert es bereits lange Zeit, um überhaupt erst einmal einen Platz für eine Psychotherapie zu bekommen. Laut Spektrum sei das unter einem Jahr kaum möglich. Bis das Gutachten fertig ist, vergehen oft zwei bis drei Jahre. Es kann aber auch zu noch längeren Wartezeiten kommen.
So bestätigt auch der Chirurg Sebastian Dietrich im Interview, dass trans* Personen bereits viel durchgemacht haben, bevor sie zu ihm kommen. Er erklärt deshalb: „Ich habe ganz großen Respekt und bewundere ihren Mut und Willen.“ Bei den aktuell gültigen Gesetzen kann jedoch auch Dietrich nur mit den nötigen Gutachten die Operationen durchführen. Denn nur sie erlauben es dem Chirurg aus rechtlicher Sicht, an eigentlich gesunden Organen zu operieren.
Wie lange dauern Geschlechtsangleichungen?
Dietrich bespricht mit seinen Patient:innen vor den operativen Eingriffen genau, was sich diese wünschen, welche Stellen am Körper genau verändert werden sollen und was aus medizinischer Sicht überhaupt möglich ist. Dann beginnt der langwierige Weg durch die Operationen: Bei einer Geschlechtsanpassung von biologisch männlichen zu biologisch weiblichen Geschlechtsorganen sind drei Behandlungsschritte notwendig. Von biologisch weiblich zu männlich sind es sieben.
Trotzdem braucht es für beide Geschlechtsanpassungen in etwa die gleiche Zeit. Zwei Jahre dauert es, bis alle Operationen abgeschlossen sind. Schließlich müssen zwischen den einzelnen Eingriffen mindestens drei bis sechs Monate liegen, damit der Körper regenerieren kann. Laut Dietrich brechen nur sehr wenige Patient:innen zwischendurch ab. Was eventuell auch dabei hilft durchzuhalten: Laut Studienergebnissen erleben etwa 80 Prozent nach der abgeschlossenen Geschlechtsanpassung unter anderem eine Zunahme an Lebensqualität.
Die Zufriedenheit mit dem eigenen Körper ist vermutlich auch eine zentrale Ursache für das gesteigerte Empfinden beim Sex, das viele trans* Personen nach den Eingriffen erleben. So achtet Dietrich bei den Operationen auch genau darauf, die vorhandenen Nerven zu erhalten, die für sexuelles Empfinden wichtig sind: „Bei ‚Frau zu Mann‘ beispielsweise wird die Klitoris erhalten und ein Klitorisnerv an den Hautnerven des neuen Penis angeschlossen, damit einerseits die Orgasmusfähigkeit erhalten bleibt und andererseits auch über den neuen Penis eine sexuelle Stimulation möglich ist. Bei ‚Mann zu Frau‘ erhalten wir dafür den Nerv der Eichel.“
Von biologisch weiblichen zu männlichen Geschlechtsorganen: Sieben Schritte
Für den sogenannten Behandlungsplan „Frau zu Mann“ brauchen Dietrich und sein Team insgesamt sieben Schritte: Zuerst führen Gynäkolog:innen eine Mastektomie durch. Dabei entfernen sie Brust und anschließend Gebärmutter und Eierstöcke. Später sind auch alle Bestandteile der Vulva, also Scheidenvorhof, Vulvalippen und Klitoris, an der Reihe.
Um den Penis einzusetzen, sind komplexe Eingriffe notwendig: So setzen die Chirurg:innen einen Teil der neuen Harnröhre in den Unterarm ein. Dies muss nun gut miteinander verwachsen. Das dauert mindestens sechs Monate. Nach diesem Zeitraum nehmen die Mediziner:innen die Harnröhre wieder heraus, verformen sie und setzen sie schließlich in den Intimbereich ein.
Für die Hoden nutzen Dietrich und sein Team Implantate aus Silikon. Diese setzen sie unter der Haut ein. Schließlich braucht es noch eine Schwellkörperprothese. Diese sorgt dafür, dass der neue Penis auch wirklich steif werden kann und somit penetrativer Sex möglich wird. Im letzten Schritt wird an einer Vorhautplastik die Eichel geformt.
Nicht alle Patient:innen lassen übrigens alle Behandlungsschritte vornehmen. So genügt es einigen trans* Männern bereits, wenn Chirurg:innen die Brüste entfernt haben. Auch die Prothese und der gesamte Aufbau des Penis ist nicht immer notwendig. Laut Dietrichs Erfahrungen wünschen sich jedoch die meisten seiner Patient:innen, dass alle Schritte umgesetzt werden.
Drei Schritte von biologisch männlichen zu biologisch weiblichen Geschlechtsorganen
Für den Behandlungsplan „Mann zu Frau“ sind auf dem Papier zwar nur drei Schritte nötig. Dietrich betont jedoch, dass der Prozess nicht weniger komplex ist. Nur lassen sich einzelne Eingriffe besser bündeln. Der erste Schritt ist die Vaginoplastik. Dabei stülpt Dietrich Penis und Hodenhaut nach innen. Die Harnröhre wird etwas gekürzt.
Die sogenannte Neovagina entsteht zwischen Blase und Enddarm. Die Klitoris formen die Mediziner:innen aus der Eichel. Wichtig ist, dass der Schnitt, der für die neue Vagina sorgt, nicht wieder vernarbt und dabei zusammenwächst. Deshalb sollen Patient:innen bis zu einem Jahr nach dem Eingriff regelmäßig einen medizinischen Dildo einführen.
Schließlich formen die Chirurg:innen im letzten Schritt noch die großen Vulvalippen. Falls gewünscht, können sie auch die Brüste mithilfe von Implantaten vergrößern.
Laut Dietrich soll das Wachstum der Brüste zwar auch durch eine Hormontherapie angeregt werden. In der Regel erreichen Betroffene dabei jedoch auch nach zwei Jahren noch nicht Körbchengröße A. Zudem hat Dietrich die Möglichkeit, die Brüste auch in ihrer genauen Form gemäß den Wünschen der Patient:innen zu modellieren. Denn er sagt selbst: „Die Brüste sollen möglichst natürlich aussehen und zur Person passen.“
Einige wenige trans* Frauen lassen sich zudem ihr Gesicht operieren. Dabei wird zum Beispiel der Adamsapfel oder die Stirn verkleinert, sodass das Gesicht femininer wirkt. Die Krankenkassen sind jedoch nicht verpflichtet, die Kosten dafür zu tragen. Dementsprechend selten finden diese Eingriffe statt.
Nach den Operationen: Mögliche Komplikationen
Nach den Eingriffen kann es laut Dietrich (wie bei jedem anderen medizinischen Eingriff auch) zu Komplikationen kommen. Dazu gehören Nachblutungen, Wundheilungsstörungen oder Infektionen der Wunden.
Auch die Harnwege können Probleme bereiten: So können sie sich aufgrund von Narben verengen und das Wasserlassen erschweren. Oder es entstehen Fisteln, sodass der Körper plötzlich über die Haut Urin ausscheiden kann. In der Regel heilen diese Beschwerden jedoch ohne weitere Komplikationen von selbst wieder aus. Trotzdem sind regelmäßige Kontrollen nach der Geschlechtsangleichung wichtig.
Mehr Selbstbestimmung für trans* Personen
Wenn die langwierigen Hürden, die komplexen Operationen und eventuelle Komplikationen überstanden sind, zahlt sich die Mühe für die meisten trans* Personen aus: „Das zeigt sich auch in Studien: Die Lebensqualität steigt, die Lust auf Sex ebenso, man fühlt sich mehr als Ich“, so Dietrich.
Angesichts dieser Erkenntnisse erscheint es mehr als überfällig, dass trans* Personen die Möglichkeit bekommen, diesen Weg auch ohne große bürokratische, zeitliche und finanzielle Hürden gehen zu können. Die aktuelle Regierung hat diesbezüglich bereits Verbesserungen angekündigt. So soll das bisher gültige Transsexuellengesetz durch ein Selbstbestimmungsgesetz abgelöst werden. Damit Politiker:innen diese Versprechungen tatsächlich auch konsequent umsetzen, kannst du dich gerade jetzt im Pride Month einer Pride-Demonstration in deiner Nähe anschließen und so unter anderem für die Rechte von trans* Personen auf die Straße gehen.
Weiterlesen auf Utopia.de:
- Pinkwashing: Das steckt dahinter
- Inklusion: Was ist damit eigentlich gemeint?
- Gender Data Gap: Warum unsere Welt nicht für Frauen gemacht ist
Bitte lies unseren Hinweis zu Gesundheitsthemen.
** mit ** markierte oder orange unterstrichene Links zu Bezugsquellen sind teilweise Partner-Links: Wenn ihr hier kauft, unterstützt ihr aktiv Utopia.de, denn wir erhalten dann einen kleinen Teil vom Verkaufserlös. Mehr Infos.War dieser Artikel interessant?