Manche Menschen verzichten auf eigenen Nachwuchs – wegen des Klimawandels. Als Grund werden oft die Emissionen angeführt, die Kinder verursachen. Ein Ökonom und Ethiker sieht diese Rechnung kritisch.
Die sogenannte „Birthstrike“-Bewegung besteht überwiegend aus Frauen, die wegen der drohenden Klimakatastrophe ihren Kinderwunsch aufgeben. Sie tun dies aus verschiedene Gründen. Einige haben Angst vor unwägbaren Umweltrisiken, denen ihre Kinder im Laufe ihres Lebens ausgesetzt wären. Andere argumentieren, dass Kinder viel CO2 verursachen und so den Klimawandel weiter vorantreiben. Oft verweisen Anhänger:innen auf eine Studie von Seth Wynes und Kimberly Nicholas, laut der der Verzicht auf ein Kind 58,6 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr einsparen kann. Dies sei um ein vielfaches effizienter als der Verzicht auf ein Auto (2,4 Tonnen pro Jahr) oder aufs Fliegen (1,6 Tonnen pro Jahr).
Diese Rechnung sieht Dominic Roser vom Institut für Ethik und Menschenrechte an der Universität Freiburg kritisch. Im Gespräch mit Focus Online erklärt der Ethiker und Ökonom, wo er Fehler sieht.
„Wir brauchen nicht weniger Leben, sondern klimaverträglicheres Leben“
An sich versteht Roser den Ärger über die Tabuisierung der Ideen der „Birthstike“-Bewegung. Dass jedes Kind CO2 produziere, sei eine Tatsache. „Wenn wir diese Tatsache ausblenden, entsteht eine wenig produktive Schwarz-Weiß-Debatte, die sich immer weiter aufschaukelt.“
Allerdings betont er, dass Menschen zur Rettung des Planeten ihre Emissionen „nicht um zehn, nicht um 30 und auch nicht um 50 Prozent senken müssen“ – sondern um 100 Prozent. Demnach müsste auch jeder einzelne Mensch null Emissionen verursachen. „Und dann ist es egal, wie verteilt wird“, findet Roser. „Vier Köpfe, die jeweils null Emissionen verursachen, machen zusammen immer noch Null.“ In diesem Szenario würden Menschen ohne Kinder also genauso viele Emissionen ausstoßen wie Menschen mit vielen Kindern. Der Experte fasst zusammen: „Wir brauchen nicht weniger Leben, sondern klimaverträglicheres Leben.“
Klima-Debatte: Ethik-Experte betont Vorteile von Kindern
Außerdem kritisiert Roser, dass der Nutzen von Kindern in der Literatur selten gegen den Schaden gerechnet werde. Neben persönlichen Vorzügen von Elternschaft sieht der Experte auch objektive Vorteile: nämlich Altersvorsorge und Innovationskraft. „Wer weiß, vielleicht wird das kleine Mädchen Technologien entwickeln, von denen wir in Sachen Nachhaltigkeit im Moment nur träumen können? Oder der kleine Bub, der da gerade geboren wird, wird eines Tages zur neuen Greta Thunberg, die die Massen mobilisieren kann?“. Zudem sei der Verzicht auf Kinder „kein schnell wirksamer Hebel“.
Die oft zitierte Studie von Wynes und Nicholas nennt er „irreführend“. Diese mache Eltern für die Emissionen all ihrer Nachkommen verantwortlich. Außerdem nehme sie an, dass Pro-Kopf-Emissionen in Zukunft gleich bleiben. „Doch die Pro-Kopf-Emissionen werden in den kommenden Jahren sinken“, glaubt Roser. „Vor diesem Hintergrund ist es falsch, das Bevölkerungswachstum als größtes Problem fürs Klima auszumachen.“
Roser hat selbst drei Kinder. „Damals, als ich die Familiengröße noch eher als Hebel für das Klimaproblem ansah, war ich mir viel unsicherer, ob ich wirklich weitere ‚Verschmutzer‘ in die Welt setzen wollte“, gibt er zu. Heute sieht er diese Gedanken als „zu einfach gedacht“ an. Er bemühe sich, seine Kinder zu Klima-Verantwortlichkeit zu erziehen.
Utopia meint
Menschen in Deutschland stoßen 10,8 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr aus – die „Netto-Nullemission“, die Roser beschreibt, scheint heute in weiter Ferne. Auch sind die Ressourcen der Erde begrenzt und werden jährlich überstrapaziert.
Ob man die Auswirkungen von zusätzlichen Menschen auf der Erde als vernachlässigbar betrachtet oder nicht, hängt davon ab, ob man annimmt, dass die Menschheit einen schonenderen Umgang mit Ressourcen findet und eine klimaneutrale Lebensweise adaptiert. Wer zuversichtlich ist, dass die Menschheit es schafft, die globale Erwärmung zu begrenzen, rechnet auch mit weniger starken Folgen wie Umweltkatastrophen und Ressourcenknappheit. Doch nicht alle teilen diese Zuversicht.
Dennoch ist ein Menschenleben natürlich mehr als die Summe seiner Emissionen. Die Entscheidung über Nachwuchs bleibt eine sehr persönliche und individuelle.
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