Sexismus ist ein „unterschätztes Phänomen“ in deutschen Unternehmen – das ist das Fazit einer Expertin. Marie-Christine Döscher ist Ermittlerin für Sexismus-Vorfälle. In einem Interview erklärt sie, dass sie dabei mittlerweile nichts mehr sprachlos macht.
Im Interview mit ZDF Heute beschreibt die Forensikerin Marie-Christine Döscher ihre Arbeit als Ermittlerin bei Sexismusvorfällen in deutschen Unternehmen.
Döscher ist studierte Rechtswissenschaftlerin und hat als Staatsanwältin gearbeitet, bevor sie zur Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland wechselte. Dort leitet sie interne Ermittlungen in Unternehmen bei Diskriminierungsvorfällen wie Sexismus und Homophobie.
Für ihre Arbeit spricht Döscher sowohl mit Betroffenen als auch Beschuldigten. Zudem wertet sie beispielsweise Chatverläufe aus, in denen in Form von sogenannten „Locker Room“-Talks sexistische Äußerungen gemacht werden. Sprachlos mache sie dabei nichts mehr, so Döscher im Interview.
"Locker Room"-Talks: Sexismus in Chatverläufen
„Locker Room“-Talks (Umkleideraum-Gespräche) sind für die Ermittlerin, wie sie sagt, ein klarer Hinweis darauf, dass in dem Unternehmen ein strukturelles Problem mit Sexismus besteht.
Jene Chat-Kommunikation findet beispielsweise zwischen männlichen Führungskräften statt, die darin über „typisch männliche Themen“ sprechen, so die Expertin. Auch über Mitarbeiterinnen würde darin geredet und beispielsweise deren Attraktivität bewertet und untereinander verglichen.
Döscher betont jedoch, dass Sexismus und Diskriminierungen anderer Art nicht immer nur von Männern gegen Frauen ausgehen. Sowohl Sexismus als auch andere Formen von Diskriminierung seien „ein Ausdruck von Machtgefälle“. Mehrheitlich ginge es bei ihren Fällen zwar schon um problematisches Verhalten eines älteren Mannes gegenüber einer jüngeren Frau. Aber auch Diskriminierungen gegen Männer, Grenzüberschreitungen unter dem gleichen Geschlecht sowie homophobe Äußerungen kämen vor, so die Forensikerin.
Sexismusvorfälle: Darum geht es bei der Ermittlung
Döscher Job ist es, Unternehmen, insbesondere deren Leitung und Aufsichtsgremien, dabei zu unterstützen, ihre Sorgfalts- und Überwachungspflichten auszuüben. Dazu gehört in erster Linie die Aufklärung interne Diskriminierungsvorfälle.
Als Ermittlerin geht es laut Döscher ausschließlich um die Sachverhaltsermittlung. Ihre Aufgabe sei es, zu beantworten: „Wer hat was, wann, wie, warum gemacht?“ Dabei müsse auch die Frage beantwortet werden, ob es sich bei einem Vorfall um ein isoliertes Ereignis handelt oder ob es im Unternehmen ein strukturelles Problem mit Diskriminierung gibt.
Demnach sei Sexismus in deutschen Unternehmen auch im Jahr 2023 ein „unterschätztes Problem“, welches sich nicht nur auf die Betroffenen negativ auswirkt, sondern auch auf das Unternehmen selbst. Döscher sei überrascht, wie „unbekümmert“ gewisse Äußerungen immer noch getätigt werden, weil die beschuldigte Person noch nie damit konfrontiert wurde.
Bei diesen Sexismus-Fällen wird ermittelt
Die Fälle, bei denen sie ermittelt, haben eine große Bandbreite, so Döscher. Von fehlender körperlicher Distanz, sexistischen Kommentaren bis hin zu problematischen Chatverläufen sei alles dabei. Die Forensikerin weist auch darauf hin, dass Sexismus „subjektiv empfunden“ wird.
Vermehrt gehe jedoch um digitale Kommunikation. Döscher zufolge passiere es leicht, dass in Chatverläufen zwischen Kolleg:innen das Private mit dem Beruflichen vermischt wird, sowohl beim Vokabular als auch beim Inhalt. Auch die Verwendung von Emojis wie Herzchen, Herzchen-Augen oder Kuss-Smileys, kann von Empfänger:innen der Nachricht als unangemessen und grenzüberschreitend empfunden werden. Döscher betont, dass gerade bei diesen Vorfällen die Beachtung des Kontexts besonders wichtig ist.
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