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Mehr Disziplin im Alltag: Verhaltenstherapeut erklärt, worauf es ankommt

Mehr Disziplin im Alltag: Verhaltenstherapeut erklärt, worauf es ankommt
Foto: CC0 / Unsplash - Miguel Bruna

Disziplinierte Menschen gelten als durchsetzungsfähig und verlässlich. Eigenschaften, die von großem Nutzen sein können. Ein Verhaltenstherapeut erklärt: Disziplin braucht vor allem Selbstkontrolle. Gleichzeitig kritisiert er die leistungsorientierte Sichtweise auf das Thema.

Ein Blick in die Forschung macht deutlich: Für einen disziplinierten Lebensstil braucht es vor allem Selbstkontrolle. Klaus-Martin Krönke ist Verhaltenstherapeut. Er forscht an der TU Dresden zum Thema Selbstkontrolle und Disziplin. In einem Interview mit der Zeit erklärt der Experte, was man Selbstkontrolle trainieren kann – und welche Strategien dabei helfen können.

Disziplin: Ist Selbstkontrolle der Schlüssel?

Wer lange keinen Sport gemacht hat, weiß wie anstrengend es sein kann, sich wieder aufzuraffen. Was wir im Alltag gerne als den sprichwörtlichen inneren Schweinehund bezeichnen, das nennt die Verhaltenstherapie „Selbstkontrolle„: Die Fähigkeit, Versuchungen zu widerstehen und sich von Ablenkungen nicht so leicht vom Ziel abbringen zu lassen, erklärt Krönke.

Demnach bestehe Selbstkontrolle aus zwei Aspekten: Zum einen aus der kognitiven Kontrolle. Also der Fähigkeit, Aufmerksamkeit flexibel einzusetzen. Das ermöglicht einem, das Verhalten in Einklang mit den selbstgesteckten Zielen zu bringen. „Zum Beispiel, wenn wir uns auf die Vorlesung konzentrieren, obwohl die Person neben uns ständig spricht.“

Zum anderen betrifft Selbstkontrolle die Fähigkeit des Abwägens. „Selbstkontrollierte Menschen treffen, insbesondere bezogen auf ihre langfristigen Ziele, bessere Entscheidungen als weniger selbstkontrollierte Menschen“, weiß Krönke aus der Forschung.

Selbstkontrolle ließe sich dem Forscher zufolge sogar ganz konkret messen: Bei Experimenten habe sich gezeigt, dass Proband:innen mit einer besseren Selbstkontrolle eine höhere Hirnaktivität im präfontalen Kortex gehabt hätten. „Wie bei allen anderen biologischen Funktionen ist auch für Hirnfunktionen anzunehmen, dass deren Veränderbarkeit genetisch begrenzt ist“, erklärt Krönke. Das hieße aber nicht, dass wir kognitive Kontrolle nicht auch üben können.

Kann man Selbstkontrolle üben?

Die Macht der Gewohnheit“ scheint demnach keine hohle Phrase zu sein. Krönke ist davon überzeugt, dass mehr Selbstkontrolle im Alltag nicht ohne ein kritisches Hinterfragen von Gewohnheiten zu erreichen sei. Dabei sei es besonders wichtig, Gewohnheiten, die einen bei der Selbstkontrolle versagen lassen, nicht einfach abzulegen. Sondern mit neuen nützlichen Gewohnheiten zu ersetzen. „Statt des Biers kann das die kühle Apfelschorle sein, aber auch größere Dinge wie Gartenarbeit oder Zeit für Partnerschaft und Hobbys“, nennt Krönke als Beispiel.

Nicht weniger hilfreich sei es außerdem, sich Verbindlichkeiten zu schaffen, indem man sich gemeinsam mit Freund:innen zum Sport verabredet, statt allein zu gehen. So habe man einen weiteren Antrieb für selbstkontrolliertes Verhalten, schließlich wolle man seine Freund:innen nicht enttäuschen.

Ein anderer Weg, sei sich das Ziel wortwörtlich in den Weg zu legen: „Ich kann mir die Sportschuhe außerdem jeden Abend vor die Haustüre stellen, damit ich am nächsten Tag darüber falle und so ans Laufen erinnert werde“, schildert Krönke.

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Prävention als weitere Strategie

Neben der Verstärkung nützlicher Gewohnheiten, sei auch Prävention eine effektive Strategie, um potentielle Ablenkungen von eigenen Zielen zu umschiffen. Schließlich helfe es, diszipliniert zu sein, wenn es erst keine Möglichkeit gibt, sich abzulenken. Man könne das Handy in der Prüfungsphase wegsperren, die App-Nutzungszeiten beschränken, ungesunde Lebensmittel gar nicht erst kaufen, oder Orte und Umfelder meiden, die einen in alte Muster zurückwerfen.

„So mache ich mir das Leben leichter, weil ich weniger Energie für kognitive Kontrolle aufbringen muss“, ordnet Krönke ein.

Dabei weiß man aus Erfahrung: Gewohnheiten werden immer leichter einzuhalten, desto länger man sie praktiziert. Wer seit Jahren Sport treibe, der brauche viel weniger kognitive Kontrolle, als jemand, der wegen eines Urlaubs oder einer Verletzung lange pausieren musste. Umso wichtiger, so Krönke, dass man sich selbst nicht unfair behandelt, um dem Selbstbewusstsein nicht zu schaden. „Wer sich selbst einen Versager nennt, nur weil man es nicht zum Sport geschafft hat, fühlt sich schlecht und wird umso weniger fähig dazu sein, eigene Ziele selbstbewusst zu verfolgen“, erklärt Krönke.

Hilfreiche Gedanken seien dagegen nützlich. Beispielsweise reiche es, sich klar zu machen, dass es kein Weltuntergang ist, wenn man es mal eine Woche nicht zum Sport geschafft hat.

Vorsicht vor Selbstoptimierung: Der Weg ist das Ziel

Auf die Frage, warum einige Menschen undisziplinierter seien als andere, kritisiert Krönke die leistungsorientierte Sichtweise auf Disziplin: „Bevor ich irgendjemand als faul bezeichnen würde, würde ich mir ganz genau ansehen, warum eine Person sich vermeintlich undiszipliniert verhält“. Er merkt an, dass es verschiedene Gründe für ein solches Verhalten gebe, wie die körperliche oder psychische Gesundheit.

Außerdem seien es oftmals auch die Wertvorstellungen anderer, die einen Menschen undiszipliniert erscheinen lassen. „Das muss überhaupt nichts mit Disziplin oder Selbstkontrollversagen zu tun haben, sondern kann eine Sache der eigenen Wertvorstellungen, Wünsche und der eigenen Motivation sein“, weiß Krönke. Wer es beispielsweise als unwichtig erachtet einen Marathon zu laufen, der wird kaum die Motivation aufbringen, das nötige Verhalten zu entwickeln – um dieses Ziel zu erreichen. In der Konsequenz geht dieser Mensch einfach seltener joggen als jemand, der sich dieses Ziel gesetzt hat.

Um seine eigenen Ziele zu erreichen, bedürfe es vor allem einer sinnvollen Fomulierung der Ziele. So sei es wichtig sich messbare und spezifische Erfolge zu setzen. Krönke erklärt: „Wenn ich für mich die Werte Pünktlichkeit und Treue als wichtig festlege, werde ich motivierter sein, Zuspätkommen und Seitensprünge zu vermeiden“. Scheitert es schon bei der Formulierung des Ziels, sei es in der Konsequenz viel schwieriger die langfristigen Auswirkungen seines Verhaltens abzuwägen. So kommt der Experte zu dem Schluss, dass erst konkret formulierte Ziele die Möglichkeit bieten, Selbstkontrolle zu üben.

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