Am heutigen Mittwoch treten Neuerungen bei den EU-weiten Regelungen in Kraft. Verbraucherschützer:innen kritisieren, dass dies nicht immer zugunsten der Bahnreisenden passiert.
Bei Zugausfällen und -verspätungen müssen Bahnunternehmen in der EU keine Entschädigungen mehr zahlen, wenn außergewöhnliche Umstände der Grund sind. Das geht aus der Neufassung der EU-Verordnung „über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr“ hervor, die am 7. Juni in Kraft treten. Was kommt da auf Bahnreisende zu? Ein Überblick:
Kommt der Zug mehr als eine Stunde zu spät am Zielbahnhof an, kann man 25 Prozent des Fahrpreises zurückverlangen, bei mehr als zwei Stunden sogar 50 Prozent. Bisher hat dabei die Ursache für die Verspätung keine Rolle gespielt. Das ändert sich.
Ab dem 7. Juni gibt es Szenarien, bei denen der Entschädigungsanspruch entfällt. Konkret sind sie in Artikel 19 der neuen Verordnung festgeschrieben.
Außergewöhnliche Umstände kommen ins Spiel
Darunter fallen außergewöhnliche Umstände, die nicht im Einflussbereich des Bahnunternehmens liegen, etwa extreme Witterung, Menschen auf den Gleisen oder Kabeldiebstahl. Wichtig: Streiks des Bahnpersonals zählen nicht dazu.
Reicht künftig also schon ein Wintereinbruch, um die Entschädigung auszuschließen? Gerade die Frage, was extremes Wetter im Sinne dieser Verordnung ist, wird noch Gerichte beschäftigen, schätzt Gregor Kolbe vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Seine Befürchtung lautet: „Die Bahnunternehmen werden das nun häufiger nutzen, um Forderungen abzulehnen.“
Das erinnert an die EU-Fluggastrechte-Verordnung, deren Auslegung Gerichte regelmäßig beschäftigt. Hier geht es bei pauschalen Entschädigungssummen mit einer Spanne von 250 bis 600 Euro aber in aller Regel auch um wesentlich mehr Geld als bei den Bahnerstattungen, wo es oft nur zweistellige Beträge sind.
Deshalb fürchtet Kolbe auch: Im Zweifel werden Bahnreisende wohl häufiger keine rechtlichen Schritte einleiten, obwohl die vielleicht gerechtfertigt wären – einfach, weil der Aufwand nicht lohnt.
DB: Bei „gewöhnlichen Unwettern“ wird weiter entschädigt
Nach Ansicht der Deutsche Bahn hat die Art und Weise, wie das Unternehmen die neuen EU-Regeln umsetzen wird, kaum Auswirkungen auf die meisten Kund:innen.
„Gewöhnliche Unwetter sind explizit ausgenommen“, sagte Stefanie Berk, Marketing-Vorständin bei der DB Fernverkehr AG, mit Blick auf die neuen Einschränkungen bei den Entschädigungen.
Ein Beispiel für ein außergewöhnliches Naturereignis im Sinne der EU-Regeln wäre die Jahrhundertflut im Ahrtal im Sommer 2021 gewesen. Wobei man in solchen Fällen auch künftig kulante Regelungen treffen und dem Kunden entgegenkommen wolle.
Fälle, wo die Deutsche Bahn künftig nicht mehr entschädigen wird, seien Kabeldiebstähle, Notfälle im Zug oder Personen im Gleis, die ebenfalls in der neuen EU-Verordnung genannt werden. Solche Szenarien machen laut Berk aber nur einen verschwindend geringen Anteil der Fahrgastrechte-Fälle aus, die bei der Deutschen Bahn landen.
Wichtig: Auf außergewöhnliche Umstände können sich Bahnunternehmen nur bei Entschädigungsforderungen berufen. Weitere Pflichten bleiben davon unberührt: Etwa, dass bei größeren Verspätungen die Weiterreise auf anderem Weg organisiert werden muss oder sich der Fahrgast den Fahrpreis erstatten lassen kann (Artikel 18 der Verordnung).
Hotelunterbringung kann in bestimmten Fällen begrenzt werden
Davon unberührt ist weitgehend auch das Recht auf Hilfeleistungen bei Verspätungen von mehr als einer Stunde oder Zugausfällen – etwa, dass das Bahnunternehmen sich um Mahlzeiten und Erfrischungen in einem angemessenen Verhältnis zur Wartezeit und gegebenenfalls um die Unterbringung in einem Hotel kümmern muss.
Eine kleine Änderung gibt es bei der Hotelunterbringung. Sind außergewöhnliche Umstände die Ursache für die Zugausfälle, kann das Bahnunternehmen die Unterbringung im Hotel auf höchstens drei Nächte begrenzen, heißt es im Artikel 20 der Verordnung. So eine Einschränkung gab es vorher nicht.
Umbuchung künftig auf eigene Faust möglich – auf Bahnkosten
Von der Frage der Erstattung abgesehen, haben Reisende bei absehbaren Verspätungen von mehr als einer Stunde am Zielbahnhof generell die Wahl, ob sie sich den Fahrpreis erstatten lassen oder die Reise fortsetzen, beispielsweise bei Zugausfällen.
Weiterfahren können sie bei nächster Gelegenheit oder zu einem späteren Zeitpunkt ihrer Wahl, wobei sie stets auch eine andere, vergleichbare Verbindung wählen können. Die Option muss ihnen das Bahnunternehmen laut Verordnung (Artikel 18) bieten.
Ab 7. Juni gilt hier laut Europäischem Verbraucherzentrum (EVZ) zum einen: Man darf für die Weiterreise vom Bahnunternehmen auch auf den Zug eines anderen Anbieters umgebucht werden.
Und zum anderen: Bahnreisenden wird explizit das Recht zur selbst organisierten Weiterreise eingeräumt. Die entstandenen Kosten können dann vom Bahnunternehmen zurückgefordert werden.
Voraussetzungen: Passagier:innen müssen sich entweder die Zustimmung von Bahnunternehmen für die Umbuchung holen. Oder: Ihnen wurden vom Bahnunternehmen nicht binnen 100 Minuten nach der planmäßigen Abfahrtzeit, dem verpassten Anschluss oder dem ausgefallenen Verkehrsdienst alternative Weiterreise-Optionen mitgeteilt.
In so einem Fall kann man sich selbst um alternative Verbindungen kümmern. Einschränkung: Die Verordnung nennt hier explizit Bahn- oder Busverbindungen anderer „öffentlicher Verkehrsdienste“. Das wiederum sehen die Verbraucherschützer:innen kritisch.
So begrüßt man beim EVZ zwar, dass es fortan die Möglichkeit gibt, die Umbuchung selbst zu organisieren. Denn: „Viele Bahnunternehmen haben in der Vergangenheit keine Umbuchung angeboten“, berichtet EVZ-Jurist André Schulze-Wethmar. „Außerdem haben sie es häufig abgelehnt, für die Kosten von selbst organisierten Umbuchungen aufzukommen.“
Aber: Dass etwa Flüge als Umbuchungsoption nicht mit genannt werden, sieht er kritisch. „Gerade bei langen grenzüberschreitenden Fahrten ist die Umbuchung auf ein Flugzeug häufig die praktikabelste und nicht selten die kostengünstigste Lösung“, so Schulze-Wethmar. Mietwagen werden ebenfalls nicht in der Verordnung genannt.
Mehr Rechte bei Durchgangsfahrkarte
Angenommen, eine Person bucht eine Nachtzugfahrt bei einem Anbieter und ein Ticket bei einem zweiten Bahnunternehmen, um zum Abfahrtsort des Nachtzugs zu fahren. Dann fällt genau dieser Zug aus, weshalb die Person nicht ankommt und der Nachtzug ohne sie abfährt. In solch einem Fall hat die Person zwar Erstattungsansprüche für das erste Ticket, auf den Kosten für das verfallene Nachtzugticket aber bliebt sie sitzen.
Es sei denn, die Person hat beide Tickets als Durchgangsfahrkarte gebucht – diese ist für die komplette Strecke samt Umstiege gültig. Für solche Tickets schafft die neue EU-Verordnung in Artikel 12 mehr Rechte für Bahnreisende, lässt aber zugleich weiter Schlupflöcher für Unternehmen, wie Verbraucherschützer:innen kritisieren.
Zusammengefasst: Kaufen Personen eine Reise mit mehreren Anschlüssen oder mehreren Fahrkarten innerhalb einer geschäftlichen Transaktion bei einem Bahnunternehmen, gilt das als Durchgangsfahrkarte. In dem Fall stehen Bahnreisenden für die gesamte Bahnreise die normalen Bahngastrechte mit Erstattungsansprüchen und Co zu.
Haben sie dagegen mehrere Fahrkarten innerhalb einer geschäftlichen Transaktion bei einem unabhängigen Fahrkartenverkäufer oder einem Reiseveranstalter gekauft, der diese Tickets selbst zu einer Reise kombiniert, und verpassen einen Anschluss, gilt laut EU-Verordnung ab 7. Juni: Der Anbeiter muss den gesamten Ticketpreis erstatten und zusätzlich 75 Prozent des Ticketpreises als Entschädigung hinblättern.
Was bei getrennten Beförderungsverträgen gilt
Klingt super, hat aber einen Haken: Wird man auf den Fahrkarten oder auf einem ergänzenden Informationsblatt noch vor dem Kauf darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Fahrkarten getrennte Beförderungsverträge darstellen, gelten diese Rechte nicht.
Fachmann Kolbe vom Bundesverband der Verbraucherzentralen stellt klar, was das bedeutet: „Steht also im Kleingedruckten, das es sich um zwei getrennte Fahrkarten handelt, haben sie keine durchgängigen Fahrgastrechte. So bleiben Schlupflöcher offen.“
Es bleibt Bahnreisenden im Zweifel nur, vor dem Kauf genau nachzulesen oder beim Anbieter nachzufragen, ob es sich um eine Durchgangsfahrkarte handelt, wenn sie für mögliche Probleme auf der Reise die Fahrgastrechte durchgängig auf ihrer Seite wissen wollen.
Problem bei langen Reisen bleibt oft ungelöst
Die neuen Regelungen zu den Durchgangsfahrkarten lösen nach Ansicht von André Schulze-Wethmar vom Europäischen Verbraucherzentrum aber das wesentliche Problem gerade längerer Bahnreisen noch nicht.
Denn bei grenzüberschreitenden Fahrten sind meist verschiedene Bahnunternehmen beteiligt. Aber die in der neuen Verordnung festgeschriebene Verpflichtung an einzelne Bahnunternehmen, zumindest für alle von ihnen betriebenen Verkehrsdienste Durchgangsfahrkarten anzubieten, greife an der Stelle nicht, kritisiert Schulze-Wethmar.
„Uns erreichten bereits in der Vergangenheit viele Beschwerden, dass bei langen Strecken keine Durchgangsfahrkarte angeboten wird“, so Schulze-Wethmar. „Stattdessen mussten Teilstrecken im Ausland separat gebucht werden.“ Wenn sich der Zug verspätet und der Anschluss deshalb verpasst wird, müssen Bahnreisende also auch in Zukunft in solchen Fällen die Kosten für Umbuchungen selbst tragen.
Kürzere Frist für die Beschwerde – DB kündigt Kulanz
Die Frist, um bei Verspätung oder Zugausfall beim Bahnunternehmen Geld zurückzufordern, liegt bislang bei einem Jahr nach Ablauf der Gültigkeit der Fahrkarte, berichtet das EVZ. So handhabt es auch die Deutsche Bahn.
Künftig müssen Reisende hier womöglich schneller tätig werden. Drei Monate nach dem Vorfall muss die Beschwerde spätestens eingereicht werden, heißt es in Artikel 28 der neuen Verordnung.
Die Deutsche Bahn will das aber nicht so streng handhaben, hat Marketing-Vorständin Berk angekündigt. „Wir werden auch danach noch Anträge annehmen„, sagte sie. Im Zweifel gelte hier die bisher bei der DB angewendete Frist von einem Jahr weiterhin.
In der Praxis ist das ohnehin selten ein Thema, wenn man Berk folgt: „Schon heute werden 97 Prozent aller Anträge binnen 90 Tagen eingereicht.“
Wo die EU-Verordnung gültig ist
Die Verordnung zu den Bahngastrechten gilt für den Fern- und Nahverkehr in allen EU-Mitgliedsstaaten sowie in Island, Liechtenstein und Norwegen. Sie legt die Mindestanforderungen fest. Das heißt: Die einzelnen Staaten können noch verbraucherfreundlichere Regeln festlegen.
In Deutschland gibt es zwei Beispiele für verbraucherfreundliche Regeln aus der hierzulande geltenden Eisenbahn-Verkehrsverordnung (EVO), die über die EU-Bahngastrechteverordnung hinausgehen:
Was darüber hinaus in Deutschland gilt
So können Inhaber:innen eines Regionalzug-Tickets laut Artikel 8 der EVO unter bestimmten Umständen alternativ auch auf einen höherwertigen (nicht reservierungspflichtigen) Zug – zum Beispiel einen ICE – umsteigen, wenn die Verspätung am Zielbahnhof absehbar mehr als 20 Minuten betragen wird. Dafür muss man zwar erst mal ein ICE-Ticket kaufen, kann die Kosten aber später zurückfordern.
Und: Wenn die planmäßige Ankunftszeit zwischen 0.00 und 5.00 Uhr liegt und eine Verspätung am Zielbahnhof von mindestens einer Stunde absehbar ist, können Regioticket-Inhaber:innen auch mit einem anderen Verkehrsmittel ans Ziel fahren, etwa mit einem Taxi.
Das ist ebenso möglich, wenn es sich um die letzte fahrplanmäßige Verbindung des Tages handelt, diese ausfällt und man dann ohne andere Verkehrsmittel nicht mehr bis 24.00 Uhr am Zielbahnhof ankommen kann.
Für diese beiden Fälle sieht die EVO, die ebenfalls überarbeitet wurde, künftig einen erstattbaren Höchstbetrag von 120 Euro vor, bisher sind es 80 Euro. Die neue EVO tritt, parallel zur neuen EU-Verordnung, am 7. Juni in Kraft.
Wohin mit der Beschwerde?
Jedes größere Bahnunternehmen und jeder größere Bahnhof mit im Jahresschnitt über 10.000 Passagier:innen pro Tag muss der EU-Verordnung zufolge Verfahren zur Beschwerdebearbeitung einrichten.
Bei der Deutschen Bahn lässt sich die Beschwerde für Tickets, die über ein Kundenkonto gekauft wurden, online auf bahn.de oder in der DB-Navigator-App anstoßen.
Oder: Man füllt ein Fahrgastrechte-Formular aus und schickt es per Post an das Servicecenter Fahrgastrechte in 60647 Frankfurt/Main. Teils gibt es Entschädigungen auch direkt beim DB-Reisezentrum.
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