Eine neue Studie zeigt: Der im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans angestrebte Straßenbau könnte dem Klima viel mehr schaden als angenommen. Das sorgt für Kritik.
Geht es um den Aus- oder gar Neubau von Fernstraßen, sorgen umweltrelevante Fragen häufig für Diskussionen. Ist es etwa legitim, Waldflächen abzuholzen, damit Autofahrer:innen von kürzeren Wegen profitieren? Wann ein Straßenbauprojekt mehr nutzt oder schadet, ist somit oftmals eine schwierige Entscheidung.
Der Umweltverband Transport & Environment (T&E) hat nun in einer Studie untersucht, inwiefern sich bisherige Vorhaben des Bundesverkehrswegeplans (BVWP) 2030 auf die Umwelt auswirken könnten. Die Studie liegt Zeit Online vor. Demnach schade der geplante Aus- und Neubau von Autobahnen und Bundesstraßen im Rahmen des BVWP dem Klima neunmal mehr als bislang in offiziellen Berechnungen angenommen wurde.
Im 2016 von der Bundesregierung beschlossenen BVWP geht es um insgesamt mehr als 8.100 Kilometer neu- und auszubauender Straßen. Bereits vergangene Woche stufte der Bundestag 138 Projekte mit etwa 1.000 Kilometern als „in überragendem öffentlichem Interesse“ ein, um ihren Ausbau zu fördern.
Für die Projekte im BVWP wurde eine Kosten-Nutzen-Analyse erstellt, die mögliche Vorteile des Straßenaus- und Neubaus negativen Faktoren gegenüberstellt. Zu letzteren gehören etwa Lärm, Schadstoffausstoß und ein Preis für Schäden durch CO2-Ausstoß bei Bau und Betrieb der Strecke. Laut T&E sind diese Berechnungen jedoch unrealistisch.
Klimaschädlicher Straßenbau? Kritik an Rechnung des BVWP
Wie Zeit Online berichtet, kritisiert der Umweltverband verschiedene Punkte.
Einerseits unterschätze der BVWP in seinen Berechnungen, in welchem Ausmaß neue oder breitere Straßen zu mehr Verkehr führen. Selbst bei vorsichtiger Rechnung würde die Verkehrszunahme durch Ausbauarbeiten für Autos achtmal größer ausfallen als im BVWP angenommen. Für Lkw sei sie sogar um das 36-fache höher.
Das würde sich laut des NGO-Dachverbands drastisch auf die Ergebnisse der Kosten-Nutzen-Analyse auswirken: Mehr als ein Drittel der geplanten Straßenkilometer wären dann nicht mehr zu rechtfertigen, da die gesamtgesellschaftlichen Kosten durch Folgen für Umwelt und Klima ihren Nutzen übersteigen.
Zweitens kritisiert der Verband, dass der Schaden durch CO2 zu gering beziffert würde – nämlich mit 145 Euro pro Tonne. Das entspricht einer Empfehlung des Umweltbundesamts von 2012. Seit 2020 aber hat die Behörde die Zahl auf 700 Euro korrigiert. Laut der T&E-Analyse wären drei von vier geplanten Kilometern unwirtschaftlich, hätte man den zunehmenden Verkehr realistisch eingeschätzt und die CO2-Bepreisung aktualisiert.
T&E fordert Überarbeitung bestehender Pläne
T&E hat die Bundesregierung aufgefordert, die bisher vorgelegten Pläne zur Umstrukturierung der Verkehrswege zu überarbeiten. Dafür schlägt der Verband eine Bedarfsplananalyse vor, welche gesetzlich alle fünf Jahre durchgeführt werden soll. Auch im Zuge des Bundesverkehrs- und Mobilitätsplans 2040, der aktuell ausgearbeitet wird, könnte man vorgesehene Maßnahmen erneut überprüfen.
Laut Benedikt Heyl, dem Autor der T&E-Analyse, fällt eine Kosten-Nutzen-Rechnung negativ aus: Die „enormen Summen„, die die Bundesregierung trotz Sparkurs für neue Fernstraßen bereitstellen will, stünden nicht im Verhältnis zum tatsächlichen Nutzen für Bürger:innen. Dabei fehle Geld für das 49-Euro-Ticket und marode Schienen.
Straßenneubau und -ausbau erschwert das Erreichen der Klimaziele
Es gibt aber auch Kritik an der Straßenbau-Analyse von T&E: Markus Friedrich, Professor für Verkehrsplanung an der Universität Stuttgart, hält die Zahlen für zu hoch gegriffen. Die Berechnung vereinfache die Realität, erklärt er gegenüber Zeit Online.
Beispielsweise könne der Verkehr auf einer Landstraße ebenso gut abnehmen, wenn eine Autobahn gebaut wird. Der Experte bestätigt aber, dass im Bundesverkehrswegeplan CO2-Emissionen womöglich unterschätzt werden.
„Straßenneubau und -ausbau erschwert es, die Klimaziele zu erreichen„, so Friedrich. Er verweist auf die wichtige Rolle von Elektroautos für CO2-Emissionen im Verkehr, deren Anteil weiter steigen soll. Doch Technologie allein scheint nicht die Lösung zu sein. „Wir sollten uns unabhängig von Kosten-Nutzen-Rechnungen überlegen, wie viel Verkehr wir brauchen und aushalten wollen – auch wenn die Fahrzeuge irgendwann CO₂-neutral unterwegs sind“, rät der Experte.
Verwendete Quelle: Zeit Online
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