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Psychisch gesund bleiben trotz Corona: Expertin gibt Tipps für den Winter

Was tun, wenn der Herbstblues kommt?
Foto: Pixabay/CC0/PDPics

Kein Bock mehr auf Einschränkungen, Wut auf Impfskeptiker:innen, und Bangen mit Blick auf den zweiten Corona-Winter – doch was kann man schon dran ändern? Einiges. Dr. Iris Hauth hat uns im Gespräch erklärt, wie sich die Pandemie über lange Zeit sich auf unser Hirn auswirkt und was man jetzt für die eigene Psyche tun kann.

Inzwischen ist Corona Alltag, wir sind mitten in der vierten Welle – und die psychischen Auswirkungen sind andere als zu Anfang der Pandemie. Wie genau diese aussehen und was wir tun können, um psychisch gesund zu bleiben, darüber haben wir mit Dr. Iris Hauth gesprochen.

Dr. Hauth ist ärztliche Direktorin des Alexianer St. Joseph-Krankenhauses Berlin-Weißensee, einem Fachkrankenhaus für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Sie hat uns im Gespräch erklärt, wieso wir gerade zu Wut und auch anderen Emotionen wie „Pandemie-Müdigkeit“ neigen – und wie wir damit umgehen können.

Erklärung aus der Hirnforschung: Wieso wir schneller wütend und gereizt reagieren

Utopia: Frau Dr. Hauth, über kurzzeitige Folgen der Pandemie wurde schon viel gesprochen. Nun leben wir seit fast zwei Jahren mit Corona – wie wirkt sich das auf uns aus?

Dr. Iris Hauth: Die Pandemie stellt uns seit 21 Monaten vor eine Herausforderung unbekannten Ausmaßes und dies weltweit. Das löst in uns unterschiedliche Emotionen aus, einerseits Angst, andererseits Herausforderung durch unterschiedliche Regelungen und Gesetze. Dazu kommt die Schwierigkeit, sich zwei Jahre lang immer wieder einzuschränken und zwischendurch immer wieder soziale Kontakte zu reduzieren sowie den Alltag neu zu organisieren, zum Beispiel aufgrund von Homeoffice und Homeschooling. Vor allem die Dinge, die Freude bringen, wie Reisen oder Kulturveranstaltungen, waren lange Zeit sehr eingeschränkt. Hinzu kommt, dass das Ende nicht absehbar ist und dies bringt in der Summe eine gewisse Perspektivlosigkeit mit sich – verbunden mit dem Gefühl des Ausgeliefertseins, des Kontrollverlustes.

Dr. med. Iris Hauth hat mit uns über die Langzeit-Auswirkungen von Corona auf die Psyche gesprochen.
Dr. med. Iris Hauth (Foto: Claudia-Burger)

Ein weiteres Gefühl, mit dem wir seit dem Beginn von Corona immer wieder konfrontiert werden, ist Wut – zum Beispiel auf die Politik, Impfgegner:innen oder Impfbefürworter:innen, oder einfach Menschen mit anderen Meinungen.

Ja, das lässt sich zum Beispiel hirnphysiologisch erklären: Wir haben ein „soziales Gehirn“, das an soziale Routinen gewöhnt ist, zum Beispiel an Treffen mit der Familie oder dem Freundeskreis. Nette soziale Kontakte führen dazu, dass unser Belohnungssystem, der Nukleus accumbens, das Glückshormon Dopamin ausschüttet. Durch Corona ist der Nukleus accumbens bei vielen allerdings schon lange nicht mehr anhaltend positiv stimuliert worden.

Bei anhaltendem Unwohlsein oder Stress schütten wir vermehrt Cortisol aus und das aktiviert die Amygdala. Diese Region ordnet Sinneseindrücke ein und setzt sie in Emotionen um. Die stärksten Emotionen unter chronischem Stress sind negative, wie Angst, Trauer oder eben Wut. Bei Überstimulation wird die Amygdala sensibler und neigt besonders bei negativen Emotionen dazu, überzureagieren. Dies wird in Gereiztheit und gegebenenfalls in Wut ausgedrückt.

„Pandemie-Müdigkeit“ und andere Reaktionen

Im ersten Corona-Winter sind wir davon ausgegangen, dass es der einzige sein würde. Nun sind viele Menschen frustriert. Deutschlandfunk hat zum Beispiel von einer „Pandemie-Müdigkeit“ gesprochen. Lässt sich das aus psychologischer Sicht erklären?

Seit unserer Kindheit haben wir gelernt „Wir sind selbstbestimmt, wir können uns selbstverwirklichen“. Die andere Seite – verzichten, zurückstecken, auf andere Rücksicht nehmen und sich für die Gemeinschaft einsetzen – trat in den letzten Jahrzehnten eher in den Hintergrund. Seit Beginn der Pandemie wird von uns aber gefordert, unsere eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, Rücksicht auf die Gemeinschaft zu nehmen.

Man kann sein Verhalten zwar für eine gewisse Zeit ändern, vor allem, wenn man ein Licht am Ende des Tunnels sieht. Zu Beginn der Pandemie hat das ja noch gut geklappt, wir haben uns gemeinsam solidarisch gezeigt. Auf Dauer ist so eine Verhaltensänderung aber schwer aufrecht zu erhalten – das erklärt aus meiner Sicht diese „Pandemie-Müdigkeit“, die gerade viele verspüren.

Nach so vielen Monaten der Verhaltensänderung mag sich vielen der Eindruck aufdrängen, dass sie nicht mehr selbstbestimmt handeln können und die Kontrolle verloren haben. Psychologisch kann das zu einer Reaktion wie „Ist mir egal, ich halte mich nicht an die Regeln“ führen. Oder im schlimmsten Fall zu Wut, verbunden mit dem Wunsch, zur Normalität zurückzukehren.

Psychisch gesund durch den Corona-Winter

Ein bewusster Umgang mit der Situation kann helfen.
Ein bewusster Umgang mit der Situation kann helfen. (Foto: CC0 Public Domain – Pixabay/ nickype)

Und wie sollen wir mit dieser Wut oder anderen Emotionen umgehen?

Das Allerwichtigste ist, dass wir bewusst mit der Situation umgehen. Also sowohl mit anderen als auch alleine aktiv darüber nachdenken und nicht die Verantwortung auf andere schieben, wie zum Beispiel die Regierung oder andere Menschen. Hier hilft die Betrachtung durch die positive Psychologie: Die Situation ist so, wie sie ist, da kann niemand etwas dafür. Aber was kann ich aus ihr machen, kann ich vielleicht sogar etwas daraus lernen, mich weiterentwickeln, meine Resilienz stärken?

Zum Beispiel im Bezug zu Nachhaltigkeit: Vielleicht können wir daraus lernen, dass es nicht der Flieger nach New York zu Weihnachten sein muss, und längerfristig andere Verhaltensweisen für uns ableiten? So könnten wir das Ganze als Wachstums- oder Reifeaufgabe begreifen. Wenn wir die Perspektive wechseln und die Situation als solche annehmen, empfinden wir sie auch nicht mehr als Kontrollverlust.

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) gibt einige weitere pragmatische Tipps zum Umgang mit der Pandemie, zum Beispiel: Den Tag strukturieren, möglichst im sozialen Kontakt mit Freunden sein, über Gefühle sprechen – auch über negative. Wer Unterstützung braucht, der kann e-Health-Angebote wahrnehmen, beispielsweise über die Plattform „Hello Better“.

Nun wünschen wir uns aber trotzdem soziale Kontakte. Was ist hier das richtige Maß?

Für die Psyche ist es wichtig, mit Menschen, die einem wirklich wichtig sind, im Austausch zu bleiben. Natürlich muss man sich dabei an geltenden Regelungen orientieren. Doch viele Menschen braucht es dazu nicht. Und weiter entfernte Angehörige oder Freunde lassen sich per Videocall oder Skype kontaktieren.

Anfangen kann man schon im häuslichen Umfeld: Damit meine Amygdala und mein Nukleus accumbens Glücksgefühle generieren, reichen schon kleine Dinge. Zum Beispiel den Liebsten ein schönes Geschenk machen, ein gemeinsames Essen, einen schönen Film anschauen. Also: Im engen Kreis schöne Ereignisse erleben, und das Gefühl schaffen, sich seelisch nahe zu sein, und sich Freude zu bereiten.

Danke für das Gespräch!

Mehr Tipps von Dr. Hauth und anderen Expert:innen findest du hier:

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