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Selbsthilfe für das „innere Kind“: Wann die Metapher problematisch wird

Der Ansatz des "inneren Kinds" kann problematisch sein
Foto: Unsplash / Ben White

Viele Ratgeber, Videos und Artikel zu Selbsthilfe empfehlen, sich stärker mit dem „inneren Kind“ auseinanderzusetzen. Dieser Ansatz hat jedoch seine Fallstricke, wie ein Psychologe erklärt.

Der Begriff des „inneren Kindes“ ist in Selbsthilfe-Ratgebern zu einem beliebten Trend-Begriff herangewachsen. Lernen Erwachsene, dieses „Kind“ in sich zu verstehen und gehen sie liebevoll mit ihm um, sollen sich Probleme im Hier und Jetzt lösen lassen.

Jedoch ist der Begriff des inneren Kindes in der Forschung jedoch nicht klar definiert. Er kommt viel mehr symbolhaft zum Einsatz und steht dabei für Erlebnisse und Gefühle aus der Kindheit. Widmen sich Menschen also stärker ihrer Kindheit, sollen sie auch aktuelle Gefühle und Krisen besser verstehen und so überwinden können.

Prof. Dr. Wolfgang Lutz, Psychologe an der Universität Trier, findet es problematisch, diesen Ansatz zu pauschalisieren. Im Gespräch mit dem ZDF erklärt er: „Man muss natürlich etwas aufpassen, dass man sich nicht in diesem Biografischen mehr oder weniger verliert, sondern dass Probleme letzten Endes immer im Hier und Jetzt lösbar sind.

So könne die Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit zwar durchaus hilfreich sein. Das gelinge jedoch nur im Rahmen einer professionellen Psychotherapie und nicht in Eigenregie. Zudem sind laut Lutz auch nicht alle Probleme auf Erlebnisse aus der Kindheit zurückzuführen.

„Inneres Kind“: Das Esoterik-Problem der Selbsthilfeliteratur

Gegenüber dem Wissenschaftsmagazin Spektrum erklärt Lutz, dass es sich bei dem „inneren Kind“ um eine Art Metapher handle, die teilweise in der Psychotherapie verwendet wird. Es sei jedoch kein einheitliches Therapiekonzept und könne deshalb auch nicht auf seine Wirksamkeit untersucht werden. Schließlich kann die Auseinandersetzung mit der Kindheit zwar das Bewusstsein für eigene Verhaltensweisen und Gefühlswelten schärfen, doch gelöst sind die Probleme damit in der Regel noch nicht, so Lutz gegenüber dem ZDF.

Ein weiteres Problem: Selbsthilfeliteratur sei teilweise esoterisch geprägt. Die Esoterik wendet sich von wissenschaftlich fundierten Fakten ab und basiert auf der Idee, es gebe eine „nach innen gerichtete Wahrheit“, die nur für bestimmte Eingeweihte erfahrbar ist. So hat sich in esoterischen Ratgebern laut dem ZDF die Annahme etabliert, Erwachsene tragen tatsächlich ein Kind in sich, mit dem man in Kontakt treten könnte.

Wann ist der Ansatz sinnvoll?

Ob der Ansatz des „inneren Kindes“ also hilfreich ist oder nicht, hängt davon ab, wie er im Einzelnen definiert und angewendet wird. Da eine einheitliche wissenschaftliche Definition fehlt, kann er also auch nicht pauschal beurteilt werden.

Die Auseinandersetzung mit zurückliegenden Erfahrungen aus der Kindheit kann Lutz zufolge jedoch bei manchen Menschen durchaus hilfreich sein: „Das sind diese biografischen Elemente, mit denen man dann durchaus auch therapeutisch arbeiten kann.“ So können die Ursachen für aktuelle Handlungsmuster zum Beispiel auf die Bindungen zu den Eltern oder Traumata aus der Kindheit zurückzuführen sein. Diese Zusammenhänge zu erkennen, genügt jedoch nicht.

So müssen laut Lutz mit dem Bewusstsein für diese Zusammenhänge dann Handlungsoptionen ausgearbeitet werden, die den Betroffenen helfen, sich in bestimmten Situationen anders zu verhalten. Wie diese Handlungsoptionen genau aussehen können, unterscheidet sich von Fall zu Fall und sollte deshalb mit professionellen Therapeut:innen ausgehandelt und nicht (nur) auf Basis von Selbsthilfeliteratur entschieden werden.

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