Binnen-I und Sternchen: In Schulen und im Job wird über das Gendern diskutiert. Wie sieht eine geschlechtergerechte Schreibweise aus? Nun spielt das Thema auch in Koalitionsgesprächen eine Rolle.
Der Streit um das Gendern mit Doppelpunkt, Binnen-I, Unterstrich oder Sternchen kocht inzwischen auch in der Politik hoch. Dabei spielen neben Begriffen wie Gleichberechtigung und Inklusion zunehmend auch Wörter wie Kulturkampf und Populismus eine Rolle. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will Gendern in Schulen und Behörden des Freistaats verbieten. Auch in Hessen zeichnet sich Ähnliches ab. Hier haben CDU und SPD, die über ein neues Regierungsbündnis verhandeln, bereits mit einem gemeinsamen Eckpunktepapier nach ihren ersten Sondierungen Aufsehen erregt.
Beide Parteien wollen demnach in Hessen „festschreiben, dass in staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen (wie Schulen, Universitäten, Rundfunk) auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird“ – bei einer Orientierung am Rat der deutschen Rechtschreibung.
Auch andere Bundesländer lehnen das Gendern ab
In einigen Bundesländern gibt es bereits ähnliche Verbote oder Bestrebungen. So werden etwa an Schulen in Sachsen und Sachsen-Anhalt Sonderzeichen für eine geschlechtsneutrale Sprache abgelehnt. In Sachsen werden Paarformen wie Schülerinnen und Schüler und geschlechtsneutrale Formen wie Lehrkräfte empfohlen. In Aufsätzen werden Genderformen als Fehler markiert. Sachsen-Anhalts Bildungsministerium untersagt Schüler:innen zwar Gender-Sternchen und das Binnen-I, lässt bei der Bewertung ihrer Texte aber Spielraum.
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) hat wie Söder gerade eine Landtagswahl gewonnen. Er sagt der Deutschen Presse-Agentur: „Ich will niemandem vorschreiben, wie er spricht. Aber ich finde es wichtig, dass niemand an einer Hochschule oder in einer Schule in einer Hausarbeit oder in einer Klausur schlechtere Noten erhält, weil er beispielsweise auf das Gendersternchen verzichtet.“
Rhein erlebt nach eigenen Worten neben „dem einen oder anderen ‚Berufsgenderer'“ eine „enorme Zustimmung bei diesem Thema“. Er finde es schwierig, Genderformen zuzuhören oder sie zu lesen. Er selbst verwende auch öfter Paarformen wie „Bürgerinnen und Bürger“. Mit „sperrigen“ Gender-Sonderformen würden viele ausgegrenzt. „Das ist das exakte Gegenteil von Inklusion“, sagt der hessische CDU-Chef.
Die SPD ist bisher nicht für Gender-Verbote bekannt. In Hessen will sie sich nach eigenen Worten an Debatten darüber „vor dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen nicht beteiligen“. Vom Parteinachwuchs kommt derweil Gegenwind. Juso-Landeschef Lukas Schneider moniert: „Derartige Beschränkungen der geschlechtergerechten Sprache dienen lediglich dazu, Spaltung zu fördern und Menschen auszuschließen.“ Die Jusos drohen damit, einem Koalitionsvertrag nicht zuzustimmen, „wenn diese rückwärtsgewandte Forderung weiterhin darin enthalten ist“.
„Glaube, dass das Gendern spaltet“
Auch Lehrerverbände üben Kritik – in Hessen wie in Bayern. Dort hat Söder das angekündigte Gender-Verbot jüngst verteidigt: „Ich glaube, dass das Gendern unsere Gesellschaft eher spaltet als alles andere.“ Fragen zu Umsetzung und möglichen Sanktionierungen in Schule und Verwaltung hat der CSU-Chef vorerst unbeantwortet gelassen. Auch in Hessen erscheint dies zunächst noch nebulös.
Stecken auch Ideologie oder Populismus hinter Gender-Verboten? Die hessische AfD-Fraktion hält Gender-Sonderzeichen für ein „hochideologisches Projekt einer Minderheit“ und „falsch geschriebenes Deutsch“. Damit täten sich auch „Nichtmuttersprachler“ schwerer.
Die Gießener Politologin Dorothée de Nève spricht von erfolgreichem „Agendasetting“ der AfD. So finde sich deren Forderung im hessischen Wahlkampf, Gender-Sonderzeichen abzuschaffen, „fast wortgleich“ im Eckpunktepapier von CDU und SPD wieder. Dies zeige, „wie weit sich die Christdemokraten und Sozialdemokraten bereits auf den Kulturkampf der AfD eingelassen haben“. Auch die Bildungsgewerkschaft GEW in Hessen urteilt: „Ohne Not scheinen die Koalitionsparteien einer populistischen Forderung nachgeben zu wollen. Damit stärken sie den Rechtspopulismus, anstatt ihn zu bekämpfen.“
Hessens Ministerpräsident Rhein geht es nach eigener Aussage „nicht um Kulturkampf und Identitätspolitik, sondern darum, dass der Rat für deutsche Rechtschreibung Regeln vorgegeben hat, die es leichter und einfacher machen, Texte zu lesen“. Dieses Gremium hat im Juli vorerst entschieden, Genderzeichen nicht als Kernbestand der deutschen Orthografie einzustufen. In einer neuen Ergänzung führt der Rat zugleich das Gendern im Wortinnern – Doppelpunkt, Unterstrich und Sternchen – auf. Reguläre Zeichen seien diese aber weiterhin nicht.
„CDU und SPD haben sicher nicht von der AfD abgeschrieben“
Hessens Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner erklärt: „CDU und SPD haben sicher nicht von der AfD abgeschrieben.“ Richtig sei aber, dass Christ- und Sozialdemokraten sich im Sondierungspapier „sehr viel mit Stimmungen und gefühlten Problemen beschäftigen und sehr wenig mit Lösungen für reale Herausforderungen“. Die Grünen haben in Hessen bislang mit der CDU regiert – aber nun von ihr einen Korb bekommen.
Die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Hessischer Frauenbüros ist gegen ein Gender-Verbot. „Verwaltungssprache muss alle Menschen ansprechen und repräsentieren, unabhängig welches Geschlecht sie haben. Sprache formt unbewusst unsere Wahrnehmung der Welt“, teilt die LAG mit.
Gendersensible Sprache: „Weil sie alle meint, alle zeigt und alle anspricht“
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) kennt nach eigener Aussage keine Grundschulen in Hessen, die Gender-Sonderzeichen lehren. An den weiterführenden Schulen sei dieser „Umgang mit Vielfalt“ aber ein Thema. Für die Noten sollten Gendersternchen keine Rolle spielen.
Die Goethe-Universität Frankfurt unterstützt das Bemühen „um eine geschlechter- und diskriminierungssensible Sprache“. 2021 habe sie dafür Empfehlungen vorgelegt. Generell könnten Hochschulangehörige ihre Sprache jedoch auch öffentlich und dienstlich frei wählen.
Der Hessische Rundfunk wartet „interessiert die Verhandlungen der designierten Landesregierung und das Ergebnis zum Thema Gendern im Koalitionsvertrag“ ab. Im hr werde gendersensible Sprache verwendet, „weil sie alle meint, alle zeigt und alle anspricht“. Die Art des Genderns sei den Redaktionen des Senders jedoch nicht vorgegeben.
Der Deutsche Journalisten-Verband befürchtet mit Blick auf die Rundfunk- und Pressefreiheit eine politische und rechtswidrige Einflussnahme. Verbote gegen eine gendergerechte Sprachveränderung seien eine „rückwärtsgewandte Angstreaktion“.
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