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Soziologin: „Müssen Mobilität nicht nur als Freiheit begreifen, sondern auch als Zwang“

"Müssen Mobilität nicht nur als Freiheit begreifen, sondern auch als Zwang"
Foto: Unsplash / Christian Lue

Viel wird von Verkehrs- und Mobilitätswende gesprochen. Was aber ist der Unterschied? Wieso sind Menschen ständig unterwegs und was haben Zwänge damit zu tun? In einem Interview erklärt die Mobilitätssoziologin Katharina Manderscheid die Zusammenhänge.

Im Zusammenhang mit der Klimakrise wird oft von einer Verkehrs- und Mobilitätswende gesprochen. Was aber ist der Unterschied? Und wie lässt sich Mobilität umweltfreundlicher gestalten? Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) hat mit einer Mobilitätssoziologin gesprochen.

Katharina Manderscheid erklärt im RND-Interview, dass sie die Wege und Verkehrsmittel untersucht, die Menschen in und für unterschiedliche soziale Kontexte wählen. Sei es das Mittagessen mit Kolleg:innen, der Theaterbesuch am Abend oder der Schulweg der eigenen Kinder.

Manderscheid sagt, man müsse „auf dem Weg zu einem nachhaltigen Wandel“ zwischen Verkehrswende, der Antriebswende und einer Mobilitätswende unterscheiden. In der öffentlichen Debatte stünde vor allem die Antriebswende im Fokus – also die Idee, der Autoverkehr müsse aufrechterhalten werden, wenn auch Verbrenner durch E-Autos ersetzt werden sollen. „Das blendet aber viele Probleme aus, die wir darüber hinaus beim Verkehr haben“, so die Soziologin. Etwa die tatsächliche Umweltwirkung von Pkw, die durch Batterien angetrieben werden.

Menschen würden die „versunkenen Kosten“ eines Autos unterschätzen

Außerdem, so Manderscheid, lösten E-Autos nicht die Platzproblematik, gerade in Städten. „Die Straßen sind zugeparkt, es herrscht ständig Stau – und Autos bergen für andere Verkehrsteilnehmende eine große Gefahr.“ 

Spricht man von einer Verkehrswende, ist damit die Verlagerung des Verkehrs vom Auto auf andere Verkehrsmittel gemeint. Die Frage, ob „wir mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind. Man muss sich klarmachen: Die meisten Autos stehen etwa 23 Stunden am Tag. Das ist eine große Flächen- und Materialverschwendung“, gibt Manderscheid zu bedenken.

Menschen würden die „versunkenen Kosten“ unterschätzen, die ein Auto mit sich bringt. Sprich: Versicherung, Steuern, Reparaturen und Wertverlust. Der Expertin zufolge sei es wirtschaftlicher, ökologischer und platzsparender, Bürger:innen kollektiv zu befördern.

Die Mobilitätswende hingegen widmet sich der Frage, warum Menschen andauernd mobil sind. „Und warum nehmen die Distanzen, die wir täglich zurücklegen, Jahr für Jahr immer weiter zu?“ Laut der Mobilitätssoziologin unterliegt die Gesellschaft gewissen Mobilitätszwängen, die es zu hinterfragen oder gar abzubauen gilt. „Wir müssen Mobilität nicht nur als Freiheit begreifen, sondern auch als Zwang“, sagt sie.

„Die Qualität unseres Unterwegsseins verbessern“

Ein Beispiel: Manche Menschen können sich ein Leben in der Stadt nicht mehr leisten. „Sie müssen deswegen weiter rausziehen und haben dadurch längere Pendelstrecken zur Arbeit. Andere müssen für ihren Job umziehen.“ Das alte Netzwerk bleibt jedoch bestehen; will man seine Freund:innen besuchen, wird man dafür wieder mobil – und es entstehen neue Wege. „Dadurch, dass wir mobil sind, schaffen wir immer mehr Mobilität“, stellt die Soziologin fest.

Die Idee der Mobilitätswende laut Manderscheid: „Mobilität neu organisieren und die Qualität unseres Unterwegsseins verbessern. Ziel sollte auch sein, dass Menschen begreifen: Es ist auch eine Form von Freiheit, sich nicht bewegen zu müssen.“

Auch müsse sich die gesellschaftliche Debatte dahingehend verändern, nicht nur von einem Auto-Verzicht zu sprechen. Ein „autofreies Leben“ könne auch „entlastend“ sein. „Hätten wir autofreie Tage, wären das Momente, in denen man innehält und überlegt, was man ohne Auto machen kann.“ Hierzu müssten sich jedoch die Rahmenbedingungen ändern. Benzin wie auch Parkplätze müssten teurer werden; Autostraße zurückgebaut und andere Verkehrswege und -angebote ausgebaut werden.

Individuellen Lebensumbrüche als Chance für die Mobilitätswende?

Für eine Verkehrs- und Mobilitätswende muss laut der Expertin an vielen Stellschrauben parallel gedreht werden. Potenzial sieht sie für jede:n in individuellen Lebensumbrüchen. Ein Umzug, Familiengründung, das Zusammenziehen etwa: Der Alltag der Menschen würde neu ausgehandelt.

„Wenn man da versucht, einzuhaken, sind die Leute am ehesten bereit, etwas Neues auszuprobieren. Eine Idee könnte sein: Wenn man neu in eine Stadt zieht, bekommt man bei der Ummeldung für einen Monat das Verkehrsangebot der Stadt geschenkt. Solche externen Motivationen bringen Leute möglicherweise dazu, über ihr Verkehrsverhalten nachzudenken.“

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