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Stress in der Arbeit: „Nicht versuchen, immer zu vermeiden“

Stress in der Arbeit: "Nicht versuchen, immer zu vermeiden"
Foto: CC0 Public Domain / unsplash - Elisa Ventur

Stress in der Arbeit ist ein häufiges Phänomen. Das bestätigt auch eine neue Umfrage. Die absolute Vermeidung von Stress sei aber nicht empfehlenswert, meint ein Experte.

Laut einer neuen repräsentativen Umfrage, des Analyse- und Beratungsunternehmen Gallup fühlen sich 42 Prozent der Arbeitnehmer:innen in Deutschland gestresst. Der Facharzt und Direktor der Privatklinik Eschweiler für Psychotherapie Andreas Hagemann erklärt im Interview mit der Zeit Ursachen von Stress sowie den Umgang mit ihm und mögliche Strategien zur Vorbeugung. Außerdem betont er: Menschen im Job sollten „nicht versuchen, Stress immer zu vermeiden“

Warum sollte man Stress nicht immer vermeiden?

Stress belastet den Körper und kann, wenn er dauerhaft auftritt, zu innerer Unruhe, Anspannung und Schlafstörungen führen. Diese Symptome treten auch bei depressiven Menschen auf. Hagemann plädiert trotzdem dafür, Stress nicht immer zu vermeiden. Er weist darauf hin, dass die Lösung einer stressigen Situation bewirke, stolz auf sich zu sein. Das steigere das Selbstbewusstsein und bereite Menschen darauf vor, schwierige Aufgaben besser zu meistern. Auch könne mangelnder Stress zu Langeweile am Arbeitsplatz und zu Gleichgültigkeit gegenüber dem Job führen.

Wann hat man zu viel Stress und welche Nebenwirkungen gibt es?

Wer aber nicht mehr nur bei einer einzelnen Aufgabe gestresst ist, sondern bei vielen, hat zu viel Stress, erklärt der Facharzt. Das führe zu schlechtem Schlaf, zu Furcht bezüglich der Arbeit und zu Überforderung. Langanhaltender Stress mache Menschen krank. Kortisol wirke dann nicht nur punktuell, sondern immer wieder.

Die Nebenwirkungen der wiederholten Kortisolausschüttung sind laut dem Facharzt vielfältig. Unter anderem führen sie zu parallelen Reaktionen im Körper, die das Immunsystem schwächen. Weitere Symptome von dauerhaft anhaltendem Stress können sein: eine verminderte Libido, Durchfall, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgrund des steigenden Blutzuckers und Blutdrucks. Außerdem komme zu den körperlichen Symptomen die psychische Belastung hinzu.

Wann beginnt Stress und wie reagiert der Körper auf ihn?

Ob und wie Stress empfunden wird, sei laut Hagemann sehr individuell. Stressempfindung hänge beispielsweise davon ab, in welchen Situationen eine Person Zeitdruck verspürt. Während einige ihn brauchen, um produktiv zu sein, fühlen sich andere wiederum dadurch gestresst. 

Das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, bewerte der Körper als Stress beziehungsweise Bedrohung, erklärt Hagemann. Dann produziere der Körper möglichst viel Energie, um ihn beispielsweise auf eine Flucht vorzubereiten. Im Interview beschreibt der Facharzt den Prozess, den der Körper in Stress-Situationen auslöst: Die Amygdala, ein Teil des unteren Gehirns, bestehend aus Nervenzellen, bewirkt eine Aktivierung der Nebenniere. Diese schüttet wiederum Adrenalin und Kortisol aus. Diese Stresshormone erhöhen Herzschlag, Blutdruck und Atemfrequenz. Es kommt zur Muskelanspannung und einem höheren Blutzuckerspiegel. Kortisol löst auch die Absonderung von roten Blutkörperchen aus der Milz aus. Diese führen zu einer schnelleren Blutgerinnung und einem hohen Transport an Botenstoffen im Blut. 

All diese Prozesse bewertet der Experte als sehr anstrengend für den Körper, sie führen zu einer inneren Unruhe. Diese Anstrengung kann sich als Schwitzen, Kopfschmerzen oder Magenbeschwerden äußern. Die Wirkung von Adrenalin sei in der Regel aber nach wenigen Minuten vorbei, das liege an den inneren Stressbremsen, welche die Ausschüttung der Stresshormone verlangsamen, so der Experte.

Wer ist besonders anfällig für Stress in der Arbeit und wie kann man darauf reagieren?

Besonders anfällig für Stress seien die „Menschen, die das Gefühl haben, unersetzlich zu sein“. Das sind insbesondere Führungskräfte und Menschen mit perfektionistischen Zügen. Diese Menschen glauben, immer 100 Prozent geben zu müssen, sagt Hagemann. Falls eine Person diese Eigenschaft bei sich bemerke, kann sie ihre eigenen Ansprüche in Frage stellen und die Anforderungen der Arbeitgeber:innen überprüfen. Dabei sei es wichtig zu realisieren, dass Menschen nicht alles perfekt machen können. Außerdem könne es helfen, Aufgaben zu delegieren.

Wenn Arbeitgeber:innen tatsächlich sehr hohe Erwartungen an die Angestellten haben, sei es wichtig sich zu überlegen, ob der Arbeitsplatz zu einem passe, erklärt der Mediziner. Dabei sei die Identifikation mit dem Job von Bedeutung. Denn wer sich gut mit seinem Job identifizieren könne, für den ist viel Arbeit in den meisten Fällen unproblematisch. Wer sich aber mit der Arbeit nicht verbunden fühlt, empfindet den Druck als Belastung und Stress, sagt der Facharzt gegenüber der Zeit.

Wie kann man mit Stress in der Arbeit am besten umgehen?

Wenn der Druck einem zu viel wird, hilft ein Gespräch mit den Vorgesetzten, rät Hagemann. Vielen falle das nicht leicht, doch die meisten Arbeitgeber:innen haben ein Interesse daran, „dass keiner dauerhaft ausfällt“. Deshalb sei es wichtig für Führungskräfte zu wissen, welche Mitarbeiter:innen von welcher Arbeit wie stark belastet sind. Dann sei eine gezielte Aufgabenverteilung und eine Entlastung der Angestellten möglich. 

Stress kann sich außerdem auf das Umfeld übertragen, so der Arzt. Als Beispiel nennt er einen hektischen Kollegen im Büro, durch den automatisch alle anderen Personen bewusst oder unbewusst im Büro nach der Ursache der Hektik suchen würden, die von dem Kollegen verbreitet wird. Das sei unabhängig davon, ob der Kollege im eigenen Team ist. Zwar sei es einfacher, das Verhalten des Kollegen zu deuten, wenn man mit ihm zusammenarbeite oder sich auch privat kenne, meint Hagemann. Aber Stressübertragung funktioniere bei allen anderen Personen genauso. Es reiche laut einer Studie sogar aus, einen gestressten Menschen auf der Straße oder in einer Fernsehserie zu sehen, damit man sich selbst gestresst fühle, erklärt Hagemann.

Was hilft gegen Stress auf der Arbeit?

Um bei dem Beispiel zu bleiben: Dem gestressten Kollegen könne man helfen, erst einmal Abstand zur Situation zu gewinnen, empfiehlt der Facharzt. Ablenkung in Form eines Kaffees in der Kantine oder einem kleinen Spaziergang können dazu beitragen. Dann könne die Situation analysiert werden und man könne sich gemeinsam die Frage stellen, wie schlimm die Situation ist und warum sich der Kollege überfordert fühlt. Dabei sei es wichtig, der Person nicht zu sagen, was er oder sie nun tun sollte. Das könne erneuten Stress auslösen. Oft werde dann klar, dass die Situation vielleicht gar nicht so schwierig ist.

Aber auch sich selbst kann man vor dem Stress von anderen schützen. Gedankliche oder räumliche Entfernung hilft dabei. Auch die Frage, ob man von der Situation wirklich betroffen sei, helfe Distanz zu gewinnen, sagt Hagemann. 

Was sind weitere Methoden gegen Stress?

Es sei aber auch nicht möglich, Stress komplett zu vermeiden, da er zum Leben dazu gehöre, so der Experte. Umgang mit Stress zu lernen, kann für einen selber bedeuten, bei der nächsten stressigen Situation gelassener zu reagieren. Dazu können Ausdauersport, gesunde Ernährung sowie der Verzicht auf Alkohol, Koffein und Nikotin beitragen. 

Auch Entspannungsübungen wie progressive Muskelrelaxation, die aus der schrittweisen Aktivierung und Lösung von einzelnen Muskeln besteht, sowie Yoga, Traumreisen und Meditation helfen dabei, Stress zu lösen. Als wichtigsten Schritt empfiehlt Hagemann, „dass man sich auf seine jeweiligen Aufgaben vorbereitet und sich sicher fühlt“. Das fördere die Stressresistenz.

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