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Machte uns Fleisch wirklich zu den Menschen, die wir heute sind? Neue Studie weckt Zweifel

Wie wichtig war Fleisch wirklich für die menschliche Evolution? Studie weckt Zweifel
Foto: CC0 Public Domain – Pixabay/ alexas_fotos

Hat uns Fleisch zu den Menschen gemacht, die wir heute sind? Archäologische Funde haben diese (etwas überspitzt zusammengefasste) These lange unterstützt. Doch eine neue Studie kommt zu einem anderen Ergebnis.

Fleisch war essenziell für die Entwicklung des Menschen – so lautete lange die vorherrschende Ansicht in der Wissenschaft. Eine neue Studie, welche in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlicht wurde, weckt Zweifel. Ein Team um Andrew Barr von der George-Washington-Universität in Washington D.C. hat Daten aus neun großen Forschungsgebieten in Ostafrika zusammengetragen und neu ausgewertet. Sie kamen zu dem Schluss: Für die These gibt es keine eindeutigen Beweise.

Evolutionsgeschichte: „Vorrangstellung des Fleischfressens“ in Frage gestellt

Viele menschliche Merkmale, wie zum Beispiel größere Gehirne, treten erstmals bei Homo erectus auf – das erklären die Wissenschaftler:innen um Andrew Barr in ihrer Studie. Und bisher wurde die Entwicklung meist mit einer Ernährungsumstellung in Verbindung gebracht: Man ging davon aus, dass Homo erectus besonders viel tierisches Gewebe verzehrte – also auch Fleisch.

Die neue Studie hat die Datenlage kritisch geprüft. Dafür werteten die Wissenschaftler:innen Funde von insgesamt 59 archäologischen Fundstellen in Ostafrika neu aus. Diese wurden auf die Zeit vor 2,6 bis 1,2 Millionen Jahren datiert. Bei ihrer Untersuchung berücksichtigten die Forscher:innen unter anderem die Anzahl der zooarchäologischen Fundorte, an denen Tierknochen mit Schnittspuren von Steinwerkzeugen gefunden wurden, sowie die Gesamtzahl solcher Fundstücke. Dabei zeigte sich: Mit dem Aufkommen von Homo erectus (vor circa zwei Millionen Jahren) nahm die Anzahl nicht zu.

Deshalb schlussfolgern die Forscher:innen in der Studie: „Unsere Analyse zeigt, dass es nach dem Auftauchen von H. erectus keinen nachhaltigen Anstieg der relativen Menge an Belegen für Fleischfresser gab, was die Vorrangstellung des Fleischfressens bei der Gestaltung der Evolutionsgeschichte in Frage stellt.“

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Homo erectus: War Fleisch wirklich wichtig für die menschliche Entwicklung? (Foto: CC0/pixabay/KlausHausmann)

Verzerrung durch unterschiedlich gut untersuchte Epochen

„Generationen von Paläoanthropolog:innen haben an Orten wie der Olduvai-Schlucht, die berühmt ist für die gut erhaltenen Funde, nach atemberaubenden direkten Hinweisen auf den Fleischkonsum von Frühmenschen gesucht und sie gefunden. Damit stützten sie den Standpunkt, dass es vor zwei Millionen Jahren und danach eine Explosion des Fleischverzehrs gab“, so zitiert unter anderem Science Daily den Hauptautor der Studie von der George-Washington-Universität in Washington D.C., Andrew Barr.

Doch das genau sei die Krux: Das Intervall vor 1,9 Millionen Jahren (also kurz vor dem Auftreten des Homo Erectus) ist laut Studie paläontologisch sehr schlecht beprobt. Danach gibt es einen „entsprechenden Anstieg der paläontologischen Beprobungsintensität“ – also mehr Proben und damit auch eine höhere Anzahl von modifizierten Knochen und zooarchäologischen Fundorten. Berücksichtigt man die verschiedenen Beprobungsintensitäten, werden die Ergebnisse weniger deutlich. Zum Beispiel wurden in der späteren Periode nicht durchgängig mehr modifizierte Knochen aufgefunden, als anhand der Anzahl der Fundorte vorhergesagt wurde.

Die Forscher:innen interpretieren daher die Fülle der Belege für den Konsum von Fleisch in der späteren untersuchten Periode so, „dass sie am ehesten den intensiven Probenahmeaufwand […] widerspiegeln und nicht unbedingt eine anhaltende und weit verbreitete Veränderung im Verhalten der Homininen.“ Ihre Ergebnisse widersprächen auch der Behauptung, dass Homo erectus zumindest zu Beginn der Evolutionsgeschichte dieser Spezies Fleischesser in erhöhtem Maße war.

„Ich denke, dass diese Studie und ihre Ergebnisse nicht nur für die paläoanthropologische Gemeinschaft von Interesse sind“, so Andrew Barr, „sondern auch für alle Menschen, die ihre Ernährungsentscheidungen auf der Grundlage einer Version des Fleischessens treffen“. Die Studie untergrabe nämlich die Vorstellung, dass große Mengen Fleisch bei unseren frühen Vorfahren evolutionäre Veränderungen vorangetrieben hätten.

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