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Süchtig nach Klimaaktivismus? Psychologin erklärt, ob das möglich ist

Klimaaktivismus
Foto: CC0 Public Domain / unsplash - Katie Rodriguez; Hailey wright

Manche Menschen betreiben Klimaaktivismus bis zur Erschöpfung. Machen Proteste, Demonstrationen und Besetzungen süchtig? Eine Psychologin klärt auf.

Klimaaktivist:innen demonstrieren, protestieren und kämpfen, bis sie teils körperlich und psychisch nicht mehr können. Journalist und Filmemacher Hubi (Hubertus) Koch befasst sich daher in der neuen Folge seines Podcasts „Süchtig nach Alles“ mit der Frage: „Können Protest und Aktivismus süchtig machen?“ Dazu spricht er unter anderem mit Lea Dohm. Sie ist Psychologin, Autorin und eine der Gründer:innen von „Psychologists for Future“.

Ist Klimaaktivismus im medizinischen Sinne eine Sucht?

Um zu erklären, ob Menschen eine Sucht nach Aktivismus aufbauen können, definiert die Psychologin das Wort Sucht im medizinischen Kontext. Demnach gibt es zwei Formen der Sucht: die stoffgebundene und die substanzunabhängige, also etwa nach Arbeit oder Sex.

Ein Kriterium bei Sucht ist Dohm zufolge, dass sie „schädlich ist, von den Auswirkungen, vom Verhalten her.“ Laut der Psychologin passt das nicht mit der Grundidee des Aktivismus zusammen. „Der ist ja bestenfalls nicht schädlich oder wenn dann, weil wir ihn übertreiben für uns selbst, jedenfalls nicht für die Gesellschaft“, so Dohm.

Für einige Menschen kann laut der Psychologin der Aktivismus durchaus selbstschädigend sein. Aber es gibt ihr zufolge noch andere Kriterien, die eine Sucht ausmachen. Dazu gehört das Gefühl von Kontrollverlust: Wenn Menschen das Gefühl haben, die Sache artet aus und sie die Kontrolle über die Geschehnisse verlieren. Ein weiteres Kriterium ist Heimlichkeit. Dann vernachlässigen die Betroffenen ihre Familie, Freunde und weitere soziale Kontakte. Auch kann es passieren, dass Menschen nicht mehr nachdenken, wie und ob sie überhaupt finanzieren können, wonach sie süchtig sind.

Zum Klimaaktivismus aber sagt Dohm: „Ob das eine Sucht sein kann, wage ich zu bezweifeln.“ Sie glaubt jedoch, dass manche Aktivist:innen „so etwas wie einen Flow-Effekt“ erleben. Das tritt vor allem auf, wenn Menschen merken: „Wir sind da gerade wirksam oder wir können da was erreichen“, so die Psychologin.

Weiter erklärt sie, dass es für Menschen schwierig sein kann, „sich nicht in so einen Strudel reinreißen zu lassen und immer weiterzumachen.“ Besonders, wenn sie sich als Personen identifizieren, die etwas Gutes tun. „Aber das merken die Leute üblicherweise irgendwann selbst, wenn sie feststellen, es ist zu viel, ich fühle mich ausgebrannt“, betont Dohm. Für eine Weile könnten sich Betroffene überfordert fühlen, so die Expertin. „Aber ich würde jetzt nicht sagen, dass das direkt eine Sucht ist.“

Aktivismus-Burnout statt Aktivismus-Sucht

Auch wenn Klimaaktivismus laut Dohm medizinisch gesehen keine Sucht ist, erleben manche Aktivist:innen ähnliche Symptome und fühlen sich ausgebrannt. Podcast-Host Koch spricht mit dem Aktivisten Elster (Name geändert), der gerade in Berlin gegen ein Steinkohlekraftwerk protestiert. Der Aktivist berichtet von Kontrollverlust und totaler Erschöpfung. Eines Tages sei er aus dem Nichts in der Wohnung umgefallen. Zudem fühlt er sich einem starken Leistungsdruck ausgesetzt.

Eine Studie aus dem Jahr 2018 spricht von Aktivismus-Burnout. Für die Untersuchungen wurden 30 Aktivist:innen interviewt, die sich für Rassengerechtigkeit in den Vereinigten Staaten einsetzten. Daraus definierte der Autor vier Ursachen, die Burnout bei Aktivist:innen auslösen:

  • Emotionale Ursachen wie ein zu hohes Verantwortungsgefühl
  • Strukturelle Ursachen, also gesellschaftliche Bedingungen und Systeme
  • Ursachen wie Verhaftungen oder Überwachungen, sprich Gegenreaktionen durch den Staat
  • Ursachen, die in der Bewegung/Gruppe selbst entstehen; beispielsweise durch Wettbewerb sowie gegenseitige Anfeindungen und Vorwürfe

Wer sich durch Aktivismus überfordert, erschöpft und ausgebrannt fühlt, kann in erster Linie Hilfe bei Hausärzt:innen suchen. Wer darüber hinaus eine Therapie machen möchte, findet hier mehr Informationen: Psychische Gesundheit: Wie du einen Therapieplatz findest.

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