Arbeit ohne Schutzkleidung, Unmengen an Plastikmüll – und Löhne, von denen Arbeiter:innen nicht leben können: Das Lieferkettengesetz sollte das 2023 eigentlich unter Kontrolle bringen. Eine neue Recherche zeigt die menschenunwürdigen Bedingungen, die immer noch herrschen sollen.
Eine Recherche vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb24) hat gezeigt, dass in deutschen Supermärkten noch immer Tomaten aus Spanien landen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen angebaut wurden. Laut Menschenrechtsorganisation ECCHR verstößt der Tomatenanbau dort gegen das seit Januar geltende Lieferkettengesetz.
Tomaten in den deutschen Filialen von Rewe, Lidl und Edeka lassen sich auf einen solchen Anbau zurückverfolgen. Am Anfang der Lieferkette steht rbb zufolge der Bio-Tomatenproduzent Bio Cemosa. Ein ehemaliger Arbeiter auf einer der Plantagen des Unternehmens erzählt von einem Stundenlohn von vier Euro, fehlenden Toiletten und Einschüchterung der Arbeiter:innen. In deutschen Gemüsetheken sieht man diese Produkte jedoch als zertifizierte Ware, die für eine „gute und soziale Agrarpraxis“ stehen soll.
Bio-Tomaten: Arbeitsbedingungen im „Gemüsegarten Europas“
Um auch im Winter Tomaten anbieten zu können, beziehen einige deutsche Supermärkte die Ware aus dem „Gemüsegarten Europas“. Die spanische Region Almería wird gemeinhin so genannt, weil sich dort über die Fläche von 45.000 Fußballfeldern Treibhausplantagen erstrecken, die andere Teile Europas mit Tomaten, Paprika und Gurken versorgen soll. Deutschland kauft davon ein knappes Drittel und ist somit Hauptabnehmer.
Den rbb-Recherchen zufolge müssen die meist nordafrikanischen Ernterhelfer:innen bis zu 70 Stunden die Woche arbeiten, würden aber nur für 40 bezahlt. „Samstage und Sonntage und Überstunden werden nicht abgerechnet“, sagt ein Betroffener dem rbb. Runtergerechnet sinkt der Stundenlohn so auf etwa 4 Euro.
Die Erntehelfer:innen sollen keinen angemessenen Arbeitsschutz bekommen: Sie berichten, ohne Schutzkleidung Pflanzenschutzmittel ausbringen zu müssen; außerdem gebe es keine Toiletten, Pausenräume oder Gelegenheiten, sich zu waschen.
„Darüber hinaus gibt es ein System der Angst“, erklärt José García Cuevas von der Regional-Gewerkschaft SOC-SAT. „Systematisch schüchtern Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer ein. Jeder, der seine Rechte einfordert, wird sofort entlassen.“
Da der gezahlte Lohn nicht für eine Wohnung reicht, leben etwa 5000 Menschen dort in Slums nahe der Plantagen. In den selbstgebauten Hütten gebe es keinen Strom oder fließendes Wasser. „Du hast Angst vor Feuer, du hast Angst, wenn der Regen kommt, du hast Angst vor dem Sommer, weil es so heiß wird. Das ganze Leben hier macht dir Angst“, beschreibt einer der Betroffenen die Situation dem rbb.
Plastikmüll durch die Plantagen
Marcos Diéguez von der spanischen Umweltschutzorganisation Ecologistas en Acción erklärt gegenüber dem rbb, wie durch den Tomatenanbau auch Unmengen an Plastikmüll entstehen: Jährlich müsse ein Drittel der Folien, die die Treibhäuser bedecken, ersetzt werden – insgesamt 10.000 Hektar. Untersuchungen der Organisation ergaben, dass nur etwa ein Drittel davon wiederum fachgerecht entsorgt würde. Der Rest lande zum Großteil auf illegalen Müllhalden.
Diéguez erklärt, was passiert, wenn die fachgerechte Entsorgung entfällt: „Mit der Sonne zerfällt das Plastik, und das Mikroplastik verteilt sich überall. Wind und Wasser tragen es zum Meer. Es gelangt in die Nahrungskette und früher oder später essen wir das. Das ist für mich schlimmer als eine Ölkatastrophe.“
Was sagen die Supermärkte?
Die betroffenen Supermärkte haben sich zu diesen Rechercheergebnissen geäußert: Edeka seien solche Zustände „nicht bekannt“. Lidl und Rewe verweisen auf GlobalGAP, eine Zertifizierung, die „regelmäßige, unabhängige Kontrollen vor Ort“ durchführe. Laut den Supermarktketten bescheinige diese die Einhaltung von „Umwelt und Sozialstandards“ bei ihren Gemüseproduzenten.
„Da einfach nur zu sagen, ich habe hier ein Zertifikat, und das genügt – das kann nicht die Antwort sein“, kontert Miriam Saage-Maaß im Interview mit rbb24. Die Chefjuristin bei der Menschenrechtsorganisation ECCHR ist der Ansicht, dass die Praktiken in Almería gegen das Lieferkettengesetz verstoßen. Denn mit diesem sind die Unternehmen verpflichtet, eigene Risikoanalysen durchzuführen. Die Antwort der Supermärkte sei also eine, die „mit dem Lieferkettengesetz so nicht mehr gegeben werden“ könne.
Zertifizierung GlobalGAP: Funktioniert das System der Selbstkontrolle?
Hinzu kommt, dass die Zertifizierung, auf die Edeka, Rewe und Lidl sich berufen, auf Selbstkontrolle beruht. GlobalGAP wurde von ihnen selbst ins Leben gerufen, und ihrem Beirat gehören auch Vertreter:innen der Supermarktketten an.
Steffen Vogel von Oxfam äußert sich dazu gegenüber dem rbb: „Aus unserer jahrelangen Erfahrung und vielen Studien sehen wir, dass die Kontrollen entweder zu lückenhaft sind oder von den Betrieben vor Ort manipuliert werden, so dass die Zertifikate am Ende nicht dazu beitragen, Menschenrechtsverletzungen aufzudecken, sondern manchmal sogar dabei helfen, sie zu verschleiern.“
Wer kontrolliert das Lieferkettengesetz?
Mit dem neuen Lieferkettengesetz sollte eine solche Verschleierung jedoch nicht mehr möglich sein. Ob das Lieferkettengesetz eingehalten wird, kontrolliert das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Und auch laut Torsten Safarik, Leiter der Behörde, bedeutet eine solche Zertifikation nicht zwingend, dass die Vorgaben des Lieferkettengesetzes auch eingehalten würden: Es könne zwar ein Zeichen dafür sein, „es ist aber kein Beleg“, so Safarik.
Der Leiter des BAFA erwarte jedoch, so der rbb, größere Bemühungen vonseiten der Unternehmen. „Nachteile auf den Weltmärkten“ sollten sie dadurch seiner Ansicht nach jedoch nicht erleiden.
Steffen Vogel von Oxfam zufolge müssten die Supermärkte höhere Preise bezahlen, um die Situation in Almería zu beeinflussen. „Und sie müssen auch nachverfolgen, dass dieses Geld tatsächlich vor Ort ankommt, also dass es in höhere Löhne und bessere Standards investiert wird“, fordert er im Gespräch mit dem rbb.
Der rbb berichtet, die spanischen Firmen haben auf Anfragen nicht geantwortet.
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