Können Staaten für Schäden durch zu hohe Emissionen von Treibhausgasen belangt werden? Vom Klimawandel bedrohte Inselstaaten sehen das so – und bekommen wichtige Unterstützung.
Wenn Staaten Klimaschutzpflichten aus internationalen Abkommen verletzen, könnten sie einem Gutachten des höchsten UN-Gerichts zufolge unter Umständen rechtlich dafür belangt werden. „Das Versäumnis eines Staates, geeignete Maßnahmen zum Schutz des Klimasystems zu ergreifen, kann eine völkerrechtswidrige Handlung darstellen“, erklärte der Präsident des Internationalen Gerichtshofs (IGH), der Japaner Yuji Iwasawa, am Mittwoch bei der Verlesung des von der UN-Vollversammlung in Auftrag gegeben Gutachtens in Den Haag.
Wenn Länder keine oder nur unzureichende Maßnahmen zum Schutz des Planeten vor dem Klimawandel ergreifen, verletzen sie damit nach Ansicht der 15 IGH-Richter das Internationale Recht. Das mehr als 130 Seiten umfassende Gutachten ist zwar nicht rechtsverbindlich, kann aber nach Einschätzung von Völkerrechtsexperten Einfluss auf Klima-Prozesse weltweit haben. Es gilt als historisch.
Kleine Inselstaaten mit großen Sorgen
In dem Verfahren hatten kleine Inselstaaten und andere Entwicklungsländer das höchste UN-Gericht aufgefordert, Klimaschutz als völkerrechtliche Pflicht festzuschreiben. Für diese Staaten gehe es um das Überleben, machten Vertreter:innen der Organisation für afrikanische, karibische und pazifische Staaten in dem bisher umfangreichsten Verfahren vor dem IGH geltend.
Verfahren um Wiedergutmachungen können kompliziert sein
Zu Forderungen nach Wiedergutmachungsleistungen von Staaten, die große Mengen an Treibhausgasen ausstoßen, ohne genug zur Bekämpfung des Klimawandels tun, erklärte der IGH, dass darüber nur von Fall zu Fall entschieden werden könne. Solche Wiedergutmachungen könnten etwa darin bestehen, dass entstandene Schäden an der Infrastruktur eines betroffenen Landes behoben werden, sofern dies noch möglich ist. Das Gericht machte aber auch klar, dass entsprechende Verfahren sehr kompliziert sein könnten.
Auftrag der UN-Vollversammlung
Die UN-Vollversammlung hatte das Gericht 2023 beauftragt, in einem Gutachten eventuelle juristische Konsequenzen für Staaten zu erstellen, „die durch ihre Handlungen und Unterlassungen erhebliche Schäden am Klimasystem und anderen Teilen der Umwelt verursacht haben“. Vor allem sollte dies in Bezug auf Inselentwicklungsstaaten untersucht werden, die vom Ansteigen des Meeresspiegels infolge der Erderwärmung in ihrer Existenz gefährdet sind.
Große Wirtschaftsstaaten: Paris-Abkommen reicht
Große Wirtschaftsstaaten wie China und die USA, die für den überwiegenden Teil der CO2-Emissionen verantwortlich sind, lehnen rechtliche Verpflichtungen ab, die über bestehende Abkommen hinausgehen. Sie verweisen etwa auf die Bestimmungen der UN-Klimaschutzkonventionen und des Pariser Klimaabkommens. Auch Deutschland erklärte, dass die dort festgeschriebenen Verpflichtungen ausreichten.
Initiative des Inselstaates Vanuatu
Die Initiative zu dem Klimaverfahren vor dem IGH hatte Vanuatu ergriffen. Der Inselstaat im Südpazifik ist vom Untergang bedroht, weil der Meeresspiegel infolge der Erderwärmung steigt. Besonders stark ist das im Südpazifik zu beobachten.
Eines der ersten kleinen Länder, die dadurch unbewohnbar werden könnten, ist Tuvalu. Australien hat deshalb bereits angeboten, die Bevölkerung des Südseearchipels aufzunehmen.
Fast die Hälfte der knapp 11.000 Bewohner:innen des zwischen 3.500 und 4.000 Kilometern nordöstlich von Australien liegenden Kleinstaates hat sich Medienberichten zufolge bereits um die in Aussicht gestellten Visa beworben.
Nach Angaben des Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel ist der Meeresspiegel infolge der Klimaerwärmung seit Beginn der Industrialisierung bereits um 20 Zentimeter angestiegen.
NGOs loben Gutachten
Umweltschutz-NGOs loben das Gutachten des IGH als wichtigen Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit und Klimaschutz.
DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch erklärte: „Dies ist der Beginn einer neuen Ära der Klimaverantwortung auf globaler Ebene. Damit können Staaten und Unternehmen für völkerrechtswidrige Klimapolitik zur Rechenschaft gezogen werden.“ Das 1,5-Grad-Limit sei nicht länger ein politisches Wunschziel. Staaten, die dagegen verstoßen, müssten sich auf Klagen und Schadensersatzforderungen einstellen.
Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand Greenpeace, sieht das Gutachten als „Paukenschlag“ für Deutschland: „Alle klimarelevanten Entscheidungen – von den geplanten Gasbohrungen vor Borkum und in Reichling, über das europäische Aus für neue Verbrenner, bis zum EU-Klimaziel für die Zeit bis und nach 2035 – all das muss nach dem heutigen Tag neu bewertet werden. Den Haag hat das Ende der fossilen Energien eingeläutet“, erklärt er in einer Pressemitteilung.
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