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„Wir alle essen infiziertes Fleisch“: Tönnies wieder mal in der Kritik

Tönnies
Foto: Screenshot Sat.1 / Inside Tönnies 2

Ekelfleisch, sexuelle Übergriffe, illegale Geldgeschäfte und unrechtmäßige Kündigungen: Eine neue Investigativ-Reportage soll diese Missstände nun beim Fleischkonzern Tönnies aufgedeckt haben.

„Eigentlich müsste man das wegwerfen“, sagt ein ehemaliger Tönnies-Mitarbeiter, der seine letzten Arbeitstage mit versteckter Kamera filmte. Die Aufnahmen zeigen eitriges Fleisch, dessen infizierte Stellen nur grob entfernt werden, und im Behälter zur Weiterverarbeitung landen. Es ist nur einer von vielen Missständen, die laut der Sat.1-Investigativ-Reportage „Inside Tönnies 2“ beim größten Unternehmen der deutschen Fleischindustrie angeblich herrschen.

Mehr als 16 Millionen Schweine werden an den deutschlandweit acht Tönnies-Standorten geschlachtet. Das Fleisch wird von zahlreichen Marken verwendet, zu den bekanntesten zählen: Gutfried, Böklunder, Zimbo und Tilman’s. Sat.1 schätzt, dass etwa zwei Millionen Menschen Tönnies-Fleisch konsumieren.

Bereits 2021 hatte der Privatsender mit einer Reportage über teils marode Unterkünfte, die der Konzern seinen Mitarbeitenden zur Verfügung stellt, für Aufsehen gesorgt. Im zweiten Teil gibt es gleich eine ganze Reihe schwerwiegender Vorwürfe: Von mangelnder Hygiene bei der Produktion über illegale Geschäfte bis hin zu sexuellem Machtmissbrauch durch Führungskräfte.

Fleisch falle 20-mal am Tag auf den Boden

Eine der wichtigsten Quellen für die Investigativ-Crew ist der eingangs erwähnte Ex-Mitarbeiter in der Fleischverarbeitung, der in der Doku Sorin genannt wird. Sorin wurde laut eigener Aussage mit der angeblichen Arbeit in einer Spielzeugfabrik nach Deutschland gelockt. Anderen sei erzählt worden, sie würden in einer Schokoladen- oder Popcornproduktion Arbeit bekommen. Erst vor Ort zeigte sich, dass sie in einem Schlachtbetrieb landen würden. Einen Rückzieher hätten sich viele aus finanziellen Gründen nicht leisten können, heißt es.

„Wir werden hier wie Sklaven behandelt. Es gibt dort nur Arbeit, sonst nichts. Normen, Zahlen, null Wertschätzung, nur Demütigung“, beschreibt Sorin die Tätigkeit bei Tönnies. Die hohe Belastung sorge dafür, dass Arbeiter:innen immer häufiger in die Messer geraten würden, die das Fleisch verarbeiten. Bei Unfällen werde oft nicht mal ein Rettungswagen gerufen.

Ein Jahr habe es Sorin im Betrieb durchgehalten. An seinen letzten Tagen ging er mit versteckter Kamera in die Arbeit. Seine Aufnahmen zeigen eitriges Fleisch, das laut einem Hygieneexperten in der Doku komplett entsorgt werden müsste, dennoch aber in einer Kiste für die Weiterverarbeitung lande. Außerdem ist zu sehen, wie Fleisch auf den Fabrikboden fällt. „Boden, auf dem wir mit dreckigen Schuhen herumlaufen und auf den die Arbeiter spucken“, betont Sorin. Dies würde etwa 20-mal am Tag passieren, ohne dass das Fleisch aus dem Verkehr gezogen würde.

Gereon Schulze Althoff, Leiter Qualitätsmanagement bei Tönnies bestreitet, dass das verschmutze und infizierte Fleisch wirklich bis zu den Konsument:innen gelange. Es gebe mehrere Sicherheitskontrollen. Sorin ist jedoch überzeugt: „Wir alle essen infiziertes Fleisch.“

Sexueller Machtmissbrauch bei Tönnies

Auch sexuellen Machtmissbrauch soll es bei Tönnies geben. Eine Betroffene berichtet davon, wie sie von ihrem Vorgesetzten gegen ihren Willen im Gesicht und an den Brüsten angefasst wurde. Den Investigativ-Journalist:innen liegen außerdem zahlreiche Sexvideos vor, wie es in der Doku heißt. Es handele sich dabei um einen leitenden Tönnies-Angestellten, der sich ein- bis zweimal pro Monat bei sexuellen Handlungen mit Frauen in Tönnies-Unterkünften oder Firmengebäuden filmte.

Der damalige Personalchef Martin Bocklage, der schon kurz nach der aktuellen Sat.1-Recherche seinen Posten aus nicht genannten Gründen geräumt hat, spricht davon, dass man sich von einer „Vielzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“ getrennt habe, da diese gegen Grundsätze des Unternehmens verstoßen hätten: „Wir haben zum Beispiel die ethischen Grundsätze, dass Sie dem Vorarbeiter nicht sexuell zu dienen haben, wenn Sie weibliche Personen am Band sind.“

Massenhaft unrechtmäßige Kündigungen

Wie die Dokumentation außerdem behauptet, habe es bei Tönnies System, langjährige Mitarbeitende zu entlassen, wenn sie sich krankmelden – als Begründung würden etwa „verhaltensbedingte Gründe“ genannt. Eine Betroffene wehrt sich dagegen vehement: „Ich drehe den ganzen Tag Schweine um. Ich habe mit niemandem zu tun. Ich rede mit niemandem.“ Kündigungen wie diese seien nicht rechtsmäßig, versichert eine Rechtsanwältin gegenüber Sat.1. In der Reportage heißt es, dass der Konzern möglicherweise die fehlende Sprach- und Rechtskenntnis der oft aus Osteuropa stammenden Arbeiter:innen ausnutze, um mit unrechtmäßigen Kündigungen Erfolg zu haben.

Illegale Geldgeschäfte und schimmlige Wohnungen

Die Vorwürfe gehen noch weiter. Sat.1 will ein Netz an illegalen Geldgeschäften aufgedeckt haben, mit denen der Tönnies-Konzern in Verbindung stehen soll. Ein Tönnies-Dienstleister soll etwa Hunderttausende Euro am Finanzamt vorbeigeschleust haben. Laut Schulze Althoff sei der Fall bekannt, jedoch bereits veraltet.

Zumindest im Falle der Unterkünfte für die Mitarbeitenden, die in der ersten „Inside Tönnies“-Reportage kritisiert wurden, habe der Fleischkonzern Maßnahmen ergriffen, um die Lage zu verbessern. Einige Angestellte würden nun tatsächlich in sauber renovierten Wohnungen wohnen. Es sei eben schwer die benötigte Mengen an Unterkünften aufzutreiben, rechtfertigt Bocklage die zuvor kritisierte Situation und gelobt noch in der Doku Besserung bis zum zweiten Quartal 2023. Doch laut der Sat.1-Reportage hätte es selbst danach noch immer Fälle gegeben, in denen Menschen in Unterkünften leben müssen, die derart von Schimmel befallen seien, dass der Aufenthalt zur Gefahr für ihrer Gesundheit werden könnte.

Verwendete Quellen: Sat.1

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