Tourismus ist ein globales Massenphänomen – und sorgt gerade deswegen für immer größere soziale und ökologische Probleme. Wie man die zumindest eindämmen kann und warum nachhaltiges und faires Reisen so einfach wie tägliches Zähneputzen ist, erklärt Frank Herrmann, Autor des Buches „FAIRreisen“ im Interview.
Herr Herrmann, wo sind Sie gerade unterwegs?
Ich bin derzeit in David, der zweitgrößten Stadt Panamas.
Sind Sie dort beruflich oder stören wir Sie gerade im Urlaub?
Halb beruflich, halb privat. Ich habe lange Zeit in Mittelamerika gelebt und verbinde Reisen hierher deswegen gerne damit, dass ich mir Projekte zu fairem Handel und fairem Tourismus ansehe.
Richtig, kommen wir zum Thema Tourismus. Für die meisten bedeutet Urlaub Loslassen – loslassen von den Sorgen des Alltags, mal nicht auf jeden Schritt achten zu müssen, auch mal ein bisschen exzessiv leben zu können. Wie verträgt sich das mit dem Konzept von fairem, nachhaltigem Reisen, also ?
Urlaub ist Routine. Dazu gehört auch, sich um Nachhaltigkeit keine Gedanken zu machen. Das hat sich so eingespielt und um Routinen zu ändern braucht es nun einmal Zeit. Wir müssen dahin kommen, dass jeder sagt: Ich will meinen Beitrag leisten – dazu, dass es Menschen auf der ganzen Welt durch den Tourismus gut geht und Natur auch für zukünftige Generationen erhalten bleibt. Dafür muss ich meine Gewohnheiten ändern, das ist ein Prozess. Aber wenn man den abgeschlossen hat, dann macht man das wie das tägliche Zähneputzen.
2017 wurde von den Vereinten Nationen sogar zum „Jahr des nachhaltigen Tourismus“ ausgerufen – wieso ist das Thema denn so wichtig?
Tourismus ist mittlerweile ein Massenphänomen, weit über die Grenzen Europas und der USA hinaus. Dadurch ist der Druck auf Ressourcen und die Natur viel größer geworden. Menschen, die reisen, fliegen oft, sie verbrauchen meist mehr Wasser als zuhause und erzeugen viel Müll. Hinzu kommen andere negative Auswirkungen: Es werden Fläche und Landschaft verbraucht, die biologische Vielfalt nimmt ab. Gerade in Entwicklungsländern leiden die Menschen zudem unter schlechten Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit, schlechten Löhnen und Sextourismus.
Gerade letzteres ist zwar immer wieder Teil von Dokumentationen und schockierenden Recherchen – aber beim Thema Urlaub stehen ökologische Aspekte meist im Vordergrund.
Das ist tatsächlich ein Problem. Interessanterweise wundern sich die Leute nicht, wenn der Kellner vom Frühstück abends noch an der Bar steht. Ein anderes Beispiel sind Kreuzfahrtschiffe: Die fahren nur unter ausländischer Flagge, weil dort Arbeitsbestimmungen nicht so streng wie in Deutschland sind. Man ist höchstens für ein paar Wochen im Urlaub und verliert den Ort meistens aus dem Blick. Die Menschen, die dort arbeiten und leben, bleiben aber dort. Deswegen muss es uns darum gehen, dass es besonders diesen Menschen gut geht und nicht nur den Touristen.
Wie kann ein rundum fairer und nachhaltiger Tourismus aussehen?
Ich vergleiche das gerne mit dem Autofahren: Früher, als es nur sehr wenige Autos auf den Straßen gab, brauchte man keine Ampeln, keine StVO. So dicht wie der heutige Verkehr aber ist, muss man ihn steuern und braucht Regeln, damit jeder heil durchkommt.
Was bedeutet das auf den Tourismus übertragen?
Es gibt schon heute Gebiete, in denen nur eine bestimmte Zahl an Touristen jährlich zugelassen ist. Die Umweltsteuer auf Mallorca ist ein anderes Beispiel, wie versucht wird, dem Massentourismus zu begegnen. Das führt oft aber auch zu höheren Preisen, was den Tourismus vielerorts schon wieder elitär werden lässt. Grundsätzlich gilt: Fairer Tourismus nimmt Rücksicht auf die Menschen und die Umwelt. Man sollte Orte so zurücklassen, wie man sie selbst vorfinden möchte.
Aber sind da nicht auch die Politik und die Reiseanbieter in der Verantwortung?
Natürlich, man muss alle ins Boot holen. Zum Stichwort Klimaschutz und Transport brauchen wir eine internationale CO2-Steuer. Das schafft denke ich auch bei den Verbrauchern ein größeres Bewusstsein für die wahren Kosten des Fliegens. Gleichzeitig müssen beim Fliegen Subventionen abgebaut werden. Dann kommen wir irgendwann auch zu fairen Wettbewerbspreisen. Außerdem muss man das Müll- und Abwasserproblem in vielen Ländern lösen. Dafür braucht es Kampagnen und Aktionen für Einheimische, aber auch Touristen.
Was kann man selbst tun, um den eigenen Urlaub, die eigenen Reisen nachhaltiger und fairer zu gestalten?
Um das Thema Müll noch einmal aufzugreifen: Ich habe in dem Monat, den ich jetzt schon in Panama bin, eine einzige Plastikflasche gekauft. Ich habe auf Reisen einen Taschenfilter bei mir, ansonsten kann man sich auch in den meisten Hotels frisches Wasser abfüllen lassen. Die Leute beschweren sich, wie dreckig es am Strand aussieht, merken aber nicht, wie sie selbst dazu beitragen. Grundsätzlich sind es aber alles Dinge, die man auch zuhause macht und machen kann: zum Einkaufen einen Beutel mitnehmen und keine Plastiktüte kaufen, sparsam mit Wasser umgehen, Akkus statt Batterien benutzen, die Klimaanlage nicht ständig laufen lassen. Was aber auch sehr viel hilft: reden. Man kann Freunden und Bekannten vom eigenen, nachhaltigen Urlaub erzählen und auch den Anbietern Rückmeldung geben, was gut war und was besser gemacht werden kann.
Aber bringt das wirklich was, wenn ich dann doch wieder für eine Woche mit dem Flugzeug auf die Bahamas fliege?
Man muss sich grundsätzlich fragen, was für einen Urlaub mache ich. Länger an einem Ort ist besser als kurz an vielen verschiedenen. Ideal sind Reisen mit Bus, Bahn und Fahrrad, die direkt vor der eigenen Haustür starten. Wer pauschal reisen will, findet mittlerweile eine ganze Reihe von nachhaltigen Urlaubsanbietern, viele sind beispielsweise im forum anders reisen organisiert. Auf Kreuzfahrten sollte man verzichten, ebenso auf lange Flugreisen. Aber egal ob Bus, Bahn oder Flugzeug: Man sollte in jedem Fall den eigenen CO2-Ausstoß kompensieren.
Das Buch: „FAIRreisen – Das Handbuch für alle, die umweltbewusst unterwegs sein wollen“ von Frank Herrmann (oekom Verlag, ISBN: 978-3-86581-808-9, € 19,95) Kaufen: beim Buchhändler deines Vertrauens oder online z. B. bei Buch7**, Ecobookstore**, Booklooker** oder Amazon**. Eine Leseprobe des Buches gibt es beim oekom Verlag.
Gerade die CO2-Kompensationen stehen ja immer wieder als moderner Ablasshandel in der Kritik. Erst vor Kurzem hat sie der Papst als „Heuchelei“ bezeichnet.
Ich glaube der Papst urteilt da etwas voreilig. Die Menschen fliegen viel und sie werden weiterhin fliegen. Derzeit gibt es keine globale Lösung wie eine CO2-Steuer, deswegen dienen freiwillige Kompensationen als Übergangslösung. Sie sind auch kein Freibrief zum Vielfliegen, im Gegenteil. Wenn man sich damit beschäftigt, klärt man sich selbst ein bisschen auf, man hinterfragt das eigene Konsumverhalten. Wie gesagt ist das große Problem, dass Fliegen derzeit zu billig ist, auch dank staatlicher Subventionen. Die Transportbranche ist ausdrücklich vom Pariser Klimaabkommen ausgenommen, das ist eine absurde Situation. Es muss das Verursacherprinzip gelten: Wer CO2 produziert, der muss auch dafür aufkommen. Das trifft zuallererst die Fluglinien, aber letztlich auch die Verbraucher.
Aber ist nicht trotzdem jeder Flug einer zu viel?
Natürlich, das sagen auch alle Organisationen, die CO2-Kompensationen befürworten oder selbst anbieten: Wo es geht, den Flug vermeiden, wo es nicht geht, kompensieren.
Bedeutet das für Reisen letztlich nicht: Der fairste und nachhaltigste Urlaub ist der, der nicht gemacht wird?
Es ist illusorisch zu glauben, die Menschen gehen nicht mehr auf Reisen, darum geht es auch nicht. Wir müssen uns fragen, wie wir unseren Urlaub gestalten und was wir tun können, um möglichst nachhaltig zu reisen. Das Thema ist noch relativ neu, die Menschen müssen aber endlich erkennen, dass sie auch hier eine Verantwortung haben. Bei Ernährung und Mode ist das schon selbstverständlich. Wieso also nicht auch beim Reisen?
GASTBEITRAG aus enorm.
TEXT: Vincent Halang
enorm ist das Magazin für den gesellschaftlichen Wandel. Es will Mut machen und unter dem Claim „Zukunft fängt bei Dir an“ zeigen, mit welchen kleinen Veränderungen jeder Einzelne einen Beitrag leisten kann. Dazu stellt enorm inspirierende Macher und ihre Ideen sowie Unternehmen und Projekte vor, die das Leben und Arbeiten zukunftsfähiger und nachhaltiger gestalten. Konstruktiv, intelligent und lösungsorientiert.
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