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Flüchtlingsboote zu Taschen

fluechtlingsboote taschen
Foto © Mimycri; Annika Nagel

Flüchtlinge sollen genau die Schlauchboote, mit denen sie die gefährliche Überfahrt übers Mittelmeer gewagt haben, zu schönen Rucksäcken und Taschen verarbeiten? Was sich im ersten Moment zynisch anhört, hat gerade für die, die es am meisten betrifft, eine erstaunlich positive Wirkung.

Wir geben uns größte Mühe, die hunderttausenden Flüchtlinge zu integrieren, die mit Schlauchbooten den Weg über das Mittelmeer geschafft haben. Doch was passiert eigentlich mit den Booten? Die kurze Antwort lautet: Mimycri will sich darum kümmern.

Die Idee: Flüchtlinge sollen genau die Schlauchboote, mit denen sie die gefährliche Überfahrt übers Mittelmeer gewagt haben, zu schönen Rucksäcken und Taschen verarbeiten. Ganz so einfach – und vor allem so plakativ und zynisch wie eben beschrieben – ist es natürlich nicht. Mimycri ist alles andere als ein Projekt, was Schlauchboote über Menschen stellt. „Es ist eine Mischung aus Integrations- und Upcyclingprojekt mit einem designhistorischen Ansatz“, wie es die Co-Gründerin Vera Günther beschreibt.

Und darum geht es: Mimycri will Taschen und Rucksäcke nähen; mit Flüchtlingen, aus den alten Schlauchbooten, mit denen sie und andere die gefährliche Überfahrt zu uns angetreten haben. Denn genau dort beginnt auch die Geschichte von Mimycri.

Günther hat sich nämlich im letzten Jahr in der Flüchtlingshilfe engagiert, direkt vor Ort auf der griechischen Insel Chios. „Ein Teil der Arbeit war es, die Leute in Empfang zu nehmen und zu versorgen. Ein anderer, erstaunlich großer Teil war es aber auch, die Strände von Rettungswesten, nasser Kleidung und Schlauchbooten zu säubern.“

Paradoxe Müllsituation

Am Anfang habe man einfach alles in den Müll geschmissen, was Günther und ihre Kollegen vor allem bei der Kleidung paradox fanden: „Wir haben die Kleidung weggeschmissen, nur um dann für die Neuankömmlinge neue zu kaufen – möglichst billig und dadurch alles andere als fair und nachhaltig produziert.“

Sie sammelten Spenden, schafften sich davon Waschmaschine und Trockner an und begannen, die nassen Sachen aufzubereiten. Für die Kleidung war also eine Weiterverwendung gefunden – blieben noch die Schlauchboote: „Wir haben uns schon die ganze Zeit am Strand gedacht, was für ein robustes Material das doch ist und wie schade es ist, das einfach so wegzuwerfen“, sagt Günther.

Deswegen nahm sie ein kleines Stück Schlauchboot mit zurück nach Berlin und fragte einen befreundeten Designer, was man daraus machen könnte. So entstand praktisch die erste Tasche von Mimycri: „Im Rückblick war sie nicht besonders schön, aber wir haben uns einfach so sehr gefreut, dass man aus den Schlauchbooten wirklich etwas machen kann“, erinnert sich Günther.

Es dauerte zwar etwas, bis sich das heutige Team gefunden hatte, jetzt arbeiten aber neun Menschen aus sieben Ländern in dem Projekt – viele davon selbst mit Fluchterfahrung. Richtig starten konnte Mimycri allerdings erst nach Weihnachten. Da erhielt das Team eine Förderzusage im Rahmen des Integrationspreises der Hertie Stiftung.

Upcycling und Integration in makaber?

So kam es auch zu dem Crowdfunding auf Startnext, das derzeit für das Projekt läuft. „Wir nutzen das vor allem um zu sehen, welche Produkte gut ankommen“, erklärt Günther. Das Fundingziel von 15.000 Euro war so schon nach zwei Wochen erreicht, Mimycri kann also mit einem guten Polster in die Produktion starten.

Aber ist es nicht makaber, Flüchtlinge mit genau den Booten arbeiten zu lassen, mit denen sie die lebensgefährliche Überfahrt übers Mittelmeer gewagt haben und in denen andere bei dem Versuch womöglich umgekommen sind? „Gerade die Flüchtlinge erleben es ganz und gar nicht so“, sagt Co-Gründerin Günther. Bei einem Workshop zu Beginn des Projektes habe man einige von ihnen eingeladen, sich es einmal anzusehen.

Völlig anderer Blickwinkel der Flüchtlinge

„Wir haben es am Anfang vor allem als Upcycling- und Integrationsprojekt gesehen.“ Die Flüchtlinge selbst hätten es aber aus einem völlig anderen Blickwinkel gesehen. Für sie ging es um Geschichtsbewahrung und Bewusstsein für ihre Erlebnisse. „Es ist eine Möglichkeit zu kommunizieren, was gerade passiert und Aufmerksamkeit für das Problem zu schaffen. Viele haben uns auch gesagt, wie schön es ist, dass die Boote nicht als Plastikmüll enden. Sie vollenden so auch sozusagen die Reise der Flüchtlinge.“

Die Flüchtlingskrise wird so natürlich nicht gelöst. Günther sagt aber: „Wir wollen aber kreative Lösungen finden, auch daraus etwas Gutes schaffen zu können. Natürlich sind wir nicht einverstanden mit dem, was dort im Mittelmeer passiert.“ Gäbe es irgendwann keine Schlauchboote mehr, wäre das Team auch froh und würde mit Mimycri versuchen, andere Materialien zu verarbeiten.

Es ist eine seltsame Mischung aus Realismus, ein wenig Resignation und dem unbedingten Willen, auch bei größtem menschlichen Leid das Gute und Konstruktive zu sehen, die Mimycri auszeichnet. Günther selbst gibt zu, dass im Team niemand ernsthaft daran glaube, dass es in naher Zukunft keine Flüchtlingsboote im Mittelmeer mehr geben wird, geschweige denn dass die kleine Gruppe das Problem und den gesamtpolitischen Kontext ändern könne. Wieso dem Ganzen also nicht ein wenig Gutes abgewinnen?

Günther fasst es letztlich so zusammen: „Wir versuchen, eben nicht zu kapitulieren. Wir tun das, was wir können – und wollen so ein politisches Statement auf eine andere Art und Weise kommunizieren, völlig ohne erhobenen Zeigefinger. Wir wollen damit auch unser eigenes Ohnmachtsgefühl bekämpfen.“

GASTBEITRAG aus enorm.
TEXT: Vincent Halang

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