„27 von uns sitzen um den Tisch, und wir haben es geschafft, einen gemeinsamen Haushalt zu beschließen. Welcher andere politische Raum in der Welt ist dazu in der Lage? Keiner.“ Die bilanzierenden Worte von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Corona-Deal auf dem EU-Sondergipfel sollen Wirkung zeigen.
Die gänzlich eingeplante Summe von 1,8 Billionen Euro, verteilt auf den angesprochenen EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 und den 750 Milliarden Euro umfassenden Hilfsfonds, ist unstrittig historisch. Und: Das Bekenntnis aller EU-Staaten zum gemeinsamen und entschiedenen Handeln in der fortwährenden Corona-Krise ist wichtig – und generell richtig. Weil zuletzt allzu sehr über nationale Egoismen, gekoppelt an das Attribut „sparsam“, diskutiert wurde. Weil die Zeit drängt. Die Einigung muss schnellstmöglich in die Praxis und damit in Gesetze übersetzt werden. Und: Das europäische Parlament muss zustimmen.
EU-Sondergipfel: „epochaler Paradigmenwechsel“?
Ein Scheitern, das zeitweilig auch Bundeskanzlerin Angela Merkel öffentlich befürchtete, hätte schwerwiegende Konsequenzen haben können. Einen Dauerstreit – wie erstmals im Frühjahr um die Eurobonds – galt es zwingend zu vermeiden. Und in der Tat ist man hier weitergekommen: Die EU wird erstmals explizit gemeinsam Schulden machen. Von einem „epochalen Paradigmenwechsel“ ist die Rede.
Es bleibt aber, jenseits der oberflächlichen Freude darüber, die wichtige Frage nach dem sozioökonomischen Preis der Einigung. Und damit etwa nach der Kopplung der Rechtsstaatlichkeit an die Auszahlung von Hilfsmitteln – etwa im Fall von Polen, deren kürzliche, äußerst knappe Präsidentschaftswahl gezeigt hat, wie tief gespalten das Land eigentlich ist und im Fall von Ungarn. Dessen ultrarechter Premier, Viktor Orban, berichtete jedenfalls in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem polnischen Kollegen Amtskollegen Mateusz Morawiecki, es sei „nicht nur gelungen, sich ernsthafte Geldsummen zu sichern, sondern auch ihren nationalen Stolz zu verteidigen“. In der Tat ist das Verhandlungsergebnis bitter, denn die EU will einen „Schutzmechanismus“ erst noch genau erarbeiten und die gewählte Kompromissformel unterstreicht nur lapidar, dass Rechtsstaatlichkeit bei der Mittelvergabe zu respektieren sei.
Doch hier gibt es Hoffnung: Das Verfahren nach Artikel 7, der die Grundwerte der EU schützt, gegen Polen und Ungarn läuft noch. Ein entsprechender Ausgang kann jene, die gerne plakativ den Nationalstolz für Siegesfeiern benutzen, immer noch deutlich in die Schranken weisen.
EU-Sondergipfel: 30-Prozent-Quote für den Klimaschutz
Auch die elementaren Themen Klimaschutz und Digitalisierung hätten auf dem EU-Sondergipfel wesentlich lauter diskutiert werden können. Von den 1,8 Billionen Euro sollen 30 Prozent in den Klimaschutz investiert werden. Eine deutliche höhere Quote wäre ein klares, notwendiges Bekenntnis gewesen. Chance vertan. Die Kritik von Aktivist*innen und Umweltpolitiker*innen ist absolut berechtigt. Mehr noch: Milliarden wurden beim wichtigen Forschungsförderprogramm „Horizon Europe“ weggestrichen. Die Zusammensetzung des EU-Etats bleibt weiterhin arg konservativ gedacht und angelegt: Viel Geld entfällt weiterhin auf Agrarsubventionen und in klassische Strukturprojekte.
Auch der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber hat im Deutschlandfunk auf weitere bedenkliche Kürzungen hingewiesen. Man habe „den regulären Haushalt an sieben Stellen gekürzt, die gerade uns als Parlament wichtig sind, nämlich immer dann, wenn es um Zukunftsfragen geht“. Zurecht fragt er: Wie könne man so „in der Forschungspolitik, in der Innovation vorankommen, in der Gesundheitspolitik, wo wir gerade erst erlebt haben, was wir noch alles zu tun haben“?
Deutschland muss Überzeugungsarbeit leisten
In Brüssel hat vorerst die pragmatische nationale Interessenpolitik gesiegt. Und doch ist etwa die Aufnahme gemeinsamer Schulden ein wichtiges solidarisches Zeichen. Ein Schritt der noch vor Monaten kaum denkbar schien. Aus dem kleinsten gemeinsamen Nenner der 27 Mitgliedstaaten muss jetzt Stück für Stück ein tragfähiges, ökologisches Zukunftskonzept gebaut werden, auch wenn die 30-Prozent-Quote für Investitionen in den Klimaschutz erstmal nicht ambitioniert genug wirkt. Hier müssen sich die Länder verbindlicher zeigen. Dafür wie sie die Gelder aus dem Corona-Hilfsfonds verwenden wollen, müssen sie diesbezüglich ambitionierte Pläne vorlegen. Deutschland könnte hier, auch im Sinne der bis Jahresende währenden Ratspräsidentschaft, beispielhaft agieren und Überzeugungsarbeit leisten.
Text: Jan Scheper
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