Zwei kürzlich erschienene Studien zeigen, wie ungenaues Arbeiten in der Forschung nicht nur der Wissenschaft schadet, sondern ganze öffentliche Diskussionen beeinflussen und uns auf falsche Fährten führen kann.
Vor etwa einem halben Jahr war die Begeisterung groß – auch bei uns: Da verkündete ein Forscherteam um die Wissenschaftlerin Federica Bertocchini von der spanischen Uni Santander in einer Studie, sie hätten eine Raupenart gefunden, die Plastik in nicht unerheblichen Mengen zersetzen könnte. Die Hoffnungen waren entsprechend hoch, denn damit wäre allen geholfen gewesen. Die Raupe kann sich an Unmengen Plastik sattfressen und wir können weiter ungebremst Kunststoffe in die Umwelt blasen – etwas übertrieben gesagt.
Dieser schönen Utopie erteilen Forscher aus Mainz um Till Opatz allerdings eine Absage. Oder dämpfen zumindest die Hoffnungen. Sie haben den Versuchsaufbau der originalen Studie genauer unter die Lupe genommen und einem Kontrollexperiment unterzogen. Dabei geht es ihnen vor allem um einen Aspekt der Arbeit.
Um ihre ursprüngliche Beobachtung – diese Raupe frisst Löcher in Plastiktüten – wissenschaftlich zu untermauern, hatten Bertocchini und ihre Kollegen nämlich einen Polyethylen-Film mit Raupenhomogenisat behandelt.
Raupenhomogenisat entsteht, wenn man gefrorene Raupen zerstößt, sodass eine eiweiß- und fetthaltige Masse entsteht und die Verdauungsenzyme der Tiere intakt bleiben. Dabei entstand, so die originalen Ergebnisse, Ethylenglycol, ein mögliches Spaltprodukt des Kunststoffs.
Und genau hier setzt die Kritik der Mainzer Forscher an. Denn für sie ist der Nachweis des Ethylenglycol unzureichend. Ihre Beweisführung von Opatz und seinen Kollegen stützt sich dabei auf Ei und Hack. Oder genauer gesagt auf die Spektren von Eigelb und Hackfleisch bei Infrarotspektroskopie. Denn diese Signale entsprächen ebenso denen des vermeintlichen Ethylenglycols. „Andere Signale, die für den eindeutigen Nachweis von Ethylenglycol besonders wichtig sind“, fehlten hingegen, wie es in einer Pressemitteilung der Uni Mainz heißt.
Ozeane sauberer als gedacht?
Kurz gesagt: Es ist nicht ganz klar, ob das, was die Raupen da in ihrer homogenisierten Form produziert haben, zersetztes Plastik oder eine Mischung aus Fett und Eiweiß ist. Das ist natürlich ungünstig, für die Forscher der ersten Studie, für uns, die darüber berichtet haben und alle, die die Hoffnung auf ganze Farmen voller plastikfressender Raupen gehegt haben.
In eine ähnliche Kerbe schlägt auch eine Analyse, die vor Kurzem veröffentlicht wurde. Wissenschaftler der TU Wien zeigen darin, dass es sich bei vermeintlichen Kunststofffasern in Wasserproben ebenso um Naturfasern handeln könnte, beispielsweise von Laborkitteln aus Baumwolle oder Viskose.
„Wenn man in Wasserproben nach Kunststoffen sucht, dann besteht immer die Gefahr, dass die nachgewiesenen Substanzen gar nicht aus der Probe selbst stammen, sondern aus der Laborumgebung“
Das sagt Bernhard Lendl vom Institut für Chemische Technologien und Analytik der TU Wien. Das Problem sei bekannt, weswegen die meisten Tests in speziellen Reinräumen durchgeführt werden und Kittel aus Kunstfasern dabei verboten sind.Allerdings reicht das nach Aussage der Wiener Forscher nicht aus. Um in den Wasserproben Plastik beispielsweise von Viskose und Baumwolle zu trennen, seien zusätzliche Analysemethoden nötig, auf die meist verzichtet werde.
Im Endeffekt bedeute das, die Ozeane könnten im Bezug auf Plastikkontamination sauberer sein, als es auf dem Papier und in vielen Studien den Anschein hat – weil die Forscher nicht Kunststoff- und Naturfasern eindeutig voneinander unterschieden hätten. „Unseren Ergebnissen nach dürfte es sich bei den angeblich in großer Meerestiefe gefundenen Kunstfasern einfach um einen Messfehler handeln“, so Lendl.
Demnach hätte es ähnliche Messfehler bereits bei Bier und Honig gegeben. Das dort gefundene Mikroplastik ließ sich letztlich wohl auf unsaubere Laborbedingungen zurückführen. Lendl und sein Team betonen aber ausdrücklich, dass ihre Studie auf keinen Fall bedeute, dass die Verschmutzung der Weltmeere durch Plastik harmlos sei. „Doch wenn es darum geht, Mikroplastik-Spuren nachzuweisen, muss man die passenden wissenschaftlichen Methoden wählen“, betont der Forscher. „Alles andere ist unseriös und hilft weder dem Ozean noch der Wissenschaft.“
GASTBEITRAG aus enorm
Text: Vincent Halang
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