Klassische Kassenzettel können potenziell ungesunde Stoffe enthalten und dürfen deshalb nicht ins Altpapier. Die neueren blauen Bons dagegen sollen laut Hersteller und Handel besonders umweltfreundlich und problemlos recycelbar sein. Nur: Ausgerechnet Recyclingverbände sehen das anders.
Egal, ob beim Gemüsehändler an der Ecke, im Discounter oder an der Tankstelle: Nach beinahe jedem Einkauf haben wir einen Kassenbon in der Hand. Irgendwann in den vergangenen Jahren hat sich bei vielen Menschen herumgesprochen, dass diese nicht ganz unproblematisch sind.
Darum gehören klassische Kassenzettel nicht ins Altpapier
Bis Anfang 2020 enthielten sie als Farbentwickler Bisphenol A (BPA), das in der EU mittlerweile als „besonders besorgniserregender Stoff“ gilt (s. ECHA). BPA steht im Verdacht, hormonell wirksam und reproduktionstoxisch zu sein, also die Fruchtbarkeit zu beeinträchtigen. Die europäische Chemikalienagentur EFSA hält die Kassenbons für eine so wichtige Quelle der Chemikalie, dass BPA darin seit knapp vier Jahren nur noch in sehr geringer Menge eingesetzt werden darf.
Nun enthalten viele Kassenbons stattdessen Bisphenol S (BPS) – doch auch hier gibt es ernsthafte Bedenken bezüglich der Sicherheit für die menschliche Gesundheit (s. UBA).
Die mehr oder weniger gesundheitsgefährdenden Substanzen können nicht nur beim direkten Kontakt bedenklich sein, sondern auch, wenn sie ins Altpapier gelangen: Durch den Recyclingkreislauf können sie etwa in Klopapier landen – und damit wieder an unserer Haut und in Gewässern.
Offizielle Stellen wie etwa das Umweltbundesamt raten deshalb dazu, Kassenbons grundsätzlich nicht im Altpapier, sondern nur im Restmüll zu entsorgen.
Blaue Kassenbons: Warum sie besser sind
Soweit die Vorgeschichte. Als Retter tritt nun im Jahr 2020 ein Papier auf, das zwar anders aussieht, dafür aber völlig frei von potenziell ungesunden Farbentwicklern ist und das man deshalb sogar völlig bedenkenlos ins Altpapier werfen darf.
Die blauen Kassenbons, mitunter auch Öko-Bons genannt, kommen seither bei zahlreichen Einzelhändlern und Gastronomiebetrieben zum Einsatz, fast unisono wird vom Handel wie offiziellen Stellen dazu geraten, sie im Altpapier zu entsorgen.
Auch Utopia empfahl deshalb mehrere Jahre lang: Blaue Bons ins Altpapier. Bis uns im Oktober 2023 eine Vereinigung altpapierverarbeitender Papierfabriken darauf aufmerksam machte: Ganz so einfach ist es nicht. Laut dem Verband INGEDE (Internationale Forschungsgemeinschaft Deinking-Technik) können die blauen Kassenbons schon in kleinen Mengen im Altpapierrecycling zu Problemen führen.
„Eine echte Plage für das Recycling“
Die schwarze Farbschicht sei „quasi eine lose Rußschicht“, welche sich beim Recycling „zu einer schwarzen Brühe auflöst, die sich nicht entfernen lässt und die Fasern graufärbt„, schreibt uns der Verband. Der Sprecher, Chemiker Axel Fischer, klagt: „Ein einziger Kassenzettel färbt etwa dreieinhalb Kilo Papier so, dass sich die Helligkeit um gleich drei Weißgradpunkte verschlechtert.“
Dabei sei bereits der Aufwand, der normalerweise nötig sei, um die Helligkeit von Altpapier um nur einen Punkt zu erhöhen, immens.
Denn: Kund:innen wollen möglichst weißes Papier. Auf raues, grau-bräunliches Papier möchte heute kaum noch jemand seine Unterlagen drucken oder sich damit die Hände abtrocknen. Ein Problem für die Recyclingbetriebe. Recycling-Experte Fischer nennt die blauen Kassenzettel „eine echte Plage für das Recycling“.
Das sagt der Hersteller
Der Hersteller des blauen Thermopapiers, Koehler Paper aus Oberkirch in Baden-Württemberg, entgegnet: Das Thermopapier der Kassenzettel mit dem Markennamen blue4est werde im Altpapier so sortiert, dass es nur zu Kartonagen recycelt werde, in denen die schwarze Farbe nicht störe.
Nur ein geringer Teil des Altpapiers in Deutschland werde überhaupt zur Erzeugung von weißen Recyclingpapieren eingesetzt, schreibt uns das Unternehmen. Hier könne das blaue Thermopapier in der Tat nicht zum Einsatz kommen.
Eigene Versuche in einer modernen Altpapiersortieranlage hätten aber gezeigt, dass nach der Sortierung jenes Altpapier, das man für die Produktion von weißem Recyclingpapier benötigt, frei von Kassenzetteln sei. „Da Blue4est in Altpapiersortieranlagen in die Altpapiersortimente für Verpackungspapier sortiert wird, hat es keinerlei Konsequenzen für die Qualität von grafischen Recyclingpapieren.“ Fazit des Hersteller: Die blauen Kassenbons dürfen und sollen im Altpapier entsorgt werden.
Was passiert mit den blauen Kassenzetteln im Altpapier?
Tatsächlich gelangt der Papiermüll der Haushalte und Betriebe aus der blauen Tonne in eine Sortieranlage und wird dort in verschiedene Fraktionen unterteilt. Alle braunen oder grauen Verpackungen werden aussortiert und für neuen Wellpappenrohstoff eingesetzt. „Hier würden die blauen Kassenzettel nicht stören“, bestätigt uns Fischer vom Verband INGEDE.
Das Problem: Kassenzettel seien zu klein, um mit den Papierverpackungen vollständig wegsortiert zu werden, zu viele verblieben im weißen Papier. Eine praktikable technische Lösung, etwa zur effizienteren Sortierung der Papiere, sieht Recyclingexperte Fischer nicht. Ihm zufolge sei der einzige Ausweg, von vornherein zu vermeiden, dass die blauen Kassenzettel im Altpapier landen.
Dies sieht auch das Umweltbundesamt so: Farbentwicklerfreie Thermopapiere – wie die blauen Bons – findet das UBA zwar „besonders positiv“. Doch „solange das farbentwicklerfreie Thermopapier die Recyclingtests nicht besteht und weiterhin phenolhaltige Thermopapiere im Einsatz sind“, empfiehlt die Behörde, alle Thermopapiere mit dem Restmüll zu entsorgen.
Blaue Bons nur in geringen Mengen
Sind die blauen Bons im Altpapier wirklich so schlimm? Wir fragen beim Verband kommunaler Unternehmen (VkU) nach, der Interessenvertretung der kommunalen Versorgungs- und Entsorgungswirtschaft in Deutschland.
„Die in privaten Haushalten üblichen Mengen an blauen Kassenbons können problemlos – anders als die beschichteten weißen Kassenbons – mit der Altpapiersammlung bei privaten Haushalten erfasst werden“, schreibt uns der VkU.
Zwar seien in diesen Papieren „viele Pigmente enthalten, die beim Recycling dem Papier nicht entzogen werden können und daher den Prozess bei der Herstellung von hellem graphischem Papier stören können.“ Doch sei die Menge der Bons im Altpapier so klein, dass es hier „wohl“ nicht zu einer ernsthaften Störung des Prozesses komme. Auch der VkU verweist darauf, dass der Großteil des Altpapiers zu Verpackungspapieren recycelt wird.
Was sagt der Händler?
Edeka ist einer der prominentesten Einzelhändler, die auf das blaue Thermopapier setzen. Auf der Website wirbt man mit der Umweltfreundlichkeit der blauen Bons, auf der Rückseite jedes Bons steht der Aufdruck: „Über das Altpapier zu entsorgen und recycelbar“.
Auf Nachfrage erhalten wir von der Pressestelle lediglich ein Lob auf die Umweltfreundlichkeit und Unbedenklichkeit der blauen Kassenzettel mit der Wiederholung, das Papier sei recyclingfähig und könne im Altpapier entsorgt werden. Man bedauere, dass die aktuelle Diskussion zur Verunsicherung bei Verbraucher:innen führe.
Was jetzt also tun mit den blauen Bons?
Es ist nachvollziehbar, dass Hersteller und Handel die Entsorgung im Altpapier empfehlen wollen. Immerhin hebt sich das Produkt damit von allen anderen am Markt ab, denn Recycling ist umweltfreundlich. Umweltfreundlich ist das blaue Thermopapier auch – allein schon durch den Verzicht auf bedenkliche Farbentwickler und die Verwendung von FSC-zertifiziertem Papier hat es herkömmlichem Thermopapier viel voraus. Unabhängig vom Entsorgungsweg erscheinen die blauen Kassenzettel als die derzeit nachhaltigste Lösung am Markt. Die Art der Entsorgung tut dem keinen Abbruch.
Gleichzeitig stellt sich die Frage: Wenn die Mengen im Altpapier derzeit so gering sind, wie Hersteller und VkU betonen, ist dann nicht auch der potenzielle Mehrwert der Zettel im Altpapier gering? Würde, anders gefragt, viel verloren gehen, wenn die Bons in die Restmülltonne wanderten? Nun können sich in Zukunft natürlich sowohl die Mengen der blauen Kassenzettel als auch die Fähigkeiten der Sortierbetriebe oder Vorgehen beim Papierrecycling ändern.
Wem einzelne Bons ins Altpapier geraten, muss deshalb kein schlechtes Gewissen haben. Aber die sicherste Empfehlung ist zumindest nach derzeitigem Kenntnisstand: Alle Kassenbons in den Restmüll.
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