Die Städte der Zukunft müssen Platz für zwei Drittel der Weltbevölkerung bieten. Dabei müssen sie Ressourcen schonen und nachhaltiger wirtschaften. Wie können wir uns die Smart City vorstellen?
Auf Städte der Zukunft kommen vielfältige Aufgaben zu. Bis zur Mitte des Jahrhunderts sollen zwei Drittel der Weltbevölkerung in ihnen wohnen. Ressourcenschonender müssen sie sein, nachhaltiger wirtschaften sollen sie, dem Klimawandel trotzen. Technologiegestützte Systeme sollen den Alltag der Bewohner erleichtern. Subsumiert wird dieser Ansatz gern unter dem Begriff Smart City.
Doch was ist die Smart City eigentlich? Eine eindeutige Definition liegt bislang nicht vor. Vielmehr ist es ein buntes Potpourri verschiedener Perspektiven, von Technikkonzernen wie IBM über Stadtplaner bis hin zu Bewohnern und Kritikern – von Menschen in ihren Rollen und wie sie auf die Stadt schauen.
Das spanische Santander ist Vorreiter in Sachen Smart City. Andere europäische Städte lassen sich von diesem Konzept inspirieren und studieren es vor Ort. Hier gibt es intelligente Parkplätze, Sprenkleranlagen, Laternen und sogar Mülleimer.
Sensoren in den Mülleimern melden zurück, wenn diese voll sind. So lassen sich die Routen für die Fahrzeuge anpassen, damit sie nur volle Mülltonnen leeren. Das spart Zeit, Personal und Emissionen.
Parkplätze funktionieren so, dass erkannt wird, wenn ein Auto wegfährt oder parkt. Der Parkplatzsuchende wird dann zu einem freien Platz geleitet. Auf großen Rasenflächen erkennen Sensoren automatisch, ob die Erde zu trocken ist und passen die Wassermenge an den Bedarf der Wiese an.
Laternen schalten sich nur dann ein, wenn jemand unter ihnen entlang geht. In der Theorie. In der Praxis gibt es in Santander kleinere und größere Pannen. Da die Sensoren nicht immer richtig funktionieren und überhaupt nur in einem Bruchteil der Mülltonnen verbaut sind, leeren einige Müllmänner ihre Tonnen noch wie gewohnt – zeitliche und personelle Ersparnis in diesem Sektor derzeit gleich null.
Soziale Innovation oder Marktplatz multinationaler Konzerne?
Das Konzept Smart City erhielt jüngst 2018 den Negativpreis BigBrotherAward. „Smart Cities reduzieren die Bewohner auf ihre Eigenschaft als Konsumenten, machen Konsumenten zu Daten liefernden Objekten und unsere Demokratie zu einer privatisierten Dienstleistung“, kritisiert Rena Tangens von Digitalcourage e.V. in ihrer Laudatio.
So wie sie bemängeln zahlreiche Kritiker, Smart Cities wären allein ein Marktplatz, um Technologien multinationaler Konzerne gewinnbringend zu platzieren. Tatsächlich sitzen Firmen wie Cisco, Microsoft, Huawei, Hitachi, IBM, Osram, Siemens und Bosch bereits in den Startlöchern, ihre Ideen zu den Smart City-Konzepten beizusteuern. Sie werben mit den Städten der Zukunft und mehr Lebensqualität für ihre Bürger. Aber ist das auch so?
Die Ideen der Unternehmen gehen noch weit über die der Vorreiter-Städte wie Santander hinaus. Ressourcenschonende Beleuchtung, intelligente Parksysteme und Müllentsorgung sind dabei nur der Anfang. Ihnen schwebt Datenvernetzung und Überwachung vor: Überregional zum Schutz vor potenziellen Umweltschäden genauso wie digitale Überwachungssysteme, um zukünftiger Kriminalität vorzubeugen.
Ist soviel digitales Know-how überhaupt wünschenswert? Möchte man nicht lieber analog den Parkplatz suchen? Denn der, den die App anzeigt, kann ebenfalls vor der Nase weggeschnappt werden. Und reicht es nicht zu wissen, dass in einem Parkhaus noch eine gewisse Anzahl Parkplätze frei ist? Muss der exakte Platz gleich angezeigt werden?
Die Frage der Verdummung steht nicht unbegründet im Raum. Was analog ebenso gut möglich wäre oder mit den eigenen Sinnen verifiziert werden kann, dem wird so noch zusätzlich ein digitaler Prozess vorgelagert. Wo ist da die Zeitersparnis?
Dr. Johannes Novy, Stadtforscher der Cardiff University, nennt es „die Tendenz, mittels Technologie lösen zu wollen, was bisher gar keiner Lösung bedurfte“.
Rückenwind von der EU für Smart Cities
Im Rahmen der Horizon 2020 möchte auch die EU Smart City Projekte voran bringen. Ihnen allen gemeinsam sind die Oberthemen Energie, Mobilität und intelligente Vernetzung. Dazu hat die EU Leuchtturmstädte ausgelobt, denen weitere Städte folgen, die über ganz Europa verteilt sind.
Im gemeinsamen Erfahrungsaustausch schauen sich die Follower-Städte innereuropäisch ab, was bereits existierende Smart-City-Quartierskonzepte aus anderen Städten können und adaptieren es für ihre Stadt. Einige deutsche Städte wie etwa Leipzig und Essen sind Follower, andere sind Vorreiter, zu nennen wären hier die sogenannten Leuchtturmstädte München und Dresden. Sie inspirieren andere.
Leipzig wird im Rahmen des „Triangulum“-Projekts einen Teilbereich seines Stadtgebiets im Westen als Experimentierzone ausweisen und will diesen Smart City Ansatz dann später auf das gesamte Stadtgebiet übertragen. Zur Strategie zählen der Aufbau einer an Unternehmen orientierten Infrastruktur, ebenso wie die Etablierung erneuerbarer Energien. Darüber hinaus soll der ÖPNV ausgebaut und der gewerbliche Lieferverkehr umstrukturiert werden.
München als Leuchtturmstadt ist Teil des Projekts „Smarter Together“. Hierbei soll die Lebensqualität der Menschen in den Vordergrund gestellt werden. München als Vorreiterstadt hat die Voraussetzung, dass sie neben den beiden anderen Leuchtturmstädten schnell wächst und für das Thema Erneuerbare Energien eine gute Ausgangslage hat, auf der aufgebaut werden kann. Der Münchener Westen wurde dafür ausgewählt.
Fünf Maßnahmen sind geplant, neben Stadtteillaboren zur Bürgerbeteiligung sind es neu entstehende Niedrigenergiequartiere auf Basis erneuerbarer Fernwärme, sowie eine ganzheitliche Sanierung des Wohnungsbestands aus öffentlichem wie privatem Besitz. Dazu kommen ferner Smart Data Management Plattformen und nachhaltige Mobilitätslösungen. Im Zeitraum von fünf Jahren fördert die EU das Projekt mit 25 Millionen Euro.
Kritiker bemängeln bei vielen der Projekte, dass die neu implementierten Standards an den Interessen der Bewohner vorbei laufen. Was oftmals fehlt, mit Ausnahme von München, sind aktive Bürgerbeteiligungsprozesse über die komplette Projektphase hinweg, damit nicht an den Bewohnern vorbei gedacht wird.
Denn die Stadtbewohner sind das Entscheidende: Sie nutzen die Stadt, leben darin, sie haben Wünsche und wollen den Ort, an dem sie leben, gestalten.
Überwachung oder Anonymisierung?
Stärkster Problempunkt im Kontext Smart City ist die mögliche Überwachung. Bei dem Haufen Daten, der jeden Tag in Smarten Städten der Welt gesammelt wird, wer garantiert denn da, dass sie nicht auch anderweitig genutzt werden?
150.000 Daten täglich sind es beispielsweise in Santander. Die Stadt gibt an, diese Daten zu anonymisieren, obwohl die Konzerne, die an der Verarbeitung beteiligt sind, privat sind. Wer schützt da die Interessen der Nutzer? „Das Smart City Konzept propagiert die Safe City. Eine mit verschiedensten Sensoren, total überwachte, gepflasterte, fern gesteuerte und kommerzialisierte Stadt“, so Rena Tangens von Digitalcourage e.V.
Im südchinesischen Shenzhen, einem der größten Sozialexperimente dieser Art, muss inzwischen nur jemand bei Rot über die Straße gehen, gleich wird er erfasst und öffentlich an den Pranger gestellt – auf großen Monitoren mit Angabe der Personalien. Ferner gibt es Punktabzug beim Social Score: Das ist jene Note, die in China darüber entscheidet, ob Menschen eine Wohnung, einen Job oder einen Studienplatz bekommen. Hier nutzt der Staat Smart Technologies als Kontrollinstanz.
„Diese Technologien werden nicht in Europa entwickelt. Wenn es in diesen Ländern kein Verständnis für Datenschutz gibt, dann es ist auch nicht sehr wahrscheinlich, dass sich damit verbundene Werte in der Technik wiederfinden“, beschreibt es Smart Cities-Kritiker Adam Greenfield eindrücklich.
Die Smart-City steckt noch in den Kinderschuhen
Wir fassen zusammen: Das Konzept Smart City ist bislang nicht eindeutig definiert. Das macht es schwer, Vergleiche zu ziehen. Die „eine“ Smart City gibt es nicht. Was es gibt sind Ansätze, die zu Problemstellungen eine technisierte Lösung bereit stellen, die das soziale Leben erleichtern soll. Sie sind punktuell auf ein Problem zugeschnitten.
Dabei ist die aktive Teilhabe der Bürger ein wichtiges Moment: „Nicht Technik löst die Probleme gegenwärtiger Stadtentwicklung, sondern Technik kann von gesellschaftlichen Akteuren eingesetzt werden, um Probleme zu lösen. Anders formuliert: Der Prozess der Aneignung entscheidet, ob Technologien ihre Potentiale entfalten“, fasst es Dr. Johannes Novy zusammen.
So wird jede Stadt aus sich selbst heraus entwickeln, welche technische Unterstützung sie im Umgang braucht, idealerweise im Sinne der Bürger.
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