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Tom Hodgkinson: Selbstversorger im Müßiggang

Müßiggänger Tom Hodgkinson bei der "Arbeit"
Foto © Rogner & Bernhard

Vorsicht, wenn Sie Tom Hodgkinson gelesen haben, wollen Sie morgen vermutlich nicht mehr zur Arbeit gehen. Der Brite feiert die Faulheit und hält nicht viel von der modernen Arbeitswelt. Sein neues Buch ist eine Inspirationsquelle für alle unzufriedenen „Lohnsklaven“, die ihre „Work-Life-Balance“ endlich mal anders gewichten wollen.

Tom Hodgkinson ist nicht einfach nur faul, er propagiert den Müßiggang als Kampfbegriff gegen das unternehmerische Selbst der Gegenwart: „Müßiggang ist löblich. Zweck dieses Buches ist es, die Faulheit zu feiern und die westliche Arbeitsmoral zu attackieren, die so viele von uns noch immer versklavt, demoralisiert und deprimiert. (…)Müßiggang bedeutet Freiheit, und damit meine ich nicht die Freiheit, zwischen McDonald’s und Burger King, zwischen Volvo und Saab zu wählen. Ich meine die Freiheit, das Leben so zu führen, wie wir es wollen, frei von Vorgesetzten, Wochenlöhnen, Berufsverkehr, Konsum und Schulden“. Diese Sätze stammen aus dem Vorwort zu Hodgkinsons erstem Buch, „Anleitung zum Müßiggang“, das in Großbritannien bereits 2004 unter dem Titel „How to be idle“ erschienen ist.

Müßiggang als Kampfbegriff und Lebensaufgabe

Nachdem Tom Hodgkinson sein Literatur-Studium beendet hatte, arbeitete er für eine bekannte Boulevardzeitung. Aber sein Job machte ihn nicht glücklich: „Das einzig echte Vergnügen, das er bot, war destruktiv: am Ende des Tages mit Kollegen im Pub sitzen und sich über die Chefs beklagen können. (…)Es schien, als hätte ich gerade Geld genug, um zur Arbeit und wieder zurück zu kommen, mir zum Mittag ein Käsebrot zu kaufen und meine Miete zu zahlen. Ich erfuhr, dass keineswegs Vergnügen, Zufriedenheit und Geld, sondern Miesepeterigkeit, Not und Groll der einzige Lohn für mein Sklavendasein waren. Und die schreckliche Ironie ist: Wenn sich von unserem gegenwärtigen Job herausstellt, dass er weder Geld noch Spaß bietet, dann meinen wir das Problem damit lösen zu können, dass wir uns einen besseren Job suchen.“

Als Hodgkinson gekündigt wurde, entschied er sich, es anders zu machen. Fünf Tage die Woche sinnlose Erwerbsarbeit waren für ihn keine Option mehr. Er widmete sich fortan dem professionellen Faulenzen und gründete die Zeitschrift „The Idler“. Seither verdient er sein Geld mit dem Schreiben von Artikeln und Büchern, er hält Vorträge und gibt Kurse. Alles zu einem Thema: der Kunst des Müßiggangs. Damit wird er nicht reich – aber er arbeitet auch nur drei Stunden am Tag. Das genügt ihm, um ein faules Leben führen zu können. Den Rest des Tages widmet er sich angenehmeren Dingen: Herumliegen, Essen, Schlafen, Trinken (am liebsten mit Freunden in seinem eigenen Haus-Pub), Okkulele spielen und: der Selbstversorgung.

Schöne alte Welt der Selbstversorgung

Hodgkinson hat es mit der Zeit im hektischen London nicht mehr ausgehalten und ist mit Frau und Kindern aufs Land in ein altes Bauernhaus samt Hof gezogen. Denn Müßiggang und Landleben gehören zusammen, sind aber nicht ohne Schwierigkeiten zu vereinen: „Wir haben festgestellt, dass das einfache Leben außerordentlich kompliziert und auch sehr hart ist. Es steckt voller Enttäuschungen, schafft aber auch immense Befriedigung: Man spart eine Menge Geld und bereitet viel besseres Essen zu. Dabei verbindet man sich mit der lebendigen Welt, mit der Natur, mit der alten Tradition des Landbaus (…) oder wie immer man es nennen will.“

Diese Sätze stammen aus Tom Hodgkinsons neuestem Buch „Schöne alte Welt“. Darin erzählt er von seinem Versuch zum Selbstversorger zu werden. Er mischt seine Erfahrungen – ein ständiges Scheitern in allen Belangen mit  nur langsam wachsenden Erfolgen – mit kulturgeschichtlichem Wissen und spinnt damit einen „praktischen Leitfaden für das Leben auf dem Lande“.

Vom unterdrückten Konsumenten zum selbstversorgenden Haushalt

Selbstversorgung meint für Hodgkinson aber mehr als in naiver Autarkie sein eigenes Obst und Gemüse zu essen. Sie gehört zur konsumkritischen Philosophie des Müßiggangs: „In der alten Welt war die kultivierte Muße der wichtigste Teil des Lebens. In der neuen hat der Beruf den Vorrang. (…) Die Kunst seine eigenen Lebensmittel zu erzeugen, wurde ersetzt durch den Gang zum Supermarkt, wo alles, was man braucht, zu kaufen ist. Dadurch sind wir ärmer, nicht reicher geworden. Wir gehen lieber in den Supermarkt und trinken vor dem Fernseher Bier aus der Dose, als die Scholle in unserem Kleingarten mit der unerbittlichen Hacke aufzubrechen. (…) Wir importieren von anderswo die Dinge, die wir selbst anfertigen oder anbauen könnten und folgen wie hilflose Kinder einem nutzlosen, teuren, vergnügungssüchtigem Lebensweg und tauschen innere Leere gegen Ablenkung ein. Wer sich dagegen selbst versorgt koppelt sich von den extrem niedrigen Preise und der extrem niedrigen Qualität der Welt der Supermärkte ab.“

Eigenes Brot backen, statt im Schnellbackverfahren hergestelltes Gummibrot aus dem Supermarkt zu kaufen. Obst und Gemüse mit reichlichen Erträgen, aber harter Arbeit und viel Geduld anbauen. Eigenes untrinkbares Bier brauen und ernüchternd feststellen, dass man das lieber sein lässt. Die Tragödie vom Schlachten des eigenen Schweins (Tierfreunde werden an manchen Stellen von „Schöne neue Welt“ keine Freude haben). Die Verunglimpfung der viel zu pflegebedürftigen Erdbeere als überbewertetes Obst. Der Stolz auf die erste eigene Sense, anstatt mit einem von Treibstoff abhängigen Rasenmäher zu mähen  – all diese  Versuche unternimmt Tom Hodgkinson, um die schöne alte Welt wieder aufleben zu lassen, unabhängiger zu werden und ein besseres Leben zu führen.

Selbstversorgung bedeutet: „dass man den eigenen Haushalt von einem beliebigen Ort, an dem man nach der Arbeit vor einem riesigen Fernsehschirm sitzt, in eine kreative und produktive Einheit verwandelt.“

Tom Hodgkinson – ein undogmatischer Müßiggänger

Trotz all der Feindschaft zur modernen Welt des Konsums und subversiver Ansichten bleibt Hodgkinson lebensnah und undogmatisch: „Doch es ist weder möglich noch erstrebenswert, komplett zum Selbstversorger zu werden. (…) Man muss seine Grenzen akzeptieren. Es ist schlicht unmöglich, seinen Lebensunterhalt zu verdienen und über Nacht ein akzeptabler Gemüsegärtner, Koch, Schlachter, Geflügelhalter, Schweinehirt, Waldarbeiter, Hausbauer, Bäcker, Konfitürenmacher, Heumacher, Imker, Brauer Senser und Schreiner zu werden. (…) Beginne klein und erwarte wenig.“

Fazit: Tom Hodgkinson ist eine Inspirationsquelle für alle Menschen, die  – wie man im hässlichen Neudeutsch so schön sagt – ihre Work-Life-Balance anders gewichten wollen, als den Großteil Ihrer Lebenszeit in einem Job zu verbringen, der sie unzifrieden macht. Es gleicht einer Zeitdiagnose, dass seine „Anleitung zum Müßiggang“ leider vergriffen und am besten in Leih-Bibliotheken zu bekommen ist. Als Alternative eignet sich „Die Kunst frei zu sein“. Allen gestressten Müttern und Vätern sei der „Leitfaden für faule Eltern“ empfohlen.

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