Das Vier-Ohren-Modell kann dazu beitragen, Missverständnisse und Konflikte mit unseren Mitmenschen zu klären oder sogar zu vermeiden. Wir erklären dir das Vier-Ohren-Modell.
Aufgrund unserer Sprache können Konflikte und Missverständnisse entstehen.
Wenn deine Kollegin oder deine Mitbewohnerin mit dir spricht, sendet sie dir eine Nachricht. Wenn sie dir mitteilt: „Der Kaffee ist leer!“, kommuniziert ihr. Diese Nachricht empfängst du und interpretierst sie – in diesem Fall vielleicht als Kritik. Du hörst vielleicht raus: „Hast du mal wieder keinen Kaffee nachgekauft?“. Vielleicht wollte die Senderin aber lediglich ausdrücken, dass Kaffee auf die nächste Einkaufsliste geschrieben werden sollte. Du hast also darauf reagiert, was du verstanden hast, und nicht darauf, was eigentlich gemeint war.
Das Vier-Seiten-Modell kann helfen, Klarheit darüber zu schaffen, wie eine Nachricht womöglich gemeint war und so zu einer verständnisvolleren Kommunikation in Alltag und Beruf beitragen.
Die vier Seiten einer Nachricht
Der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun hat ein Modell entwickelt, das dabei helfen kann, Kommunikation zu beschreiben und Störungen auf den Grund zu gehen. Er nennt es Kommunikationsquadrat oder Vier-Seiten-Modell. Denn in einer Nachricht verstecken sich eigentlich gleich vier Botschaften.
Welche Botschaften stecken nach diesem Modell möglicherweise in der Nachricht: „Der Kaffee ist leer?“
Betrachtest du die reine Information, ohne etwas hineinzuinterpretieren, dann ist die Sachinformation: Es gibt keinen Kaffee mehr. Das nennt Schulz von Thun die Sachebene.
Doch ist das alles? Nein, denn nach dem Vier-Seiten-Modell senden wir Botschaften immer auch auf drei anderen Ebenen: Der Apellebene, der Beziehungsebene und der Selbstoffenbarungsebene.
Die Anatomie einer Nachricht
Auf den verschiedenen Ebenen einer Nachricht senden wir ganz unterschiedliche Botschaften. Wir zeigen sie dir anhand des Beispiels „Der Kaffee ist leer!“.
Auf der Sachebene
senden Menschen Botschaften über den Sachverhalt, über den sie informieren wollen. In unserem Beispiel will die Kollegin informieren. Die Botschaft, die sich hinter der Nachricht verbirgt, ist schlicht: „Es ist kein Kaffee mehr da.“ Wenn du sichergehen willst, dass dein Gegenüber die Sachinformation der Nachricht versteht, ist es wichtig, dass du die Inhalte klar und verständlich ausdrückst.
Auf der Appellebene
senden Menschen Botschaften darüber, wozu sie ihr Gegenüber veranlassen möchte. Auf dieser Ebene drücken sich Wünsche, Appelle oder Ratschläge aus. In unserem Beispiel will uns die Mitbewohnerin vielleicht zu folgendem auffordern: „Geh bitte Kaffee einkaufen!“ Häufig drücken Menschen Appelle nicht explizit aus, sodass ein Interpretationsspielraum bleibt, wie eine Nachricht tatsächlich gemeint ist. Willst du eine Person zu etwas bewegen, kann es helfen ihr direkt zu sagen, was du von ihr willst: „Bring bitte Kaffee mit.“
Auf der Beziehungsebene
senden Menschen Botschaften darüber, wie sie zu ihrem Gegenüber stehen und was sie von diesem halten. Diese Beziehungsbotschaften werden häufig nonverbal übermittelt und werden uns durch Tonfall, Formulierungen, Gestik oder Mimik deutlich. Wie wir die Nachricht:“Der Kaffee ist leer!“ auf Beziehungsebene deuten, hängt stark davon ab, wie das Gegenüber die Nachricht ausdrückt. Ist der Tonfall genervt, neutral oder freundlich? Wie schaut uns das Gegenüber an? Und wie gestaltet sich die Gesamtsituation? Wenn die Mitbewohnerin genervt in unser Zimmer kommt und vorwurfsvoll sagt, der Kaffee sei leer, könnte die Botschaft auf der Beziehungsebene lauten: „Immer muss ich dir sagen, wenn du etwas leer gemacht hast!“
Auf der Selbstoffenbarungsebene
senden Menschen Botschaften, die etwas über sie selbst kundgeben. Gewollt oder unfreiwillig enthält jede unserer Äußerungen eine Kostprobe unserer Persönlichkeit. Mit der Nachricht: „Der Kaffee ist leer!“ offenbart die Kollegin vielleicht, dass sie genervt ist, dass sie trotz hohem Arbeitspensum ihren Kaffee nicht bekommt. Oder einfach, dass sie weiß, was gerade in der Büroküche fehlt.
Fallstrick für Missverständnisse in der Kommunikation: Implizite Botschaften
Warum kommen Nachrichten oft anders beim Gegenüber an, als sie gemeint waren?
Der Grund dafür liegt darin, dass wir häufig die eigentliche Hauptbotschaft nicht explizit – also direkt – ausdrücken, sondern sie eher implizit mitschwingt. Implizite Botschaften sind sozusagen „versteckt“ formuliert und es ist notwendig, zwischen den Zeilen zu lesen, um sie zu entschlüsseln. Das kann zu Irrtümern in der Interpretation führen. Durch Tonfall, Gestik und Mimik lässt sich erahnen, wie der sprachliche Teil der Nachricht verstanden werden kann.
Schulz von Thun drückt es so aus, dass wir mit vier Schnäbeln gleichzeitig kommunizieren und die meisten Botschaften implizit mitsenden. Dabei ist uns oft nicht bewusst, welche Seite der Nachricht wir betonen und sind häufig unwissend darüber, wie die Nachricht beim Gegenüber ankommt.
Wenn uns die Nachricht „Der Kaffee ist leer!“ erreicht, dann haben wir darüberhinaus die Auswahl, auf welche Seite wir reagieren – und auch andersherum: Wenn wir diese Äußerung unserer Mitbewohnerin gegenüber machen würden, läge es an ihr, auf welche Botschaft sie reagiert.
Denn: Menschen hören außerdem mit vier Ohren gleichzeitig auf den vier Ebenen, so Schulz von Thun.
Nachrichten empfangen mit vier Ohren
Wenn uns eine Nachricht erreicht, empfangen wir diese auf allen vier Ohren. Es kommt häufig vor, dass Menschen ein Ohr bevorzugen. Je nachdem, auf welcher Ebene unsere Ohren auf Empfang geschaltet sind, nimmt das Gespräch einen ganz anderen Verlauf.
Menschen, die besonders stark auf dem Sachohr hören, bemühen sich vor allem den Sachverhalt zu verstehen. Das kann zum Problem werden, wenn es im Gespräch eigentlich um zwischenmenschliche Aspekte geht. Reagieren wir beispielsweise auf die Aussage der Kaffee sei leer nur auf der Sachebene und entgegnen: „Ja das stimmt, seit gestern schon“, könnte sich unsere Mitbewohnerin nicht ernst genommen fühlen, weil sie will, dass wir eigentlich auf den Apell reagieren.
Viele Menschen haben ein sehr ausgeprägtes Beziehungsohr, was nicht verwunderlich ist, sind wir doch vor allem soziale Wesen. Problematisch wird es, wenn dieses Ohr dauerhaft gespitzt ist und wir dadurch quasi auf Beziehungslauer sitzen. Häufig werden Aussagen dann stark auf sich bezogen, als Angriffe oder Beleidigungen gedeutet, obwohl dies vielleicht gar nicht so gemeint war.
Vorteilhafter kann es sein, wenn wir mit dem Selbstoffenbahrungs-Ohr hinhören. Hier versuchen Menschen herauszufinden, was das Gegenüber eigentlich über sich mitteilt. Hier können wir die Gefühls- und Gedankenwelt unseres Gegenübers kennenlernen. Problematisch kann es werden, wenn wir bevorzugt auf diesem Ohr hören. Dann tendieren wir dazu, jede Aussage des Gegenübers zu psychologisieren und glauben, die dahinterliegenden Absichten immer zu durchschauen, nach dem Motto: „Das sagst du jetzt nur, weil du mich deinen Missmut spüren lassen willst, dass der Kaffee leer ist.“ Wir überhören dann aber vielleicht andere Botschaften und sprechen uns eine Art Deutungshoheit zu, die der Beziehung schaden könnte.
Das Appell-Ohr wiederum ist bei Personen sehr ausgeprägt, die versuchen, es möglichst allen Recht zu machen. Bei einer Nachricht fragen sich Personen, die auf diesem Ohr hören: „Was soll ich jetzt tun, denken oder fühlen aufgrund der Mitteilung?“ Das kann problematisch werden, wenn die Person dann ständigen Appelldruck spürt und womöglich die eigenen Bedürfnisse vernachlässigt. Das kann sogar dazu führen, dass Personen mit gespitztem Apell-Ohr ständig denken, dass hinter jeder Nachricht eine berechnende und heimliche Absicht steckt. Aus rein dieser Perspektive würden wir womöglich sofort aufspringen und Kaffee kaufen gehen, obwohl die Kollegin uns nur darüber informieren wollte, dass der Kaffee aufgebraucht ist.
Entstehung von Kommunikationsstörungen
Wenn Schulz von Thun von Konflikten und Missverständnissen spricht, dann nennt er dies Kommunikationsstörungen. Sie können entstehen, wenn Menschen:
- sich nicht über die möglichen vier Seiten ihrer gesendeten Nachricht bewusst sind.
- keine expliziten Botschaften äußern und dadurch Interpretationsspielraum entsteht.
- auf eine Seite der empfangenen Nachricht Bezug nehmen, auf der das Gewicht nicht liegt.
- überwiegend nur mit einem gespitzen Ohr hören und für die anderen Botschaften einer Nachricht taub sind.
In unserem Beispiel könnte eine Kommunikationsstörung so entstehen:
Die Kollegin will uns auf der Appell-Ebene dazu bringen, beim nächsten Einkauf Kaffee mitzubringen. Sie verpackt diese Botschaft in der Nachricht: „Der Kaffee ist leer!“ Hier ist Interpretationsspielraum gegeben, denn explizit sagt sie nichts darüber, was sie eigentlich will. Vielleicht waren wir über den Befehlston der Kollegin, den sie öfter an den Tag legt, verärgert. Wir hören mit dem Beziehungs-Ohr die Botschaft: „Ich kann dir hier die Aufgaben erteilen und du hast sie auszuführen.“ Grimmig reagieren wir auf diesen von uns interpretierten Beziehungsinhalt: „Wenn du unbedingt Kaffee brauchst, hol ihn dir doch selbst. Ich bin ja nicht deine Bedienstete.“ Dies kann der Beginn einen Konfliktes sein.
Wie kannst du diesen Konflikt nun auflösen oder von Anfang an vermeiden?
Vier-Seiten-Modell: Ausweg aus Konflikten und Missverständnissen
Schulz von Thun schlägt hier explizite Metakommunikation vor. Das bedeutet so viel wie Kommunikation über die Kommunikation. Also die Auseinandersetzung damit, wie eine gesendete Nachricht gemeint war und wie die empfangene Nachricht entschlüsselt wurde. Dies kann helfen, dass wir uns in Konfliktsituationen vom Geschehen distanzieren können und Mut zur Offenheit und Selbstoffenbarung gewinnen. Das Vier-Seiten-Modell kann hier als Wahrnehmunghilfe dienen.
Bei einem Konflikt solltest du:
- Eine Rückmeldung geben, wenn bei dir Unmut durch eine empfangene Nachricht entsteht. In einem anderen Artikel kannst du nachlesen, wie du Feedback richtig äußerst. Zum Beispiel kannst du deiner Kollegin mitteilen: Ich habe mitbekommen, dass du geäußert hast, dass der Kaffee leer ist. Ich hatte den Eindruck, dass mir damit ein Befehl erteilt wird, mich um den Kaffee zu kümmern. Das hat mich irritiert, weil ich mich dadurch wie eine Bedienstete fühle.
- Nachfragen, ob die Aussage so gemeint war, wie du sie interpretiert hast: „Habe ich das richtig wahrgenommen?“ Hier kannst du unsere Tipps zum Aktiven Zuhören beachten.
- Wenn du merkst, dass deine Nachricht vielleicht nicht so aufgenommen wurde, wie du es intendiert hast, dann kannst du eine Selbstoffenbarung erfragen. Zum Beispiel: „Fühlst du dich durch meine Aussage angegriffen?“
- Reicht das nicht aus, kannst du das Vier-Seiten-Modell hinzuziehen, um gemeinsam mit deinem Gegenüber zu analysieren, welche Botschaften ihr gesendet und welche ihr empfangen habt. So ist es möglich, die Abweichungen zu erkennen, die du anschließend im Gespräch klären kannst. Am besten greifst du in diesem Fall zu Zettel und Stift. Schreibt die Nachricht, die zum Konflikt geführt hat, jeweils in die Mitte von zwei Blättern. Male jeweils ein Quadrat drumherum. Nun schreibt die Person, die die Nachricht gesendet hat, auf, welche Botschaften sie jeweils auf den vier Seiten senden wollte. Die andere Person schreibt auf den zweiten Zettel, welche Botschaften sie jeweils auf den vier Seiten herausgehört hat. Gleicht die vier Seiten ab und sprecht über die Abweichungen. Das kannst du gut bei Konflikten im Team anwenden.
Viele Missverständnisse und Konflikte lassen sich klären oder vielleicht sogar vermeiden, indem wir uns und unsere Gesprächspartner beobachten und uns fragen: Hat der andere mit dem von mir intendierten Ohr gehört? Habe ich das verstanden, was mein Gegenüber sagen wollte?
Wir lösen uns dann von unserem eigenen – vielleicht festgefahrenen – Standpunkt und lassen zu, dass wir unser Gegenüber besser verstehen und umgekehrt uns andere besser verstehen. So können wir zu einer verständnisvolleren Kommunikation beitragen.
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