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Virtue Signalling: Echter Aktivismus oder nur Selbstinszenierung?

virtue signalling
Foto: CC0 / Unsplash / Clay Banks

Virtue Signalling ist in den letzten Jahren zum Trend-Begriff geworden. Ähnlich wie "Gutmensch" ist es zwar wortwörtlich etwas Positives, wird jedoch oft als verbaler Angriff verwendet.

Virtue Signalling heißt wörtlich übersetzt auf Deutsch „Tugend-Signalisierung„. Das Cambridge Dictionary definiert Virtue Signalling als den Versuch, anderen zu zeigen, dass du ein guter Mensch bist – zum Beispiel, indem du Meinungen wiedergibst, die ihnen akzeptabel erscheinen. Vor allem geschehe dies auf den sozialen Medien.

Der Begriff beschreibt also ein Verhalten, bei dem Menschen ihre vermeintliche moralische Überlegenheit dadurch zeigen möchten, dass sie Ablehnung oder Zustimmung zu politisch und/oder sozial relevanten Themen zum Ausdruck bringen. In solchen Situationen kann dem oder der Sprechenden also Virtue Signalling vorgeworfen werden. Zum Beispiel: „Du tust hier so angeekelt von Rassismus, aber selbst tust du nichts dagegen. Das ist doch jetzt bloß Virtue Signalling, damit alle sehen können, wie modern und aufgeklärt du bist!“

Warum ist Virtue Signalling kontrovers?

Wahrscheinlich denken die wenigsten, dass es verwerflich ist, seine politischen Meinungen zum Ausdruck zu bringen. Wenn jemand an anderen Virtue Signalling kritisiert, impliziert das jedoch eine gewisse Heuchelei: Nur durch Worte wolle man zum Ausdruck bringen, dass man auf der „richtigen Seite“ stehe, ohne jedoch wirklich etwas damit erreichen zu wollen – außer Anerkennung für sich selbst. Also auch, ohne klassischen Aktivismus zu betreiben oder das eigene Leben in irgendeiner Form für mehr Gerechtigkeit einzuschränken.

Vor allem auf Social Media ist es möglich, sehr viel Zuspruch für erwünschte Meinungen und Standpunkte zu erhalten, auch wenn dieser Standpunkt im realen Leben vom Postenden vielleicht nicht vertreten wird.

Beispiele für Virtue Signalling

Ist jeder Bild-Post, der für Body Positivity plädiert, auch sinnvoll?
Ist jeder Bild-Post, der für Body Positivity plädiert, auch sinnvoll?
(Foto: CC0 / Unsplash / Billie)

Die Zeit schreibt über ein internationales Beispiel: Nachdem sich Frauen im Iran aus Protest gegen das anti-feministische Regime die Haare abgeschnitten hatten, zogen einige westliche weibliche Celebrities nach – auch in Deutschland. Sie wollten damit Solidarität zum Ausdruck bringen. Das kam jedoch nicht überall so an. Weil der neue Haarschnitt für Frauen in Deutschland keineswegs ähnlich gefährlich ist wie für die Vorbilder im Iran, sie dadurch aber viel soziale Anerkennung erhalten haben, sei diese Aktion „egoistisch und hohl, billig und folgenlos“ für Kritiker:innen.

Ein weiterer Fall, in dem Menschen oft Virtue Signalling vorgeworfen wird, ist die Fat-Acceptance- beziehungsweise Body-Positivity-Bewegung: Dabei posten junge, konventionell gut aussehende Influencerinnen Fotos von kleinen Makeln, zum Beispiel einem kleinen Fettröllchen auf einem insgesamt schlanken, durchtrainierten Bauch und beschriften den Post mit der Message, dass alle Körper schön seien, auch wenn sie nicht perfekt aussähen. Das sei Virtue Signalling, sagen Kritiker:innen, denn diese Frauen haben wegen ihres Aussehens wahrscheinlich noch nie Diskriminierung erfahren. Außerdem kritisieren sie, dass sie mit den Posts eine Bewegung beeinträchtigen, bei der andere dafür kämpfen, dass auch Körper jenseits der Grüße 46 als normal, akzeptabel und schön angesehen werden.

Virtue Signalling in der Forschung

Einem wissenschaftlichen Artikel aus dem Jahr 2019 zufolge gibt es zu Virtue Signalling noch kaum Forschung. In dem Artikel selbst sprechen die Autor:innen von „Moral Grandstanding“ – ihnen zufolge eine Unterart des Virtue Signalling. Deren Untersuchungen ergaben, dass Moral Grandstanding (also moralische Aussagen mit dem Ziel, den sozialen Status zu erhöhen) zu mehr sozialen und politischen Konflikten im täglichen Leben führe.

Jedoch: Die meisten der wenigen Abhandlungen zum Thema erkennen an, dass der Begriff Virtue Signalling als Angriff genutzt wird – dass er, wenn überhaupt, jedoch eher positiv zu bewerten sei.

In einem Aufsatz aus dem Jahr 2020 heißt es zum Beispiel: „Das Signalisieren unseres Engagements für Normen ist eine zentrale und gerechtfertigte Funktion des moralischen Diskurses, und dieselben Signale liefern (höherwertige) Beweise, die bei der Bildung moralischer Überzeugungen angemessen berücksichtigt werden.“ Einfach gesagt: Um die Welt besser zu machen, müssen wir erst darüber reden, wie eine bessere Welt denn aussehen könnte.

Ein Artikel von 2022 argumentiert, dass Virtue Signalling sicherlich sowohl positive als auch negative Konsequenzen haben könne und man seine Entscheidung, sich derartig zu äußern, möglichst danach ausrichten sollte. Zu den positiven Auswirkungen gehören demzufolge, Vertrauenswürdigkeit zu signalisieren, Misstrauen zu vermeiden und das Vertrauen in sich selbst zu stärken. 

Auch die Autorin des Zeit-Artikels zum Thema kommt zu dem Schluss, dass Virtue Signalling vielleicht nicht zu mutigste oder effektivste Form des Einsatzes sei, jedoch im Spektrum des politischen Aktivismus auch seine Berechtigung habe.

Ob Aktionen, die man als Virtue Singalling einstufen könnte, den Betroffenen nun helfen, schaden, oder gar nichts bewirken, lässt sich im Einzelfall nicht beweisen. Vielleicht gibt es in 50 bis 100 Jahren einmal Studien, die untersuchen, wie sich solche öffentlichen Solidaritätsbekundungen oder Social-Media-Aktivismus generell auf Betroffene auswirken.

Im Moment ist es jedoch eine Frage der Ansicht, ob und wann Virtue Signalling eher schadet oder eine von mehreren validen Formen des Aktivismus ist.

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