Bald sind wir endlich wieder Weltmeister. Wie der BUND anlässlich des neuen „Fleischatlas“ feststellte, ist Deutschland auf dem Weg zum größten Fleisch-Exporteur der Welt. Leider ist das keine Erfolgsgeschichte, sondern eine von Tierleid, Umweltzerstörung und globaler Ungerechtigkeit. Haben wir das wirklich nötig? Ein Plädoyer für die Fleischwende.
2005 sind wir alle Papst geworden – ein einzigartiges sakrales Ereignis, könnte man sagen. Unsere neue kollektive Identität wächst dagegen schon seit einiger Zeit und speist sich aus vollkommen weltlichen Gelüsten. Wer einen Blick auf Deutschlands gut bürgerliche Küche wirft, dem ist klar, dass er sich im Land der Dichter, Denker und Fleischer befinden muss. Von der Bulette über die Thüringer Rostbrat- bis zur Weißwurst, so verläuft der kulinarische Längsschnitt durch Deutschland.
Das Land der Dichter, Denker und Fleischfresser
Dasselbe Ergebnis, in nüchterner Form, zeigt der neue „Fleisch-Atlas“, den die Heinrich-Böll-Stiftung gemeinsam mit dem BUND und „Le Monde diplomatique“ herausgeben hat: 60 Kilogramm Fleisch isst ein durchschnittlicher Deutscher pro Jahr. Im Laufe eines Lebens verzehrt er 4 Rinder, 4 Schafe, 12 Gänse, 37 Enten, 46 Schweine, 46 Puten und 945 Hühner.
Dieser Berg an Tieren kommt durch einen fast unsäglichen Speiseplan zustande: 85 Prozent der Menschen in Deutschland essen täglich oder nahezu täglich Fleisch und Wurst! Dass der Anteil an Fleisch aus artgerechter Haltung dabei je nach Tierart zwischen nur einem und vier Prozent liegt, ist ein weiterer bekümmernswerter Wert. Er erzählt, was den niedlichen verbildlichten Zahlen nicht anzusehen ist: der allergrößte Teil der verspeisten Tiere verbringt kein glückliches, sondern ein leidvolles Leben in den verrohten Anlagen der Massentierhaltung.
Die Billigfleisch-Weltmacht behält gerne das Filet
Im täglichen Fleischverzehr herrscht deutsche Verbindlichkeit und auch in der Produktion sind wir fleißig. „Wir stellen fest, dass Deutschland auf dem Weg ist, der größte Fleischexporteur der Welt zu werden“, sagt Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND. An dieser Stelle könnten wiederum hunderttausende Tonnen an toten Tieren genannt werden, die fern von bildlicher Vorstellungskraft liegen. Aber glauben Sie es uns: bereits 2011 hat Deutschland zum Beispiel die flächenmäßig doch etwas größeren USA in der Zahl der Schweinefleischexporte übertroffen. Beim Rindfleisch lag der Spieß zwar noch umgekehrt, aber die Drehung schaffen wir bestimmt auch noch.
Ja, in manchen Ohren mag das wie ein Erfolg klingen, aber für das zugrundeliegende Modell muss man sich schämen. So viele Tiere so billig und schnell wie möglich produzieren, schlachten und in die Welt verkaufen. Hat Deutschland diese Rolle in der Weltwirtschaft wirklich nötig? Vielleicht geht es nicht nur um Notwendigkeit, sondern auch um praktische Lösungen. Wie aus dem Fleischatlas hervorgeht, werden die Filetstücke nämlich gerne zum Eigenverzehr hierbehalten. Das weiße Brustfleisch von Hühnchen zum Beispiel essen wir besonders gerne und zahlen dafür einen vergleichsweise (!) hohen Preis. Der Rest des Tiers wird meistens zerhackt und billig exportiert, etwa ins westafrikanische Ghana. Dort zerstörten die Fleischimporte wiederum die heimische Wirtschaft, die mit den Billig-Preisen für den zerhackten deutschen Huhn-Rest nicht mithalten kann.
Fleisch auf Kosten von anderswo
Der direkte Verlust der wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit – oder im Klartext, die Menschen haben kein Geld und keine Mtttel mehr, ihr Leben zu finanzieren – ist nur ein Beispiel dafür, wie wir uns unser Fleisch auf Kosten anderer schmecken lassen. Ein weiteres: Für unsere Billig-Fleischwirtschaft brauchen wir massenhaft Futtermittel. Dazu werden vor allem aus Argentinien und Brasilien Unmengen an Soja importiert. Damit dieses angebaut werden kann, wird dort Regenwald im großen Stil abgeholzt und Kleinbauern ihr Land genommen. Der exzessive Einsatz von Düngemitteln beim Anbau der (meist gentechnisch veränderten) Sojabohnen zerstört die Böden und verseucht das Grundwasser. Apropos Wasser: Für die Herstellung eines einzigen Kilogramms Rindfleischs werden etwa 15.000 Liter Wasser benötigt, während weltweit 1,1 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben.
Wir sind Billig-Fleisch – die Energiewende braucht eine Schwester
Und jetzt zu uns. Wir freuen uns zwar über unsere tägliche Hühnerbrust, aber auch unsere Böden werden durch die massenhafte Viehhaltung drastisch überdüngt. Nitrate im Grundwasser gefährden unsere Gesundheit, die Lebensbedingungen von Tieren und Pflanzen werden massiv verschlechtert. Die Fleischproduktion trägt mit ihrer treibhausgasintensiven Wirtschaftweise maßgeblich zum Klimawandel bei. „Das Fleisch geht in den Export, die Gülle bleibt“, sagt Weiger. Und dass die vielen Antibiotika, die den Tieren ins Futter beigemischt werden nicht gerade zu unserer Immunität gegen Krankheiten beiträgt, hat man auch schon gehört. Weiger fordert daher: „Neben der Energiewende brauchen wir eine überfällige Agrarwende“.
In der Tat, wir sollten nicht vergessen, wer wir wirklich sein wollen. Der Rest der Welt blickt gespannt nach Deutschland, ob und wie denn das so geht mit den Erneuerbaren Energien und ohne Atom. Die Utopia-Redaktion erhielt neulich einen Anruf von der Usbekischen Botschaft mit der Nachfrage nach den wichtigsten deutschen Medien zum Thema Energiewende – das ist kein Witz. Hier sind wir Vorreiter und das wollen wir sein.
Eine Schwester reicht nicht – wir brauchen die Fleischwende
Wir blicken häufig geringschätzig auf die USA herab, die Fastfood-Nation, die gerne Krieg exportiert. Oder China, wo scheinbar alles am billigsten produziert wird und unmenschliche Arbeitsbedingungen ganz normal zu sein scheinen. Aber wenn wir so weiter fleischen, wird bald abfällig auf uns zurückgeblickt. Oder vielleicht gelten wir auch wieder als beispielhafter Vorreiter: Die Deutschen, wie schaffen die das nur, in so einem kleinen Land so viel Fleisch zu produzieren?
Massentierhaltung ist keine Disziplin, die wir uns als Tugend auf die Fahne schreiben wollen und dazu brauchen wir neben der Agrarwende ein weiteres rebellisches Familienmitglied. Ein nachhaltigerer Umgang mit Tier und Natur in der landwirtschaftlichen Produktion ist zu wenig. Es braucht auch Menschen, denen Fleisch nicht ihr täglich Brot ist und die dazu bereit sind, angemessenere Preise zu zahlen, als es unsere Discounter in ihren appetitlichen Kühlregalen möglich machen. Die Energiewende braucht noch eine Schwester. Als eine solche sollten wir sie übrigens nicht nur um der Grammatik Willen bezeichnen. Der Fleischatlas bestätigt in Zahlen, was wir schon wussten: Frauen essen nur etwa halb so viel Fleisch wie Männer. Wir brauchen sie, wir brauchen die Fleischwende!
Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel
Was hat das Schnitzel auf unserem Teller mit dem Regenwald im Amazonas zu tun? Und wie hängt es mit ländlicher Armut und Hunger in Kamerun zusammen? Wie werden die Tiere, die wir essen, gehalten und welche Auswirkungen hat die Massentierhaltung auf unser Klima? Diese Fragen beatnwortet der Fleischatlas des BUND und der Heinrich-Böll-Stiftung. Hier downloaden
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