Instagram, Facebook, TikTok, Whatsapp, Netflix, Spotify und dann noch ein paar Runden mit der Spielkonsole: Die digitale Medienwelt kann uns manchmal richtig unter Stress setzen oder im schlimmsten Fall sogar krank machen. Ein bewusster Umgang mit den Angeboten hilft dagegen.
Wie viele Stunden vor dem Bildschirm sind gut für uns? Wie gehen wir mit den Inhalten um? Und wäre es nicht vielleicht besser, zwischendrin mal etwas anderes zu machen – zum Beispiel etwas Sport oder doch mal ein Buch lesen? Das sind wichtige Fragen. Aber was machen wir? Auf unsere Bildschirme starren.
Nun, beruhigend ist immerhin, dass das kein neues Problem ist. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ zum Beispiel mahnte bereits 1967 angesichts des wachsenden TV-Konsums in der Gesellschaft: „Die Anwendung eigener Möglichkeiten wird durch untätiges Teilnehmen an der Welt, durch ‚Fernsehen‘, ersetzt.“
Nach heutigen Verhältnissen erscheint die gemütliche, lineare Fernsehnutzung vor 50 Jahren natürlich fast wie ein Witz. Schon allein die Tatsache, dass es noch bis Mitte der 1990er-Jahre zumindest bei den öffentlich-rechtlichen Sendern einen abendlichen Sendeschluss gab (so sah das damals aus) ist heute kaum noch vorstellbar.
Stattdessen leben wir in einer nicht enden wollenden Flut an digitalen Inhalten. Die Welt hat sich durch die Digitalisierung, das Internet und die rasante Entwicklung mobiler Endgeräte seit Anfang des Jahrtausends in kürzester Zeit verändert und unseren Medienkonsum im Prinzip komplett auf den Kopf gestellt.
Laut JIM-Studie (Jugend, Information und Multimedia) 2019 sind nur elf Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen nicht täglich im Netz. Neun von zehn Jugendlichen dagegen sind täglich online, im Schnitt etwa dreieinhalb Stunden. Gefragt nach der Selbsteinschätzung der täglichen Online-Nutzung gaben sie 2009 noch 134 Minuten an, 2019 schon 205 Minuten.
Das Problem: Die technologischen Veränderungen sind zwar längst fester Bestandteil unseres Alltags geworden, aber wir selbst hinken im Umgang mit der daraus entstandenen neuen Multitasking-Medienwelt noch hinterher.
Die Folge: Der dauernde Medienkonsum kann uns ganz schön stressen. So wie sich Generationen vor uns erst an die Unmittelbarkeit von Radioübertragungen oder später an die permanent laufende Glotze gewöhnen mussten, brauchen wir mehr Medienkompetenz für die veränderten Rahmenbedingungen unseres immer digitaleren Alltags.
Was ist eigentlich Medienkompetenz?
Bei Medienkompetenz geht es im Kern um die Fähigkeit, die vorhandenen Medienkanäle zu verstehen und so die Inhalte kritisch einordnen zu können. Und natürlich darum, dass wir selbst kompetent und unseren Bedürfnissen entsprechend darin agieren können. Dabei gilt: Je größer unser Wissen über die technologischen Rahmenbedingungen, die wirtschaftlichen Hintergründe der Angebote und die psychologischen Abläufe bei ihrer Nutzung desto besser können wir diese Fähigkeit stärken.
Bei Facebook ist es zum Beispiel wichtig zu wissen, dass ein Algorithmus automatisiert darüber entscheidet, was wir in unserem Stream mitbekommen und was nicht. Aber eben auch, dass Facebook Geld damit verdient, möglichst große Datenmengen über das Verhalten seiner Nutzer zu sammeln, um seinen Werbekunden gezielte Anzeigenschaltungen zu ermöglichen. Facebook legt es daher darauf an, dass wir uns möglichst oft, möglichst lange und möglichst aktiv mit den Inhalten in unserem Stream beschäftigen. Und dass zum Beispiel Instagram und Whatsapp auch zu Facebook gehören, sollte man in diesem Kontext wissen. Je besser wir auf dieser Grundlage auch noch den verantwortungsvollen Umgang mit einem Sozialen Medium wie Facebook erlernen, desto größer wird unsere Medienkompetenz in diesem Bereich.
Vor allem aber müssen wir nicht nur uns selbst mehr Medienkompetenz erarbeiten, sondern diese auch an Kinder und Jugendliche weitergeben. Denn obwohl diese als sogenannte Digital Natives mit Technologien sehr intuitiv umgehen, bedeutet das nicht automatisch, dass sie auch die nötige Medienkompetenz besitzen. Studienergebnisse der BZgA 2019 zeigen, dass 22,4 Prozent der 12- bis 17-Jährigen bundesweit einen problematischen Medienkonsum haben.
Ein Teenager etwa, der selbst virtuos auf Instagram unterwegs ist, muss noch lange nicht verinnerlicht haben, dass die optimierte und nicht gerade das eigene Selbstwertgefühl fördernde Selbstdarstellung der Menschen in seinem Stream nicht unbedingt die Wirklichkeit abbildet.
Sogwirkung von Netflix, Instagram und Games
Die Sache mit der Medienkompetenz ist eigentlich nicht besonders kompliziert, wenn wir uns darüber hinaus bewusst machen, was mit uns selbst bei unserem Medienkonsum passiert. Ein wichtiger Punkt dabei ist die Sogwirkung, welche digitale Medien auf uns haben können.
Etwa die überbordenden Filmbibliotheken von Netflix, Amazon und anderen Streaming-Anbietern. Das vielleicht ziemlich fordernde Gefühl, hier noch ziemlich viel Filme und Serien erledigen zu müssen, ist dabei eher eine sanfte Form des Drucks, den diese Angebote auf uns ausüben. Dringlicher wird es, wenn wir erst einmal mit einer Serie angefangen haben. Dann nämlich ist sowohl dramaturgisch in der Serie als auch technisch auf den Plattformen alles ziemlich gut auf das sogenannte Binge-Watching ausgelegt – also dass wir nicht nur eine Folge ansehen, sondern gleich alle bis zum Ende.
Der gleiche Effekt lässt sich durchaus in Sozialen Netzwerken beobachten, wenn wir immer weiter nach unten scrollen oder weiterklicken – nur noch ein Video, eine Instastory, ein Post, ein Tweet, aber irgendwie finden wir kein Ende. Selbst eine Date-App wie Tinder ist auf dieses Prinzip ausgelegt.
Kaum verwunderlich, dass es dafür schon einen Begriff gibt, der im Prinzip auch für die analoge Welt gilt, aber in der ständigen digitalen Vernetzung eine größere Bedeutung bekommen hat: FoMO – Fear of Missing Out, also die Angst etwas zu verpassen, die uns immer wieder in unsere Streams und Whatsapp-Gruppen treibt. Laut JIM-Studie 2019 befürchtet jede/-r vierte Handybesitzer*in, etwas zu verpassen, wenn das Handy ausgeschaltet ist.
Noch stärker kann das beim Gaming auftreten. Das beginnt schon mit vermeintlich harmlosen Spielen, die aber kein Ende haben und uns immer wieder dazu animieren weiter zu machen – zum Beispiel, weil in der Gartensimulation gerade Pflanzen gegossen werden müssen oder im Geschicklichkeitsspiel eine neue Challenge ansteht. Noch größer kann der Druck werden, wenn wir uns als Teams in virtuellen Welten treffen, in denen dann nicht nur das auf möglichst großes Spielerlebnis ausgelegte Gameplay eine weitere Runde mit uns fordert, sondern auch die anderen Team-Mitglieder. 5,8 Prozent seien bereits von einer computerspiel- und internetbezogenen Störung betroffen, schätzte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2019.
Wissen um Mechanismen fördert Medienkompetenz
63 Prozent der Jugendlichen spielen regelmäßig digitale Spiele (JIM 2019, Top3: „Fortnite“, „Minecraft“ und „FIFA“). Der Bildungsgrad spielt dabei kaum einen Unterschied, es besteht aber eine deutlich höhere Affinität bei Jungen. In Extremfällen kann es sogar passieren, dass die Game-Nutzung pathologische Züge annimmt, also zu einer Verhaltenssucht wird.
„Internet Gaming Disorder“ ist der offizielle Begriff für dieses Störungsbild, das in Abwandlungen übrigens auch in anderen Bereichen des digitalen Medienkonsums, zum Beispiel bei der Nutzung von Social Media, auftritt. Extremfälle, aber eben ein wichtiger Hinweis, dass es besser ist, die Mechanismen digitaler Medien zu kennen, wenn man sie nutzt.
Doch ob Social-Media-Plattformen, Streaming-Angebote oder Smartphone-Apps: Leider ist die Sogwirkung digitaler Medien kein Zufall, sondern generell von den Technologie-Anbietern so gewollt. Es geht darum, die Nutzerinnen und Nutzer so eng und so dauerhaft wie möglich an ihre Produkte zu binden – vor allem wenn dies Teil ihres Geschäftsmodells ist.
Also verwenden Technologie-Unternehmen viel Energie darauf, ihre Angebote so zu gestalten, dass sie unsere psychologischen Schwachstellen ausnutzen. Mit welchen Tricks sie dabei arbeiten, hat bereits 2016 Tristan Harris, ein ehemaliger Google-Designethiker, in einem viel gelesenen Blog-Beitrag aufgelistet. „Stell dir hunderte Ingenieure vor“, schreibt er darin auch, „deren Job es ist, jeden Tag neue Wege zu finden, dich am Haken zu halten.“
Bewusster Umgang mit dem eigenen Medienkonsum
Diese grundsätzlichen Mechanismen zu erkennen, ist ein wichtiger Schritt zu einer besseren Medienkompetenz. Im nächsten können wir daran arbeiten, die Kontrolle über unser Mediennutzungsverhalten wieder zurückzuerobern. In der Theorie klingt das eigentlich recht einfach: Wir hören einfach auf, gedankenlos irgendwelche Medien zu konsumieren! Aber natürlich müssen wir uns dabei erst einmal etwas überlisten, denn die Mechanismen sind ja wie beschrieben durchaus wirkungsvoll.
Hilfreich dabei: Den Medienkonsum gezielt zurückfahren. Es ist kein Wunder, dass seit ein paar Jahren Konzepte wie „Digitale Achtsamkeit“ oder „Digital Detox“ immer populärer werden, denn sie bedienen genau dieses Bedürfnis nach weniger Digitalstress. Und interessanterweise gibt es inzwischen auch Software-Lösungen wie zum Beispiel programmierbare Bildschirmzeit, die dabei helfen können, dass wir uns ein wenig von der medialen Dauerbefeuerung lösen.
Härter, aber unter Umständen noch effektiver, ist der kalte Entzug – einfach mal über einen längeren Zeitraum aus sozialen Netzwerken abmelden, das Smartphone nicht mehr ständig mit sich herumtragen oder zumindest alle Benachrichtigungen in den Apps deaktivieren.
Je mehr Freiräume wir uns so wieder schaffen, desto mehr Möglichkeiten bieten sich uns, mit entspannter Souveränität das eine oder andere Angebot gezielt zu nutzen. Denn natürlich ist digitaler Medienkonsum eben auch eine Möglichkeit der sozialen Teilhabe und der gesellschaftlichen Mitgestaltung. Es geht nur darum, ob wir dazu fähig sind, die Medienkanäle selbstgesteuert und kompetent zu nutzen.
Mehr zum Thema bei Die Techniker, der Bundeszentrale für politische Bildung oder beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
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