Bumerang- oder Rebound-Effekte fressen die Ersparnis auf, die steigende Energieeffizienz erreichen soll: Sparsame Autos werden mehr gefahren, LEDs brennen länger, weniger Heizkosten finanzieren Flugreisen. Ausweglos? Nein, denn eine „Langfrist-Ökosteuer“ könnte für einen Ausgleich sorgen.
Wer Ernst-Ulrich von Weizsäcker nach dem „Rebound-Effekt“ fragt, wird auf eine Reise ins 19. Jahrhundert geschickt: Schon der Ökonom William Stanley Jevons untersuchte 1865, wie sich der Kohleverbrauch entwickelte, nachdem James Watt seine Dampfmaschine erfunden hatte. Diese Maschine verbrannte ihren Brennstoff viermal effizienter als die Vorgängermodelle. Die Folge: „Der Kohleverbrauch war nicht gesunken, sondern dramatisch gestiegen – gerade weil Watts Dampfmaschine eine so großartige Effizienz aufwies“, so von Weizsäcker. Plötzlich ergaben sich viele Möglichkeiten, die neue Dampfmaschine einzusetzen, etwa als Dampflokomotive. Das Eisenbahnnetz entstand – und damit ein gewaltiger Bedarf an Kohle.
Aus dieser historischen Betrachtung ergibt sich die ketzerische Frage: Schadet Energieeffizienz, weil sie zu mehr Energieverbrauch führt? Sitzt die Menschheit energetisch in einer Falle, umgeben von Rebound-Effekten? Von Weizsäcker: „Bisher ist das Wachstum an einen steigenden Ressourcenverbrauch gekoppelt, weil wir keine ernsthaften Anstrengungen unternehmen, diese zwei Entwicklungen zur trennen.“
Ökonomen übersehen individuelle Verhaltensänderungen bei Rebound-Effekten
Martin Achtnicht und Simon Koesler haben sich genau diese Fragen gestellt. Sie veröffentlichten einen interessanten Beitrag in der Fachzeitschrift „Wirtschaftsdienst“: „Energieeffizienz: größte Energiequelle oder Quell zusätzlicher Nachfrage?“
Am Anfang ihrer Überlegungen schildern sie eine Ansicht, die weit verbreitet ist: „Wenn zur Erzielung eines bestimmten Outputs weniger Energie eingesetzt werden muss, dann schont dies Energiereserven, spart Energiekosten und reduziert negative Umweltwirkungen.“ Eine Steigerung der Energieeffizienz ist immer gut, Ende der Diskussion. Doch die Mitarbeiter des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung“ (ZEW) kritisieren: „Dieser Ansatz verkennt elementare ökonomische Prinzipien.“
Wenn Wissenschaftler den Effekt von Einsparmaßnahmen messen, gehen sie in der Regel von einer „Ceteris-paribus-Bedingung“ aus. Eine zentrale Annahme vieler ökonomischer Modelle, die besagt: Wir ändern im System einen Faktor, alle anderen Einflussgrößen halten wir konstant. Dann lässt sich die Wirkung des einen Faktors isoliert betrachten, alle anderen fallen unter den Tisch. Das ist mathematisch elegant, aber oft wenig geeignet, um Ursache-Wirkungsbeziehungen realistisch abzubilden. Übrigens: „Ceteris paribus“ heißt auf Latein: „Alles übrige bleibt gleich“.
Was bedeutet das im Fall der Energieeffizienz? Unter sonst identischen Bedingungen wird verglichen, wie groß der Unterschied im Energieverbrauch ist – vor und nach einer Effizienz-Maßnahme. Der Haken dabei: „Mögliche Verhaltensänderungen der Nutzer infolge einer erhöhten Energieeffizienz bleiben dabei unberücksichtigt“, so die ZEW-Autoren.
Die Folgen können gravierend sein: Die Verbraucher sind jetzt in der Lage, dieselbe Leistung zu sinkenden Kosten in Anspruch zu nehmen – woraus der Fehlanreiz entsteht, diese Leistung verstärkt nachzufragen. Konsequenz: Dieser Rebound-Effekt frisst die ursprüngliche Ersparnis zum Teil wieder auf, im schlimmsten Fall steigt der Energieverbrauch, statt zu sinken. Daher heißt der Rebound-Effekt auch „Bumerang-Effekt“, weil die gutgemeinte Maßnahme zum Energiesparen negativ auf die Akteure zurückfällt.
Achtnicht und Koesler unterscheiden drei Möglichkeiten, wie ein Rebound-Effekt zustande kommt:
- Direkter Rebound-Effekt: Er wird auch „Preiseffekt“ genannt, weil durch Effizienzgewinne die Nutzung eines Gutes günstiger wird. Beispiel: Ein sehr sparsames Auto kommt auf den Markt, das auf 100 Kilometern nur 3 Liter Benzin verbraucht. Hatte der Kunde vorher einen Verbrauch von 6 Litern/100 Kilometern wird er jetzt verführt, deutlich mehr Kilometer zu fahren als mit dem alten PKW. Ergebnis: ein positiver Rebound-Effekt, der im Extremfall die Einsparungen überkompensiert – etwa bei der Betrachtung einer gesamten Fahrzeugflotte.
- Indirekter Rebound-Effekt: Die Ersparnis aus dem effizienteren Auto lässt sich auch anders nutzen, etwa durch mehr Konsum in einem neuen Bereich. Dann schlägt der indirekte Rebound-Effekt zu, etwa wenn ein Autofahrer das gesparte Geld in eine Flugreise investiert. Sie hätte es nicht gegeben, wenn nicht die Energieeffizienz beim Autofahren gestiegen wäre. So entsteht ein „zusätzlicher Energieverbrauch, der die Nettoenergieeinsparung der Effizienzsteigerung beim Betrieb des PKW reduziert“, schreiben die ZEW-Autoren.
- Gesamtwirtschaftlicher Rebound-Effekt: „In einer freien Volkswirtschaft sind die Preise und die bereitgestellten Mengen auf den verschiedenen Teilmärkten durch Handel eng miteinander verknüpft“, stellen Achtnicht und Koesler fest.
Statt das gesparte Geld anders auszugeben – lieber nachhaltig investieren!
Das bedeutet im Fall der Mobilität: Sinkt der Verbrauch bei den PKW und bleibt das Kraftstoff-Angebot konstant, müssen die Preise für die Betankung von LKW auch zurückgehen. So kommt der gesamtwirtschaftliche Rebound-Effekt ins Spiel: Es lohnt sich, LKW vermehrt auf die Straße zu schicken, weil sich ihr Treibstoff verbilligt hat. Und wieder frisst der Rebound-Effekt die Einsparungen auf, sich durch effizientere Technologie ergeben hatten.
Stellt sich die Frage: Wie groß sind diese Rebound-Effekte? Die Schätzungen schwanken stark, auch abhängig vom jeweiligen Sektor, in dem Energie verbraucht wird. Ein Beispiel könnte das Themenfeld Mobilität sein, das Wissenschaftler bereits genauer untersucht haben. So hat Koesler berechnet, wie eine Effizienzsteigerung von zehn Prozent wirkt, wenn private PKW in Deutschland betrachtet werden. Dabei berücksichtigte er alle drei Rebound-Effekte. Resultat: Fast die Hälfte der Energieeinsparung wird wieder aufgezehrt – durch einen „deutschlandweiten Rebound“.
Steigerung der Energieeffizienz – kein Königsweg, sondern eine Sackgasse? Nur auf den ersten Blick: Wichtig ist die Erkenntnis, „dass eine Politik, die auf eine Steigerung der Energieeffizienz abzielt, und dabei Rebound-Effekte gänzlich ausblendet, nicht zweckdienlich ist“, so das Fazit von Achtnicht und Koesler.
Achtnicht und Koesler fordern eine „Langfrist-Ökosteuer“ auf Energie- und Mineralienpreise.Sie fordern daher u. a. „Instrumente, die den Rebound-Effekt gar nicht erst entstehen lassen.“ Konkret heißt das, zum Beispiel eine „Langfrist-Ökosteuer“ einzuführen, wie sie von Weizsäcker schon lange Zeit vorschwebt: „Wenn wir kein Preissignal setzen, bekommen wir den Rebound-Effekt nicht vom Tisch“, ist sich der Wissenschaftler sicher. Er stellt sich vor, „Energie- und Mineralienpreise jedes Jahr gerade um so viel Prozent zu verteuern, wie im abgelaufenen Jahr die Effizienz zugenommen hat.“
Dann bleiben die Kosten per Saldo für Unternehmen und Konsumenten gleich – die Effizienzgewinne frisst kein Rebound-Effekt mehr auf. Von Weizsäcker: „Im Durchschnitt entstehen so unter dem Strich kaum Mehrkosten – außer den Investitionen in die Effizienz. Die aber werden von Jahr zu Jahr rentabler. Es gibt einen Wettbewerb um die Geschwindigkeit, mit der die der Effizienz gesteigert wird.“
Text: Ingo Leipner
Der Beitrag erschien ursprünglich im waswärewenn-Magazin sowie im Triodos-Bank-Blog diefarbedesgeldes.de
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