Eine Welt, in der die Menschen keine Tiere mehr schlachten und verspeisen – unvorstellbar? Nein: In ihrem Buch „Einst aßen wir Tiere“ macht die Zukunftsanthropologin Roanne van Voorst das Gefängnis unserer Vorstellungen sichtbar und befreit sie auf unterhaltsame, provokante Weise.
Die meisten Menschen glauben nur an das, was sie sich vorstellen können, und tun auch nur das, was ihren Vorstellungen entspricht. Neues Wissen ordnen wir in den Kontext des alten ein – oder verwerfen es als falsch oder eben „unvorstellbar“. Und das ist prinzipiell auch sinnvoll, denn sonst wären wir den ganzen Tag nur noch damit beschäftigt, unser Weltbild in Frage zu stellen.
Allerdings schränkt das oft auch unsere Fantasie ein – und so am Ende unser Handeln. Wer zum Beispiel versucht, seine Mitmenschen für pflanzliche Ernährung zu interessieren, hört häufig: „Ja, klingt schon irgendwie richtig, aber ich für mich kann mir das Leben ohne Käse und Butter nicht vorstellen.“ Ja, auch viele Landwirte können sich nicht vorstellen, wovon sie ohne Viehzucht und Milchwirtschaft leben sollen. Und, wir erinnern uns: Schon ein einziger veganer Tag in deutschen Kantinen erscheint uns offenbar unvorstellbar.
Bald werden wir uns fragen: Einst aßen wir Tiere, aber warum eigentlich?
Wir können uns heute nicht mehr vorstellen, Hexen zu verbrennen. Oder dass Frauen mal kein Wahlrecht hatten (in der Schweiz: bis 1971) oder erst ihren Ehemann fragen mussten, ehe sie arbeiten durften (in Deutschland: bis 1977, das ist keine 50 Jahre her!). All das erscheint uns heute ebenfalls unbegreiflich. Daraus sollten wir doch eines lernen: Wir können umdenken – wenn wir wollen.
Mit vielen provokanten Beispielen macht die niederländische Zukunftsanthropologin Roanne van Voorst in ihrem Buch „Einst aßen wir Tiere – Die Zukunft unseres Essens“ die Enge unserer Vorstellungen sichtbar. Denn nein, mitnichten ist es „normal“, dass wir Tiere verspeisen: Kenntnisreich und unterhaltsam zeigt die Autorin, wie kultureller Kontext vorgibt, ob und welche Tiere wir essen – und wann es uns davor ekelt. So hat Hunde zu essen in der indischen Region Nagaland eine lange (und grausame) Tradition, während das Schlachten und Verkaufen von Hunden bei uns verboten ist.
Tiere essen ist eben kein Naturgesetz. Es ist eine Entscheidung, die wir immer wieder neu treffen. Und Van Voorst belegt mit beispielhaften Bildern, dass hinter der Entscheidung, Tiere zu essen, eine historisch und industriell bedingte Ideologie steht. Eine Ideologie, die uns zunehmend Probleme bereitet.
Zum Buch „Einst aßen wir Tiere“
Dr. Roanne van Voorst: Keine Tiere zu essen ist aktiver Klimaschutz
Die Tier-Produktion hinterlässt ungeheure Mengen an Fäkalien und Gülle, die das Grundwasser vergiften. Mit ihr wächst die Wahrscheinlichkeit von Zoonosen, also von Tier zum Menschen und umgekehrt übertragbaren Infektionskrankheiten wie COVID-19. Sie befeuert auf vielfache Weise die Klimakrise, etwa direkt durch Methan-Ausdünstungen bei Rindern, aber vor allem indirekt durch die Landflächen, auf denen wir Wälder abholzen, um stattdessen Futtermittel für die Tiere anzubauen, die wir essen wollen.
Dr. Van Voorst, Dozentin für Zukunftsanthropologie an der Universität Amsterdam, klagt diese Dinge in ihrem Buch nicht moralinsauer an, sie zeigt einfach nur auf, was passiert. Sie belässt es nicht bei der Aufzählung des milliardenfachen Gräuels, den unsere Tierindustrien jährlich für uns begehen. Sondern sie macht uns auch klar: Nichts davon ist unabwendbar. Weil Tiere zu essen gar nicht notwendig ist. Sich pflanzlich zu ernähren gehört daher zu den wirksamen Möglichkeiten jedes Einzelnen von uns, aktiv das Klima zu schützen.
„Einst aßen wir Tiere“: oft provokant, immer unterhaltsam
Van Voorst inspiriert uns zu einem Perspektivenwechsel. Etwa indem sie eine alternative Version der Menschheitsgeschichte erzählt – faktisch korrekt, aber mit Fokus auf pflanzlicher Ernährung. Und immer wieder gibt sie uns auf provokante Weise Einblicke in eine mögliche Welt, in der Veganer das neue Normal sind. Und dass ein veganer Lifestyle eine der letzten uns verbleibenden Optionen sein könnte, dem Klimawandel zu begegnen.
Bei alledem zeigt Roanne uns aber auch ganz ehrlich die Probleme. Anekdoten ihrer eigenen veganen Unzulänglichkeiten gibt es ebenso wie viele Hinweise darauf, dass die vegetarische Geschichte alles andere als perfekt ist. Sie macht deutlich, etwa dass mit dem Verschwinden tierischer Produkte auch Berufsbilder und Märkte verschwinden werden, dass nicht alles Vegane schon gleich auch gesund ist und dass „gemischte“ Beziehungen nicht immer glücklich sind. Sie verschweigt nicht die Studienlage – und wie diese oft einseitig ausgelegt wird – und dass es natürlich auch Orte in der Welt gibt, wo die Menschen andere Sorgen haben als auf Seetangwürstchen umzusteigen.
Aber Roanne van Voorst weist eben auch darauf hin, dass wir uns selbst schaden, wenn wir weiterhin Tiere essen: Der effektivste Weg, Klimakatastrophen abzuwenden, ist eine vegane Ernährungsweise. Und so ist „Einst aßen wir Tiere“ am Ende ein sehr gedankenvolles, höchst persönliches und vor allem erfrischend ehrliches Buch in der Tradition von Jonathan Safran Foer, Alan Weisman und Karen Duve geworden, das Veganern und Karnisten gleichermaßen empfohlen werden kann: Nach dieser Lektüre glaubt man einfach, dass es eine Welt geben kann, in der die meisten von uns keine Tiere mehr essen wollen. Wir müssen uns nur von unseren überkommenen Vorstellungen lösen und den Weg gehen, der längst vor uns liegt.
Info: Roanne van Voorst: Einst aßen wir Tiere – Die Zukunft unseres Essens. Paperback, 336 Seiten, Goldmann Verlag, ISBN: 978-3-442-31663-2, 17 Euro.
Zum Buch „Einst aßen wir Tiere“
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