Stadtplanerin: Eine lebendige Stadt braucht mehr als Konsumtempel

Innenstadt und Stadtplanerin Daniela Karow-Kluge
Fotos: CC0 Public Domain / Pixabay - wal_172619, Daniela Karow-Kluge

Ob Berlin, München oder Aachen – leerstehende Geschäfte scheinen zum Stadtbild deutscher Innenstädte zu gehören. Doch wie schafft man es, unsere Innenstädte lebendiger und nachhaltiger zu gestalten? Eine Stadtplanerin und ehemalige Citymanagerin der Stadt Aachen erklärt im Utopia-Interview, dass ungewöhnliche Aktionen manchmal am besten ankommen und man Widerstände aushalten muss, wenn man etwas verändern will.

Leere Ladenzeilen, stockender Autoverkehr: Deutsche Innenstädte kämpfen mit großen Problemen. Daniela Karow-Kluge kennt die Herausforderungen aus erster Hand. Fünf Jahre lang baute sie das Citymanagement in Aachen mit auf und entwickelte kreative Lösungen gegen Leerstand und Verödung in der 250.000-Einwohner:innen-Stadt. Heute forscht die Stadtplanerin an der RWTH Aachen University zu nachhaltiger Stadtentwicklung.

Im Interview mit utopia.de erklärt Karow-Kluge, warum die Fixierung auf den Handel vielen Innenstädten zum Verhängnis wird, wie Begegnungsräume jenseits von Kaufhäusern entstehen können und weshalb der Kampf gegen den Autoverkehr manchmal auch bedeutet, „in den sauren Apfel zu beißen“. Ihre Botschaft: Einzelne können viel bewegen – für zukunftsfähige und lebenswerte Innenstädte braucht es aber ein gemeinschaftliches Engagement von Bürger:innen, Verwaltung und Eigentümer:innen.

Stadtplanerin im Utopia.de-Interview

Utopia.de:Welche sind die größten Probleme in den Innenstädten deutscher Großstädte?

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Daniela Karow-Kluge: Das große Problem ist der Schwerpunkt der Innenstädte auf Handel und Dienstleistungen. Dieser hat unter anderem durch verändertes Kaufverhalten zu vielen Leerständen geführt – in Aachen war und ist das deutlich spürbar. Wir als Citymanagerinnen konzentrierten uns deshalb darauf, diese schwarzen Löcher mit neuer Lebendigkeit zu füllen und einen Strukturwandel zu bewirken.

Daniela Karow-Kluge
Foto: Daniela Karow-Kluge

Über Daniela Karow-Kluge

Fünf Jahre baute Dr.-Ing. Daniela Karow-Kluge bis 2024 das Citymanagement Aachen mit auf. Derzeit ist die Stadtplanerin und Dozentin als Senior Researcher am Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung sowie am Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur der RWTH Aachen University tätig. Dort beschäftigt sie sich unter anderem mit der Frage, wie die Bestandstransformation von Stadt und Freiraum gelingen kann.

Was haben Sie in Aachen konkret getan, um leere Laden- und Büroflächen wiederzubeleben?

Ein Förderprogramm des Landes NRW hatte das Ziel, Läden temporär mit neuen Nutzungsmodellen zu reaktivieren. Das Citymanagement Aachen startete daraufhin das für uns sehr wichtige Projekt Ladenliebe. Mit den Fördermitteln kann die Stadt Aachen leerstehende Räume anmieten und zu einer reduzierten Miete vergeben. Die neuen Mieter sollten dort bis zu zwei Jahre lang neue Nutzungsformen und Konzepte in die leerstehenden Läden bringen.

Citymanagement Aachen bringt andere Nutzungen in leere Ladenflächen

Welche Menschen und Ideen wurden dabei gefördert?

Zum Beispiel eröffnete eine Schreinerei, die in der Peripherie von Aachen angesiedelt war, direkt in der Innenstadt ihren Showroom mit Workshops. Einige gemeinwohlorientierte Institutionen und Vereine, die vorher aufgrund der hohen Ladenmieten nicht die Möglichkeit hatten, waren nun in der Innenstadt vertreten. Wir unterstützten aber auch Menschen beim Schritt in die Selbstständigkeit mit klassischeren Konzepten wie einem Tattoostudio oder einem Modegeschäft mit Concept Store.

Neben dem Förderprojekt Ladenliebe setzte das Citymanagement auch das Projekt Citygold um, bei dem leere Schaufenster als Ausstellungsflächen genutzt wurden. Funktioniert das?

Viele Eigentümer oder Vermieter scheuen sich davor, eine temporäre Nutzung in ihre Läden zu nehmen, weil damit ein höherer Aufwand verbunden ist. Die Schaufenster neu zu gestalten war deshalb der erste Schritt, um die schwarzen Löcher der Nichtnutzung zu beleben. Das Interesse war immens! Wir hatten hunderte Anfragen, die wir gar nicht alle bedienen konnten. Darunter waren Pfadfindervereine, Chöre, Künstler bis hin zu Vereinen, Dienstleistern und Selbständigen, die sichtbar werden wollten.

Citygold: Aktion des Citymanagements Aachen für lebendige Schaufenster
Mit der Aktion Citygold werden Schaufenster leerer Ladenzeilen kreativ gefüllt. (Foto: © Stadt Aachen / Andreas Herrmann)

Wie schafft man Begegnungsorte in Innenstädten?

Leerstand ist nicht das einzige Problem in unseren Innenstädten. Es fehlen jenseits von Geschäften, Cafés und Restaurants auch Orte, wo man sich begegnen kann, ohne konsumieren zu müssen. Wie bringt man solche Begegnungsorte wieder in die Innenstädte?

Begegnungsorte sind für mich ein Herzensthema. Leider gibt es keine pauschale Antwort, sondern man muss von Stadt zu Stadt schauen und nach zentralen Orten mit Strahlkraft suchen. Die Stadt Aachen bringt zum Beispiel gerade einen langjährigen Leerstand mit einer neuen Nutzung auf den Weg: Im künftigen Haus der Neugier werden Stadtbibliothek und VHS zusammenziehen und zusätzlich Räume für Vereine und Jedermann entstehen. Solche zentralen Begegnungsorte sind ein echter Mehrwert, um Menschen wieder in eine Innenstadt zu ziehen.

Weil die Innenstädte an Strahlkraft verloren haben?

Ja, früher waren Kaufhof und andere große Konsumtempel Orte, die Menschen in Innenstädte zogen. Jetzt brauchen wir eine Nutzungsdiversität in der Innenstadt mit neuen Anreizen jenseits eines einseitigen Konsumversprechens. Nicht die kleinen Leerstände sind das Problem, sondern die großen leerstehenden Handelshäuser. Gerne fordern Bürger die Kommune dann auf, dort Nutzungen reinzubringen. Aber wir können nicht alle Leerstände mit Schulen, Bibliotheken oder der VHS füllen. Auch andere müssen dafür die Innenstädte diverser zu gestalten. Monostruktur ist ein Killer für eine lebendige Stadt.

Citygold: Aktion des Citymanagements Aachen
Das Citymanagement Aachen bringt Lebendigkeit in leerstehende Geschäftsräume. (Foto: © Stadt Aachen / Andreas Herrmann)

Autoverkehr hemmt Entwicklung der Innenstädte

Die meisten deutschen Städte sind auf das Auto als Verkehrsmittel ausgerichtet, was Innenstädte ebenfalls weniger attraktiv macht. Tun Citymanagement und Stadtverwaltung etwas, um den Autoverkehr zu reduzieren und damit Handel und Aufenthaltsqualität zu stärken?

Die sehr aktive Verkehrsabteilung erarbeitete in den vergangenen Jahren unter anderem ein neues Mobilitätskonzept, das reduzierten Parkraum vorsieht, ebenso wie einladende Fußwege und ein sicheres Radnetz. Wir beim Citymanagement haben das im Kleinen zum Beispiel beim Reallabor Theaterplatz ausprobiert.

Wie kann man sich ein Reallabor vorstellen?

Auf dem Theaterplatz am Rande der Aachener Altstadt umkreisten jeweils dreispurige Straßen das Theater. Während der Corona-Pandemie 2020 probierten wir Kulturinterventionen aus, verbesserten die Aufenthaltsqualität und sperrten temporär die Straßen. Wir bekamen dazu auch schmerzhafte negative Reaktionen, letztendlich war das Reallabor aber insofern erfolgreich, dass die Straße an der nördlichen Seite noch im selben Jahr dauerhaft gesperrt wurde und nur noch der ÖPNV durchfahren darf. Das, was wir ausprobiert hatten, war also direkt umsetzbar und sichtbar.

Ein Beispiel, bei dem es sich gelohnt hat, Widerstand auszuhalten und eine Lösung zu finden, die den Autoverkehr reduziert.

Manche Widerstände kann man nicht aufheben. Aber wenn man wirklich etwas im Sinne des Gemeinwohls verändern will, muss man manchmal auch in den sauren Apfel beißen.

Parkplätze als lebendige Aufenthaltsorte?

Parkplätze bieten ein großes Potenzial, um Flächen in der Stadt für die Menschen umzugestalten – auch gegen Widerstände seitens Autofahrer:innen. Welche Dinge setzt Aachen hier um?

Corona animierte dazu, eine regelrechte Ausprobierphase zu starten. Es wurden Parklets, also Sitzmöbel auf ehemaligen Straßenparkplätzen, für die Außengastronomie und als öffentliche Aufenthaltsräume aufgestellt.

Wie gut gelingt die Verkehrsverlagerung weg vom Auto und hin zu Fahrrad, Fußverkehr und ÖPNV in Aachen insgesamt?

Der Status quo ist ausbaufähig. Wir wohnen als Familie mit zwei Kindern in der Stadt und haben kein eigenes Auto, sondern nutzen Carsharing. Natürlich wünsche ich mir ein durchgehendes Fahrradnetz, ich weiß aber auch, dass ein Umbau dauert und in Zeiten einer Transformation nicht alles perfekt laufen kann. Neue Radwege zu bauen, ist nicht die einzige Aufgabe der Kommunen. Neben der Mobilitätswende müssen unter anderem auch die Klimaanpassung und Energiewende gestemmt werden.

Warum man Aachen nicht mit Maastricht vergleichen sollte

Blicken Sie dennoch ein bisschen neidisch ins sehr nahegelegene niederländische Maastricht, wo Radfahren Teil der DNA der Menschen zu sein scheint?

Die Niederländer haben schon viel früher mit dem Umbau ihrer Innenstädte angefangen, deshalb sind sie einfach schon weiter und eine Nation, die mit dem Fahrrad aufgewachsen ist. Auch manche Gesetze sind rigider als in Deutschland. Man kann Maastricht deshalb nicht 1 zu 1 auf Aachen übertragen, doch wir müssen am Ball bleiben, um unsere Innenstädte weiterzuentwickeln.

Eines Ihrer Fokusthemen an der RWTH ist die Bestandstransformation der Stadt.Wie schafft man es, dass sich die Bevölkerung in solche Transformationsprozess einbringt?

Bei den gestalteten Schaufenstern beispielsweise sind wir bewusst sehr niedrigschwellig eingestiegen, beim Reallabor Theaterplatz schufen wir reale Interventionen direkt auf dem Platz und damit im Alltagsraum der Menschen. So konnten wir mit sehr unterschiedlichen Passanten direkt vor Ort in den Dialog treten; auch mit Menschen, die vielleicht nicht zu einer klassischen Beteiligungsveranstaltung kommen würden. Es ist aber auch wichtig, nicht nur über Dinge zu sprechen, die Menschen müssen sehen, dass sich Schritt für Schritt etwas ändert.

Wie Bürger:innen an der Stadtentwicklung teilhaben können

Was raten Sie interessierten Bürger:innen, wie sie sich am besten einbringen – gerade wenn kein Citymanagement vor Ort greifbar ist?

Auch als Einzelperson kann man mit einer Idee starten und sich Mitstreiter suchen. Dann lohnt es sich, bei der Kommune nachzufragen, welche Anträge etc. notwendig sind für Fördergelder oder ähnliches. Ich habe beim Citymanagement die Erfahrung gemacht, dass jeder Einzelne mit Engagement wahnsinnig viel erreichen kann.

Wenn Sie den Blick nach vorne richten, wie werden unsere Innenstädte in zehn Jahren aussehen?

In zehn Jahren ist viel möglich, wenn man jetzt mit der Planung beginnt. Den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren ist Voraussetzung, um mehr Raum für qualitative öffentliche Aufenthaltsräume, für Begegnung und das Gemeinwohl zu schaffen. Damit meine ich Räume für alle, es braucht aber auch „spezialisierte“ Räume mit besonderen Talenten für unterschiedliche Gruppen wie Kinder und Familien, Ältere oder Jugendliche. Ich möchte, dass es jenseits des Konsumierens viele Anreize gibt, in die Innenstadt zu gehen und sich dort wohlzufühlen.

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