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„Wir sind machtlos“: Behörden kritisieren Tricks von Temu & Co.

"Wir sind machtlos": Zollbehörden kritisieren Tricks von Temu & Co.
Screenshot: ARD/ SWR/ Plusminus

Zollbehörden haben Probleme damit, Produktsendungen aus China zu kontrollieren. Denn Händler wie Shein und Temu nutzen ein spezielles Verfahren, das es einfach macht, Kosten für Zoll und Steuern zu umgehen. Ein Experte schätzt den Schaden auf einen dreistelligen Millionenbetrag.

Wieso sind die Angebote auf Plattformen wie Temu so billig? Das ARD-Wirtschaftsmagazin Plusminus deckt einen Trick auf, mit dem asiatische Schnäppchenshops Kosten für Zoll und Steuern sparen. Die Folge wurde vom SWR verantwortet und ist in der ARD-Mediathek und auf YouTube abrufbar.

Temu & Shein: „Wir wissen, dass sie mit der Wertangabe betrügen“

Plusminus hat belgische Zollbehörden am Flughafen Lüttich bei ihrer Arbeit begleitet. Dort kommen dem Magazin zufolge täglich über eine Million kleine Päckchen an, vor allem aus China. Rund 200 Beamt:innen kontrollieren einen Teil davon, und decken dabei regelmäßig verschiedene Verstöße auf.

  • Zum Beispiel entdecken die Behörden vor laufender Kamera Sendungen, die auf mehrere Pakete aufgeteilt wurden, um den Warenwert zu mindern. Denn ab einem Wert von 150 Euro müssen Zollgebühren entrichtet werden.
  • Eines der in der Sendung kontrollierten Päckchen enthält ein Set Spielsteine, die der Marke Lego sehr ähneln. Laut den Zollbehörden sind Produktfälschungen keine Seltenheit, vor allem bei Spielzeugmarken oder bei Markenkleidung. In Lüttich würden mehr als 1.000 Markenschutzfälle pro Monat registriert.
  • Außerdem finden die Beamt:innen einzelne Produkte, die den Wert von 150 Euro schätzungsweise übersteigen. Diese dürfen nicht als kleine Päckchen angemeldet werden, erklärt eine Beamtin vor Ort – sie vermute einen Betrugsversuch, um Zoll und Steuern zu umgehen.

Ein belgischer Zollbeamter zeigt sich frustriert ob der Warenflut aus China. „Wir wissen, dass sie mit der Wertangabe betrügen. Es sind nur kleine Summen, aber wenn man das multipliziert mit den vielen Waren, die hier pro Monat ankommen, dann ist das riesig“, erklärt er. „Wir sind machtlos. Wir können das nicht kontrollieren. Und sie wissen das.“

Probleme bei Kontrolle: Zollbehörden fehlen Daten

Händler wie die chinesische Modeplattform Shein und der Billig-Versandhändler Temu sind wegen ihrer Schnäppchenpreise sehr beliebt. Sie verkaufen Ware, die überwiegend in China produziert wird. Diese wird dann per Luftfracht nach Europa geschickt, in vielen Einzelpäckchen, und über nationale Logistikunternehmen einzeln zugestellt. Ist die Ware in den Einzelpaketen weniger als 150 Euro wert, fällt keine Zollgebühr an.

Das Vorgehen unterscheidet sich von anderen E-Commerce-Unternehmen wie Amazon oder Zalando, welche ihre Ware per Container nach Europa verschiffen und über nationale Verteilerzentren ausliefern. Dieses Vorgehen ist schneller, aber mit hohen Zollgebühren bei der Einfuhr verbunden.

Temu und Shein müssen trotzdem Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) zahlen und nutzen dafür das Import-One-Stop-Shop-Verfahren (IOSS). Die Umsatzsteuer melden und zahlen die Unternehmen in dem europäischen Land, in dem sie registriert sind, nämlich Irland. Die irischen Behörden verteilen das Geld dann weiter: Wird etwa in Deutschland etwas bestellt, erhält der deutsche Staat einen gewissen Anteil. Doch die Zollbehörden in Belgien kritisieren das System: Sie könnten faktisch nicht kontrollieren, wie viel Einfuhrumsatzsteuer in Irland angemeldet wurde.

Im Beitrag von Plusminus kommt auch der Bundesvorsitzende der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, Florian Köbler, zu Wort. Ihm zufolge lade das IOSS-Verfahren zum Betrug ein. „Man hätte mit der Einführung dieses Systems sicherstellen müssen, dass zwischen den einzelnen Ländern ein echter und guter Datenaustausch möglich ist“, moniert er. Das sei wichtig für Kontrollen, aber aktuell nicht gegeben. „Ich rechne damit, dass durch das IOSS-Verfahren und mangelnde Kontrolle dem deutschen Staat jährlich dreistellige Millionenbeträge an Steuern entgehen.“ Plusminus verweist auf eine vorläufige Auswertung der EU, laut der 2023 2 Milliarden zollfreie Päckchen nach Europa verschickt wurden – schätzungsweise 65 Prozent sollen zu niedrig deklariert worden sein.

Utopia meint:

Temu und Shein haben Produktionszyklen verkürzt, bringen ständig neue Ware auf den Markt und fördern Überkonsum. Auch für Kund:innen rechnen sich die vermeintlichen Schnäppchen nicht immer: Regelmäßig klagen Käufer:innen über billige Qualität, das Magazin Markt des NDR deckte unlängst auch Sicherheitsprobleme bei elektrischen Geräten von Temu auf. Greenpeace kritisiert zudem Giftstoffe in Shein-Kleidung, die Schweizer Organisation Public Eye legte 2021 ausbeuterische Arbeitsbedingungen bei Shein-Produzenten offen.

Nicht nur fragwürdige Zoll- und Steuerstrategien sprechen also gegen einen Einkauf bei den Billighändlern. Wer etwa Mode kaufen will, kann stattdessen zu Second-Hand-Kleidung greifen oder Marken unterstützen, die sich glaubhaft für fairere und nachhaltigere Produktionsbedingungen engagieren. Um Klimaziele zu erreichen, werden wir unseren Konsum zudem grundlegend hinterfragen und auf Notwendiges beschränken müssen.

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