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Christian Neuhäuser: „Reichtum kann man sich nicht verdienen“

Christian Neuhäuser: Reichtum kann man sich nicht verdienen
Foto: Christian Neuhäuser

Christian Neuhäuser ist Autor und Professor für Philosophie. Er befasst sich intensiv mit dem Thema Reichtum. Warum er findet, dass es eine Obergrenze für Vermögen und Einkommen braucht, was das mit Klimaschutz zu tun hat und warum Reichtum die Demokratie gefährdet, erklärt er im Utopia-Interview.

„Es gibt eine Reihe von Gründen, Reichtum wirklich als Problem zu betrachten und nicht als individuelles Glück“, sagt Christian Neuhäuser im Interview mit Utopia. Seit 2014 ist er Professor für Philosophie und Geschäftsführender Direktor am Institut für Philosophie und Politikwissenschaft an der TU Dortmund. In seinen Büchern nennt Neuhäuser die Idee, durch Arbeit reich zu werden, einen Mythos und bespricht Methoden, um Geld gerechter zu verteilen. Auch mit der Theorie des Limitarismus beschäftigt er sich. Unter dieser wird in der Gerechtigkeitsphilosophie diskutiert, ob Menschen zu viel Geld haben können.

Christian Neuhäuser im Interview: Warum es eine Obergrenze für Reichtum braucht

Utopia: Herr Neuhäuser, Sie haben 2014 Ihren Job als Studienleiter an der Universität Luzern gekündigt, weil Ihnen Ihr hohes Einkommen unmoralisch vorkam. Das hört man selten.

Christian Neuhäuser: *lacht* Ja, das hat bei der Entscheidung geholfen. Ich fand einfach immer, dass man Geld nicht zu wichtig nehmen sollte – auch wenn ich in meiner Kindheit Armut erlebt habe und deshalb durchaus der Meinung bin, dass es gut ist, finanziell abgesichert zu sein. In der Schweiz habe ich Weiterbildungskurse für Ärzt:innen und Manager:innen gegeben und bin dadurch in eine Blase geraten, in der den Leuten Geld unglaublich wichtig und reichlich vorhanden war. Ich habe begonnen einen Luxusgeschmack zu entwickeln, obwohl ich das nicht wollte. Sich das nicht leisten zu können, hilft.

Neuhäusers Definition: Reich ist, wer deutlich mehr hat, als er braucht, um in Würde leben zu können

Utopia: Ab wann ist ein Mensch denn reich?

Neuhäuser: Ich denke, das muss man im Kontext der Menschenwürde bestimmen. Wenn man absolut oder relativ arm ist, hat man zu wenig, um in Würde leben zu können. Reichtum funktioniert im Umkehrschluss von Armut. Reich ist man also, wenn man deutlich mehr hat, als man für ein würdiges Leben braucht. Wenn man in Deutschland als Einzelperson ein Vermögen von vier Millionen Euro hat, ein Nettoeinkommen von 8.000 oder 10.000 Euro plus – dann ist man reich, würde ich sagen.

Utopia: Nicht nur Sie sind der Meinung, dass es dann zu viel ist – da gibt es eine ganze Bewegung, die es für sinnvoll hält, Reichtum zu limitieren und sich mit der Frage befasst, wie das am besten möglich ist: den Limitarismus. Ist die Theorie neu?

Neuhäuser: Nicht komplett. Limitarismus ist die Position, dass es eine Obergrenze für legitimen Reichtum braucht. Deswegen ist es laut dieser Theorie erlaubt, Reichtum oberhalb der Grenze zu verbieten oder zumindest erheblich einzuschränken. Wie man mit Reichtum umgehen kann, damit haben schon Leute wie John Stuart Mill und George Washington befasst – die Idee ist also nicht neu, die Limitarismus-Bewegung schon. Diese Theorie, Reichtum zu begrenzen, ist zwar sehr utopisch, aber die Bewegung adressiert trotzdem unsere Gesellschaft und gibt vor, wohin wir uns eigentlich bewegen müssen, anstatt einfach nur eine Idealwelt zu beschreiben.

Ist Reichtum nicht einfach individuelles Glück?

Utopia: Und wohin müssen wir uns bewegen?

Neuhäuser: Ich denke, dass wir uns als Gesellschaft fragen müssen, wie viel Reichtum wir uns erlauben wollen. Es gibt eine Reihe von Gründen, Reichtum wirklich als Problem zu betrachten und nicht als individuelles Glück. Beispielsweise können nicht alle reich sein, weil reich sein ja heißt, deutlich mehr zu haben als andere.

Utopia: Sie sagen, es gibt eine Reihe von Gründen. Welche sind das konkret?

Neuhäuser: Reichtum kann einen erheblichen gesellschaftlichen Schaden anrichten. Über die Hälfte des Vermögens in Deutschland ist in den Händen von nur zehn Prozent der Bevölkerung. Das heißt diese zehn Prozent haben eine erhebliche Marktmacht und somit auch eine politische Macht. Das ist ein Demokratieproblem, weil die politische Stimme jede:r Bürger:in eigentlich gleich viel zählen sollte. Außerdem wird das Geld oft für Luxusgüter ausgegeben, könnte aber viel besser für soziale und nachhaltige Zwecke genutzt werden.

Reichtum gefährdet außerdem die gleiche Achtung aller Gesellschaftsmitglieder – und wenn wir eine Gesellschaft ohne Armut wollen, muss Reichtum im Umkehrschluss auch eine Ausnahmeerscheinung sein. Auch zu Klimawandel und Umweltzerstörung trägt Reichtum massiv bei. Einerseits weil viel Geld in umweltschädliche Projekte investiert wird, andererseits weil so etwas wie eine Statusgesellschaft entsteht, in der gewisse Statussymbole wichtiger sind als Umweltschutz.

„Bei einem Jahreseinkommen von einer Millionen Euro ist Schluss“

Utopia: Eine Möglichkeit das zu ändern sehen Sie darin, den Reichtum zu begrenzen. Konkret in Zahlen: Wo könnte so eine Grenze liegen?

Neuhäuser: Ich würde sagen: Bei einem Jahreseinkommen von einer Millionen Euro ist Schluss. Viel entscheidender ist für die Gesellschaft allerdings die Beschränkung von Vermögen. Da ist die Ungleichheit bei uns sehr groß. Deshalb sollte die erste Grenze für Vermögen bei maximal 100 Millionen Euro liegen. Dann kann man das weiter reduzieren

Utopia: Wer müsste diese Grenze ziehen? Einzelpersonen oder die Politik?

Neuhäuser: Das konkret war jetzt eher eine politische Idee. Bei Einzelpersonen würde ich moralisch noch viel strengere Maßstäbe setzen. Wer ein Nettoeinkommen von mehr als 100.000 Euro im Jahr hat, sollte anfangen, alles, was darüber hinausgeht abzugeben. Da sind natürlich immer auch individuelle Fragen relevant, wie beispielsweise die Pflege Angehöriger. Bei Vermögen könnte eine Million Euro so eine Grenze sein. Das hängt aber auch an den Immobilienpreisen in der Stadt, in der man lebt.

Utopia: Wenn Sie sagen weggeben, meinen Sie spenden?

Neuhäuser: Genau. Solange es staatlich nicht organisiert ist, sollte man das Geld für sinnvolle Zwecke spenden. Da gibt es auch die Idee, dass ein Bürgerrat anstelle der vermögenden Person über den Verwendungszweck bestimmt. Das Experiment läuft gerade in Österreich. Marlene Engelhorn, BASF-Erbin, hat 30 Millionen Euro in einen solchen Bürgerrat gegeben. Dort entscheiden aktuell 50 ausgewählte, für die Gesellschaft repräsentative Personen, was jetzt damit passiert.

„Das sind Angeber:innen, die ein großes Selbstbewusstsein haben“

Utopia: In den Sozialen Medien ist die Meinung stark vertreten, Superreiche hätten sich ihren Reichtum verdient. Können Sie diese Sichtweise nachvollziehen?

Neuhäuser: Nein. *lacht* Wir erleben gerade in den Sozialen Medien, dass sich Fake und Fakten vermischen. Das sind wahrscheinlich oft Angeber:innen, die ein großes Selbstbewusstsein und irgendwo auch Glück gehabt haben – beispielsweise Leute, die auf dem Immobilienmarkt reich wurden. Das ist keine wahnsinnige Leistung, die es verdient macht, reich zu sein – sondern einfach glücksbasierter Erfolg.

Utopia: Also kann man sich Reichtum ihrer Meinung nach gar nicht verdienen, egal wie hart man arbeitet?

Neuhäuser: In der Gerechtigkeitstheorie heißt es: Der Verdienst muss proportional zur Arbeit sein. Das heißt, wenn ich tausendmal so viel verdiene wie jemand anderes, dann muss ich auch tausendmal so hart gearbeitet haben wie jemand anderes. Wenn wir uns beispielsweise Leute anschauen, die im Krankenhaus arbeiten, 40 Stunden die Woche, teilweise Nachtschichten machen – dann sehen wir, diese Leute arbeiten wahnsinnig hart. Nach der Gerechtigkeitstheorie müsste man also deutlich härter arbeiten als diese Menschen, um einen deutlich höheren Verdienst zu rechtfertigen. Wenn ich zehn Mal mehr verdiene, muss ich also zehn Mal so hart arbeiten. Und das geht schlichtweg nicht. Das ist Unsinn. Das heißt, diesen Reichtum kann man sich nicht verdienen.

Der Reichtum basiert ja auch auf der Grundlage des Wohlstandes im Land: der Infrastruktur, den Menschen, die da gearbeitet haben und ausgebildet wurden, den technischen Entwicklungen. Ich frage mich ernsthaft, wie man an diese Fiktion glauben kann, man hätte das alles selbst erarbeitet. Deshalb wäre übrigens auch eine sehr hohe Kapitalausfuhrsteuer sinnvoll – also eine Abgabe für Vermögen, das in Deutschland erwirtschaftet wurde und dann ins Ausland verlagert wird. Dann hätte das Land auch etwas davon, wenn Menschen, die hier reich geworden sind, mit ihrem Vermögen auswandern.

„Die Linke macht es sich zu leicht“

Utopia: Apropos Steuern: Es gibt ja schon eine Bewegung, die eine „Reichensteuer“ fordert. Auf Parteiebene ist das zum Beispiel auch eine Forderung der Linken.

Neuhäuser: Wenn wir eine Reichensteuer einführen wollen, bräuchten wir gleichzeitig eine Transformation des Wirtschaftssystems. Diese müsste dafür sorgen, dass die Wirtschaft effizient bleibt, obwohl die Eigentumsverhältnisse sich ändern. Da muss man schon sagen, dass es sich die Linke – als Partei, aber auch als soziale Bewegung – häufig zu leicht macht, weil sie Fragen der wirtschaftlichen Effizienz einfach ausklammert.

Utopia: Zum Beispiel?

Neuhäuser: Wenn wir eine hohe Erbschaftssteuer oder eine Vermögenssteuer aufbauen, wird sehr wahrscheinlich viel Kapital ins Ausland gegeben. Dann wird in die Wirtschaft in Deutschland nicht mehr investiert. Dafür brauchen wir Lösungen. Aus meiner Sicht müssen wir auf eine sogenannte Eigentumsdemokratie zusteuern – also das Eigentum an Produktionsmitteln, das sind die Mittel, die es für die Herstellung von Gütern braucht, breiter in der Bevölkerung streuen. Das könnte bedeuten, dass man ein Unternehmen künftig beispielsweise nicht mehr nur einer einzelnen Person vererben darf, sondern einer Gruppe – und diese besitzt die Firma dann gemeinschaftlich. Das gleiche gilt auch für Vermögen.

Utopia: Und das kann funktionieren?

Neuhäuser: Nicht alleine. Wir brauchen ein neues wirtschaftliches Narrativ, ein anderes Anreizsystem. Bisher wird oft kommuniziert, dass Reichtum unser Anreiz für Arbeit ist. Wir haben allerdings auch zahlreiche Unternehmer in Deutschland, die einen Friseursalon besitzen oder eine Bäckerei – davon wird man nicht reich, aber es trägt etwas zur Gesellschaft, zum Gemeinwohl bei. Es gibt also auch andere Anreizsysteme als Reichtum. Deshalb brauchen wir eine neue Erzählstruktur, die das aufnimmt und die Menschen anders motiviert.

Was Klimaschutz und Limitarismus gemeinsam haben

Utopia: Muss diese Veränderung dann nur von der Regierung oder auch von der Gesellschaft angestoßen werden?

Neuhäuser: Die Limitarismus-Bewegung sieht die Politik sehr stark in der Verantwortung. Meine Sicht ist allerdings, dass man nicht denken darf, die Politiker:innen müssen das jetzt richten. Die haben nämlich oft einen Interessenskonflikt, weil sie teilweise auf gesellschaftliche Eliten angewiesen sind. Es braucht also eine breite, politische Bürgerbewegung. Die gibt es im Moment nicht – aber es gibt eine Klimaschutzbewegung. Und wenn diese einsieht, dass ihre Ziele nur erreicht werden, wenn man die soziale Frage mitdenkt – dann sehe ich da Potenzial.

Utopia: Das heißt Klimaschutz und Limitarismus sind eigentlich eng miteinander verbunden?

Neuhäuser: Genau. Die Bewegungen sollten sich klar machen, dass sie eigentlich für die selbe Sache streiten – auch wenn das auf den ersten Blick nicht immer so scheint. Sie stehen beide für Gerechtigkeitsfragen. Extrem reiche Menschen sind im doppelten Sinne ein Problem für den Klimaschutz: Sie haben einen extrem hohen CO2-Abdruck und sehr viel politische Macht. Klimaschutz ist allerdings oft nicht in ihrem Interesse – denken wir beispielsweise an Familien, denen große Teile der Automobilindustrie gehören. Der andere Punkt ist: Klimaschutz und Klimaanpassung sind wahnsinnig kostspielig. Das können wir nur stemmen, wenn wir bereit sind, das kollektiv auf faire Weise zu bezahlen.

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