Die EURO 2024 läuft bereits, laut Turnierdirektor Philipp Lahm und Co. wird mit zahlreichen Maßnahmen darauf geachtet, die Europameisterschaft so nachhaltig wie möglich zu gestalten. Was dafür getan wird – und wo Versäumnisse bestehen.
Die Europameisterschaft ist bereits in vollem Gange und zum ersten Mal seit fast 20 Jahren ist Deutschland damit wieder Gastgeber eines Fußballgroßereignisses. Turnierdirektor und Ex-Nationalmannschaftskapitän Philipp Lahm und das Organisationsteam der EURO 2024 wollen nach eigener Aussage „Vorbild sein“ und „für nachfolgende Sportgroßveranstaltungen auch in anderen Ländern Standards setzen“.
Doch wie gut gelingt es, die nachhaltigste EM aller Zeit auszurichten? Welche Maßnahmen haben UEFA und Turnierkomitee bereits umgesetzt – und wo bestehen noch Lücken? Utopia hat sich einen Überblick verschafft und ordnet ein, wie nachhaltig die diesjährige Fußball-EM tatsächlich ist.
Was wird getan, um die EM nachhaltiger als bisherige Fußballturniere zu machen?
Zunächst bleibt festzuhalten: Die Aspekte Nachhaltigkeit und Klima spielten bei der Planung des Turniers von Anfang eine wichtige Rolle – zumindest in Deutschland. Denn während man auf der Webseite der UEFA erfolglos Informationen zu Nachhaltigkeitsinitiativen oder Ähnlichem sucht, kommuniziert etwa das Bundesinnenministerium (BMI) ausführlich zum Turnier und damit verbundene Maßnahmen für eine möglichst nachhaltige Veranstaltung.
Die zuständigen Bundesministerien sowie die zehn Ausrichterstädte samt Kooperationspartner stellten in diesem Zusammenhang eine Auswahl von 100 nachhaltigen Maßnahmen für die Fußball-Europameisterschaft 2024 vor.
Wichtige Maßnahmen sind dabei:
- Ein eingerichteter Klimafonds, in den die UEFA für jede Tonne ausgestoßenes CO2 25 Euro einzahlt. Hochrechnungen zufolge stehen dadurch rund sieben Millionen Euro für Klimaschutzprojekte zur Verfügung. Die Besonderheit: Das Geld soll in Projekte in Deutschland fließen. Hiesige Amateurfußballvereine konnten sich bis Juni bewerben, etwa mit Projekten für den Umstieg auf erneuerbare Energien oder ein wassersparendes Bewässerungssystem. Beim SSV Eintracht Lommersum nahe Bonn beispielsweise finanziert der Klimafonds bald eine neue Photovoltaikanlage.
- Ein nachhaltiges Mobilitätsangebot soll die Anreise mit Fernzug und ÖPNV attraktiver machen.
- Ein großes Kulturprogramm soll Fans aus ganz Europa auch außerhalb der Stadien zusammenbringen.
- Für die 16.000 Volunteers der EM gibt es mit der Volunteer Akademie ein Weiterbildungsprogramm, zudem sollen die Freiwilligen für ein langfristiges soziales Engagement gewonnen werden.
- In den Fanzonen rum um die Stadien wird es kostenloses Trinkwasser und Sonnenschutzmittel geben sowie faire vegane und vegetarische Essensangebote. Die Fan Zones werden mit zertifiziertem Ökostrom betrieben.
- Die Austragungsorte setzen zudem individuelle Maßnahmen um, zum Beispiel: kostenlose Leihfahrräder in Berlin, Mehrweggeschirr für Getränke und Speisen in Düsseldorf, Hamburg und München sowie 30 reaktivierte oder neu installierte Trinkwasserbrunnen in Dortmund.
Hauptverursacher von CO2 bei einer EM: der Verkehr
Die Ausrichter haben sich viel vorgenommen, doch Klima und Umwelt wird eine Veranstaltung von der Größe einer Fußballeuropameisterschaft stets belasten – vor allem durch den Verkehr.
Über 14 Millionen Menschen werden in den Stadien und Fanmeilen erwartet. Das hat große Auswirkungen: Bis zu 80 Prozent der CO2-Emissionen der EM entstehen laut Sportschau durch die Anreise der Fans.
Anders als bei einer Weltmeisterschaft sind es jetzt vor allem Fans aus Deutschland und dem nahen Ausland. Und das heißt: Für eine nachhaltige EM muss das Auto zu Hause bleiben – Fahrrad und ÖPNV statt Auto und Fernzug statt Flugzeug.
Eine nachhaltige EM funktioniert ohne Autos
Dies soll einerseits durch drei regionale Cluster in der Vorrunde vereinfacht werden: Im Nordosten, Westen und Süden Deutschlands spielen die Teams pro Vorrundengruppe möglichst in einem Cluster.
Das bedeutet nicht nur weniger Reisestress für die Teams, sondern vor allem auch weniger Bewegung der Fans. Angereiste Fußballfans können dadurch in einer Stadt bleiben und ihrer Mannschaft dort mit dem ÖPNV zu den Spielen folgen.
Klingt in der Theorie gut, beim Blick auf den Spielplan merkt man allerdings: Frankreich beispielsweise spielte in der Vorrunde zuerst in Düsseldorf, danach in Leipzig und Dortmund. Ein wenig Hin- und Herreisen bleibt also.
Auch die Slots für 609 Sonderflüge, die für den Zeitraum der Gruppenphase von der Flughafenkoordination Deutschland koordiniert werden, belasten das Klima. Dies sind nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums (BMDV) überwiegend Fanflüge, aber auch Flüge für Fußballmannschaften und Verbände.
Umso wichtiger, dass die Fans statt dem Flugzeug oder Auto öffentliche Verkehrsmittel nutzen – und die Deutsche Bahn entsprechende Kapazitäten zur Verfügung stellt. Der Konzern hat deshalb viele anstehende Bauarbeiten vorgezogen, damit die Züge möglichst ungehindert zu den Austragungsorten rollen können. Tickets für Spiele gelten als 36-Stunden-ÖPNV-Ticket. Hinzu kommen Rabatte auf international gültige Interrailtickets und vergünstigte Tickets für Fahrten zu Spielorten. Und sollte Deutschland Europameister werden, lohnt sich das für einige Bahnkund:innen besonders.
Doch auch wenn man mit der Bahn günstig zu den Spielen anreisen kann, bleiben die Kapazitätsgrenzen bestehen. Viele kennen es von Bundesligaspieltagen: Die S- und U-Bahnen sind vor und vor allem nach dem Spiel hoffnungslos überfüllt. Ob München und Co. hier genügend Züge und Personal einsetzen können, bleibt fraglich.
Keine Parkplätze mehr an Fußballstadien?
UEFA und Organisatoren setzen aber nicht nur auf Anreize pro Bahn, sondern versuchen Privatautos gezielt weg von den Stadien zu halten. So wird es nach Angaben der Sportschau an vier der zehn Spielstätten keine öffentlichen Parkplätze für Fans geben. Hamburg, Leipzig, Berlin und Frankfurt behalten die Parkplätze Reisebussen, Organisatoren, Polizei und Co. vor.
Die übrigen sechs Stadien bieten deutlich weniger Parkplätze als etwa zu Bundesligaspielen an – diese müssen vorab per App gebucht werden, sie kosten 24 Euro. Fünf Euro davon sollen in Klimaschutzprojekte fließen.
Utopia meint: Die EM bemüht sich um Nachhaltigkeit – vergisst aber wichtige Bereiche
Anders als 2022 in Katar mussten für die EM in Deutschland keine neuen Stadien samt Infrastruktur gebaut werden. Ein absoluter Pluspunkt in Sachen Klimabilanz. Darauf ruhten sich die Veranstalter aber nicht aus.
Mit Öffis zu den Spielen, vor Ort weniger Müll durch Mehrweggeschirr und kostenloses Trinkwasser und auch vegane Optionen: Das Organisationsteam der EURO 2024 zeigen, dass sie verstanden haben, wie ein Großereignis nachhaltiger werden kann. Wobei man auch nicht vergessen darf, dass etwa Mehrwegbecher in Fußballstadien keine große neue nachhaltige Errungenschaft, sondern seit Jahren etabliert sind.
Plastik- und Fleischproduzenten als Sponsoren
Die Zahlungen in den Klimafonds erscheinen hier wichtiger, denn dessen Investitionen wie auch soziale Projekte gegen Diskriminierung und für Vielfalt können langfristig positiv wirken. Einige wichtige Themenbereiche lässt die selbsternannte nachhaltigste EM aller Zeiten aber außen vor:
Die Sponsoren der UEFA und der EURO 2024 sind unter anderem Coca Cola (einer der weltweit größten Plastikverursacher, Adidas, Visit Qatar (der Tourismusverband der Monarchie Katar) und AliExpress (ein chinesischer Onlineshop).
Hinzu kommen mit der Deutschen Bahn und der Telekom nationale Sponsoren. Auch der Bier-Produzent Bitburger und Fleischhersteller Wiesenhof sponsern das Turnier. Hier hätte das Organisationsteam aus unserer Sicht deutlich nachhaltigere Unternehmen als einen Fleisch- und einen Alkoholproduzenten finden können.
Trikots und Fußbälle von Adidas
Auch bei den Fußbällen und Fanartikeln hätten wir uns eine klare Positionierung pro Nachhaltigkeit gewünscht, etwa einen EM-Fußball mit Fairtrade-Siegel.
Bei den Trikots der deutschen Nationalmannschaft wäre der DFB gefragt gewesen. Denn ein in Vietnam produziertes Deutschlandtrikot macht die Lieferketten ohne verlässliches Siegel schwerer nachvollziehbar. Von einem Weltkonzern wie Adidas darf man 2024 erwarten, bei einem Prestigeartikel wie dem Nationalmannschaftstrikot mit einem vertrauenswürdigen Siegel wie dem der Fair Wear Foundation zusammenzuarbeiten. Dieses würde zumindest faire Löhne sicherstellen. Darüber tröstet auch nicht das als nachhaltig beworbene verwendete recycelte Polyester hinweg – zumal konkrete Angaben zur Herkunft und Verarbeitung des Kunststoffes fehlen.
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