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„Plötzlich hatte ich ein Modelabel“: Wie eine Krisen-Journalistin zur Fair-Fashion-Gründerin wurde

fitbuddha senada sokollu
Foto: © Fitbuddha

Hinter dem Fair-Fashion-Label Fitbuddha steht Senada Sokollu – die eigentlich Journalistin ist. Doch als sie in die Türkei reiste, um über Geflüchtete aus Kriegsregionen zu berichten, kam alles anders als gedacht. Ein Porträt. 

Bunt, bequem, overzised: In Fitbuddha-Klamotten soll man sich wohlfühlen. Das drücken auch die Namen der Kleidungsstücke aus: Im „Granny’s handmade chiller pants“ oder im „Bohemian Kimono“ kann man sich gemütlich auf die Couch lümmeln oder fürs morgendliche Yoga vorbereiten. Andere Modelle wie das „Sexy Leg Dress“ machen auch im Alltag was her. Und ein schlechtes Gewissen muss der Träger auch nicht haben, denn: Fitbuddha-Mode ist fair.

Einige Stücke sind mit bunten Flicken versehen. Diese bestehen aus Resten von handgeknüpften türkischen Teppichen, sogenannten „Kilims“. Fitbuddha-Gründerin Senada Sokollu hat die Teppiche türkischen Familien abkauft, die diese nicht mehr benötigen. Natürlich persönlich. Bei ihrem Modelabel Fitbuddha erledigt sie fast alles selbst. Nur eines macht sie nicht: nähen. Das erledigen acht Frauen in der Türkei, größtenteils Witwen, die die Münchnerin persönlich kennt.

„Von 85 Euro kann niemand leben“

Sokollu sitzt mit gekreuzten Beinen auf einem kleinen Sessel in der Utopia-Redaktion und wirkt vollkommen ruhig. Interviews hat sie schon viele geführt – denn eigentlich ist sie von Beruf Journalistin. Doch sie gibt zu, dass es ungewohnt für sie ist, auf der anderen Seite des Mikros zu sitzen.

Wieso sie gerade türkische Witwen einstellt? „Weil diese oft am Existenzminimum leben“, erklärt Sokollu. Nach dem Tod ihrer Männer stehe den Hausfrauen nur eine Witwenrente von etwa 85 Euro im Monat zu. „Davon kann niemand leben. Vor allem nicht in der Türkei“.

Auf Instagram postet die junge Unternehmerin immer wieder Fotos von ihren Arbeiterinnen beim Nähen und Stricken. Auf den Bildern sind keine Industriehallen zu sehen – stattdessen wird oft im Wohnzimmer genäht. Denn Sokollus Näherinnen arbeiten häufig von zu Hause aus.

Fitbuddha-Näherinnen setzen die Preise selbst fest

Die Näherin Muzaffer Teyze ist Großmutter. Tagsüber kümmert sie sich um ihren kleinen Enkel. Strickarbeiten kann sie nebenbei erledigen und sich die Zeit selbst einteilen. Für die meisten türkischen Näherinnen ist so ein Luxus undenkbar. „In der Türkei hat eine normale Vollzeitstelle 45 Stunden“, erklärt Sokollu. „Doch viele Näherinnen arbeiten 60 bis 70 Stunden die Woche – das ist fast Sklaverei.“

Dazu verdienen türkische Näherinnen in der Regel schlecht. Unter 300 Euro im Monat, schätzt Senada Sokollu. Die Frauen, die für sie arbeiten, setzen die Preise hingegen selbst fest, erklärt sie stolz. In der Regel verdienen die Frauen 15 bis 25 Euro pro Pullover. Wenn eine Näherin einmal mehr für eine komplizierte Arbeit verlangt, zahlt Sokollu den gewünschten Betrag.

Das klingt nach einem riskanten Geschäftsmodell – und das ist es auch. Sokollu bezahlt ihre Mitarbeiterinnen immer im Voraus. Von ihren Einnahmen als Journalistin. „Mein komplettes Geld geht eigentlich an Fitbuddha“, erklärt sie. Zuschüsse erhalte sie keine.

Von Journalismus zum Modelabel

Senada Sokollu hatte eigentlich nicht geplant, ein eigenes Modelabel zu führen – sie ist durch und durch Journalistin. Die Münchnerin hatte in ihrer Heimatstadt Politikwissenschaften und Journalismus studiert, und einige Jahre als Auslandskorrespondentin gearbeitet.

Für Nachrichtensender wie Deutsche Welle und Euronews war Sokollu auch in Krisengebiete gereist –  zum Beispiel an die Grenze zum Irak und zu Syrien. Vor einigen Jahren besuchte sie die Gegend in der Nähe von Izmir an der Ägäisküste. Von dort aus versuchen viele Geflüchtete, griechische Inseln wie Chios zu erreichen. Bei ihren Besuchen lernte Sokollu viele geflüchtete Frauen kennen. „Ich habe gesehen, wie traumatisiert sie sind“, erinnert sie sich. „Viele haben ihre Eltern oder Kinder verloren. Teilweise sind sie sozial isoliert.“ Weil die türkischen Flüchtlingslager außerhalb großer Städte liegen, lernte sie auch viele Dorfbewohnerinnen kennen – und erfuhr vom Schicksal der Frauen.

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Fitbuddha-Mode ist sportlich und leger. (Foto: © Fitbuddha)

Mit der Zeit fühlte sich die Münchnerin in ihrer Rolle als Beobachterin nicht mehr wohl: „Als Journalist musst du neutral bleiben, aktiv helfen kannst du nicht“, erklärt sie. Doch Sokollu ist niemand, der sich einfach so mit einer Situation abfindet. Sie wollte helfen – und fand schließlich auch einen Weg.

Während ihres Aufenthalts erkannte Sokollu, wie gut viele Dorfbewohnerinnen mit Nähmaschinen und Stricknadeln umgehen konnten. Sie bat einige der Frauen darum, Schals, Mützen und Pullis für Freunde und Verwandte von ihr zu stricken – natürlich gegen eine faire Bezahlung. „Plötzlich haben mich Menschen gefragt, wo man die Kleidungsstücke kaufen kann und ob es das Modell noch in anderen Farben gibt“, erzählt sie. Jetzt fehlte nur noch die Website. Senada Sokollu lacht, als könne sie es immer noch nicht glauben: „Plötzlich hatte ich ein Modelabel.“

Fitbuddha und Geflüchtete

Derzeit arbeiten zwei Geflüchtete für Fitbuddha. Sokollu hofft, die Frauen durch die Arbeit zu integrieren – auch in die Gemeinschaft der anderen Fitbuddha-Näherinnen. „Sie sollen die Möglichkeit haben, positive Erinnerungen zu sammeln, anstatt alleine im Flüchtlingslager zu sitzen.“

An dem Aufenthaltsstatus der Frauen ändert die Anstellung nichts. Doch die Türkei nimmt derzeit viele Geflüchtete auf. Das liegt teilweise daran, dass das Land 2016 den Flüchtlingsdeal mit der EU geschlossen hat. Denn der Deal sieht unter anderem vor, dass die Türkei keine Geflüchteten mehr über die Grenze nach Griechenland migrieren lässt. Die EU stellte im Gegenzug bis 2018 sechs Milliarden Euro bereit, um die Lebensumstände der Geflüchteten zu verbessern.

 „Purer Rassismus“: Das muss Europa ändern

Sokollu hält nicht viel von Europas Flüchtlingspolitik: „Die Asylverfahren dauern zu lange, sind zu chaotisch und die südlichen Länder werden nicht unterstützt“, kritisiert die Journalistin. Einige osteuropäische Staaten würden sich auch gezielt dagegen weigern, muslimische Geflüchtete aufzunehmen. „Für mich ist das purer Rassismus. Das gehört nicht nach Europa.“

Nicht nur Europa muss handeln – auch Einzelne können Menschen in Not helfen. Vor allem müsse man die richtige Partei wählen, meint Senada Sokollu. Und Geflüchtete kennenlernen – so kann man Vorurteilen am besten vorbeugen. Sokollu spricht aus Erfahrung: Während der Anfangsphase des Syrienkrieges war sie in Istanbul. Damals befanden sich gerade sehr viele Flüchtlinge in der Stadt. „Damals war Ramadan, also Fastenzeit“, erklärt Sokollu. Sie war gegen Abend mit einer Freundin unterwegs gewesen und entschloss sich dazu, ein paar Geflüchtete einfach anzusprechen. „Ich selbst habe nicht gefastet, wusste aber, dass die anderen es taten. Also hab ich sie gefragt, ob sie nicht mit uns zusammen kochen wollen.“ Die Sprachbarriere sei kein Problem gewesen: Mit Englisch, Mimik und Gestik konnten sich alle gut verständigen. „Wenn man will, kann man jeden kennenlernen und miteinbeziehen“, meint Senada Sokollu. Dazu muss man kein Modelabel gründen.

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