Die „Sneakerjagd“ im vergangenen Jahr machte auf ein Problem aufmerksam, das vielen nicht bewusst war: Gespendete Schuhe aus Deutschland landen auf der Deponie; oft im Ausland. Nun will das Rechercheteam von Flip gegen das Müllproblem angehen und startet eine Initiative: einen eigenen Sneaker produzieren – aus Müll.
Orange unterstrichene oder mit ** markierte Links sind Partnerlinks. Wenn du darüber bestellst, erhalten wir einen kleinen Anteil vom Verkaufserlös. Mehr Infos.
Die Sneakerjagd geht in die zweite Runde. Was zunächst als Recherche des Medien-Startups Flip mit Unterstützung von Louisa Dellert und weiteren bekannten Personen startete, führt nun zu einer Initiative, die Müll vermeiden soll. Die Idee: einen Schuh aus Müll herzustellen, der sonst auf Deponien in Afrika landet.
Das Crowdfunding für den nachhaltigen Sneaker startet im Oktober. Wir haben bei Flip nachgefragt und uns den Sneaker genauer angeschaut.
Von Sneakerjagd zu Sneaker-Produktion: die Hintergründe
Am Anfang stand eine journalistische Recherche. Mit der „Sneakerjagd“ hat das Medien-Startup Flip Ende 2021 Aufsehen erregt. Dafür hat das Team, gemeinsam mit dem NDR und der ZEIT, alte Sneaker von Prominenten mit GPS-Trackern versehen und auf verschiedenen Wegen entsorgt, zum Beispiel bei Sammelstellen für Altkleidung. Die getrackten Sneaker führten unter anderem bis auf illegale Mülldeponien in Kenia. Die Recherche konnte zeigen, dass alte Sneaker oft in Afrika landen und dort die Umwelt vermüllen.
Deutschlands Altkleider sorgen für Müllproblem
Alte Pullis, Sneaker und Hosen: Was wir nicht mehr brauchen, geben wir oft in Kleidercontainer oder spenden wir anderweitig, in der Hoffnung, dass eine andere Person die Dinge weiter nutzt. In der Realität landen unsere Kleidungsstücke und Schuhe aber oft auf dem Müll. Nicht selten auch weit von Deutschland entfernt, zum Beispiel in Afrika oder in der chilenischen Wüste.
„Um dieses Problem, dessen Ausmaß wir während unserer Recherchen in Kenia mit eigenen Augen sehen konnten, kümmern sich die großen Hersteller nicht“, sagt Christian Salewski, Reporter und Mitgründer von Flip.
Fast die Hälfte der Altkleider, die dort ankommen, sind laut einem Report von Greenpeace unbrauchbar. Vor Ort aber gibt es keine vernünftigen Entsorgungsstrukturen. Und so landen auch unsere alten Sneaker einfach im Fluss oder auf illegalen Müllhalden. Eine der größten illegalen Mülldeponien besuchte das Reporterteam von Flip selbst.
Die Müllkippe befindet sich in Dandora, einem Stadtteil von Kenias Hauptstadt Nairobi. Je näher man der Deponie kommt, desto unerträglicher wird der Gestank, berichten die Flip-Reporter. Dennoch halten sich Menschen mitten im Müll auf, darunter viele Kinder, die auf allen vieren durch die Massen kriechen. Viele der Menschen dort schlafen sogar im Müll.
Die Reporter berichten von Essensresten, Elektroschrott und Medizinabfall, der auf der Deponie ebenso zu finden ist wie alte Nike-, Adidas- und New-Balance-Schuhe. Sie stinken und sind von den Chemikalien der Müllhalde so durchseucht, dass sie für niemanden mehr zu gebrauchen sind.
Mitten im Müll stehen ebenfalls Tiere, darunter aasfressende, hüfthohe Vögel: Marabus. Diesen Vögeln haben die neuen Sneaker ihren Namen zu verdanken. Für das Reporter-Kollektiv sind sie zu einem Symbol für das gravierende Müllproblem vor Ort geworden. Zugleich sollen die Recycling-Sneaker (zumindest ansatzweise und in bestimmten Regionen) zur Lösung des Müllproblems beitragen.
Marabu: Die Idee hinter dem Sneaker-Projekt
„Die Idee“, sagt Flip-Mitgründer Dominik Sothmann, „war relativ schnell klar: Wir wollten eine Sneaker entwickeln, der dazu beiträgt, den Textilmüll in Afrika aufzuräumen.“ Dazu hat Flip sich nun mit dem Sneaker Label MONACO DUCKS zusammengetan. Gemeinsam möchten sie dem Müllproblem konstruktiv begegnen und Upcycling in Form von Sneaker betreiben
Das Münchner Label beschäftigt sich bereits seit 2017 mit der Produktion möglichst nachhaltiger und kreislauffähiger Schuhe. Neu ist der Gedanke, einen Schuh zu entwickeln, der „das Müllproblem in Afrika im Kleinen angeht“, wie Flip erklärt. Ebenfalls neu ist die Idee, dass im Rahmen der Kooperation über diese Entwicklung mit all ihren Schwierigkeiten und Herausforderungen berichtet und nicht nur im stillen Kämmerlein getüftelt wird.
Wissenschaftlich begleitet wurde die Entwicklung eines Prototypen von der Fakultät Textil & Design der Hochschule Reutlingen. Partner vor Ort ist das kenianische Recycling-Startup Africa Collect Textiles (ACT). „Wir sind nicht die Müllhalde der Welt“, sagt Alex Musembi, Mitgründer von ACT, welches die alten Schuhe in Kenia sammelt. „Ein Recycling-Sneaker, der vor Ort hilft, das Problem zu bekämpfen ist überfällig und kann zu einem Teil der Lösung werden.“
Die Marke GRND, die den Sneaker nun über den Prototyp hinaus mithilfe des Crowdfundings verwirklichen möchte, ist ein gemeinsames Projekt von Flip und MONACO DUCKS. Das Ziel: Aus der Idee eine echte Unternehmung machen.
Für die Produktion (auch im größeren Stil) werden die alten Schuhe in Kenia gesammelt. Die Sohle und der Oberschuh werden in Portugal nach europäischen Standards gefertigt. Dafür arbeiten Flip und MONACO DUCKS mit den Unternehmen For Ever und Kyaia zusammen. Die Produktionshallen beider Unternehmen wurden laut eigenen Angaben im September 2022 vor Ort persönlich begutachtet.
„Perspektivisch wollen wir noch größere Teile der Wertschöpfung nach Afrika verlagern. Das ist aber gar nicht so einfach, weil die dafür nötigen Strukturen zum Teil noch aufgebaut werden müssen“, meint Felix Rohrbeck. Auch dazu soll das Crowdfunding beitragen.
„Unsere Hoffnung (…) ist, die Menschen vor Ort zum einen bei der Bekämpfung des Müll-Problems unterstützen zu können und zum anderen auch Einkommensperspektiven zu schaffen.“
Felix Rohrbeck (Flip)
Sneaker-Sohlen: Upcycling aus alten Schuhen
Das Recycling von Meeresplastik, wie es in Produkten anderer Firmen verwendet wird, ist sehr aufwändig. Dabei wird dem Plastik oft vorgeworfen, es sei weniger nachhaltig, als es zunächst den Anschein erweckt. Entsprechend standen bereits Mode- und Schuhlabels in der Kritik und es wurde der Vorwurf von Greenwashing laut. Was macht die Produktion der Marabu Sneaker im Vergleich dazu nachhaltiger?
Anders als bei Meeresplastik werden für die Sneaker laut Flip Schuhe aus Kenia verarbeitet, die nicht aus einem Fluss oder von der Müllkippe geholt wurden, wo sie bereits verunreinigt worden sein könnten. Außerdem sind die Schuhe laut eigenen Angaben keinem Salz ausgesetzt, wie es bei Meeresplastik der Fall ist. Die Reinigung der Schuhe, die für die Marabu Sneaker recycelt werden, ist also mit wesentlich weniger Aufwand verbunden.
Der Grundgedanke ist aber, die Schuhe erst gar nicht auf einer der illegalen Deponien landen zu lassen und sie schon vorher abzufangen, um daraus neue Sneaker herzustellen. In Zusammenarbeit mit dem Startup Africa Collect Textiles (ACT), das in Nairobi Sammelcontainer aufstellt, werden so Schuhe für die Weiterverarbeitung eingesammelt. Diese werden „lediglich zerhäckselt und dann in der Sohle verarbeitet“, müssen dafür aber „nicht aufwendig gereinigt und aufbereitet werden“, wie Felix Rohrbeck von Flip erklärt.
Die Sohle des Sneaker besteht laut Angaben von Flip zu rund 25 Prozent aus dem Müll-Granulat. Für den Rest der Sohle wurde extra für den Sneaker ein möglichst umweltfreundlicher Materialmix entwickelt, der zu rund 90 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen besteht (60 Prozent Naturkautschuk, 30 Prozent Reisschalenasche). Bei der Reisschalenasche handelt es sich um ein recyceltes Produkt, beim Naturkautschuk nicht.
Warum bestehen die Schuhe nicht zu 100 Prozent aus Recyclingmaterial?
Drei Dinge waren nach Aussage Flips bei der Entwicklung des Schuhs wichtig:
1. Es sollten so wenig unterschiedliche Komponenten wie möglich verwendet werden, weil das ein späteres Recycling des Sneakers vereinfacht. Insgesamt kommen nur 15 verschiedene Komponenten zum Einsatz.
2. Es sollten so viele Komponenten wie möglich aus recyceltem Material bestehen. Von den insgesamt 15 Komponenten ist das bei 13 der Fall.
3. Für das Nähgarn und die Polsterung wurde auf recyceltes Material verzichtet, weil die Eigenschaften des recycelten Materials den Ansprüchen an Qualität und Langlebigkeit nicht genügt haben.
Dass der Schuh nicht zu 100 Prozent aus recycelten Materialien besteht, ist in der Haltbarkeit begründet, die den Schuh insgesamt nachhaltiger machen soll. Zugunsten der Langlebigkeit werden deshalb für die Produktion auch nicht-recycelte Stoffe verwendet, wenngleich nur in geringen Anteilen.
Im Grunde gilt hier dasselbe wie bei der Sohle, wie Felix Rohrbeck erklärt: „Wir haben dann auf recycelte Materialien verzichtet, wenn ansonsten die Qualität und Haltbarkeit des Sneakers gelitten hätten.“
Volle Transparenz, um es besser zu machen
Es scheint zunächst ungewöhnlich, dass Journalist:innen die Entwicklung eines Sneakers begleiten. Rohrbeck beschreibt dies als komplettes Neuland und meint zugleich, „wenn man andere kritisiert und ganz genau hinschaut, müssen die gleichen Maßstäbe auch für einen selber gelten. Das war uns von Anfang an klar und Teil der Herausforderung“. Kritisch nachzufragen ist dem Rechercheteam ebenso wichtig wie den involvierten Wissenschaftler:innen.
„Man kann den Menschen die komplizierte Wirklichkeit durchaus zumuten. Sie ist sogar richtig interessant.“
Felix Rohrbeck (Flip)
Bei der Entwicklung des Prototyps haben sich die Kooperationspartner zum Anspruch gemacht, möglichst transparent zu sein. Das bedeutet auch, nicht zu verschleiern, dass sie nicht „den perfekt nachhaltigen Sneaker entwickelt hätten“, wie Rohrbeck anmerkt. „Den gibt es schlicht nicht. Und „nachhaltig“ kann bei Sneakern auch ganz unterschiedliche Dinge bedeuten.“ Mit dem Sneaker wollen die Beteiligten zum einen auf das Müll-Problem in Afrika aufmerksam machen, aber auch künftig im Kleinen dazu beitragen, es zu bekämpfen. Dabei soll der Sneaker so kreislauffähig wie möglich sein und daran wolle man sich laut Rohrbeck auch messen lassen.
„Insgesamt lautet unsere Strategie: volle Transparenz. Wir berichten offen und ehrlich schon über die Entwicklung des Prototypen, mit all ihren Schwierigkeiten und Trade-Offs. Bei anderen kritisieren wir ja auch nicht, dass sie nicht perfekt sind. Wir kritisieren, wenn große Versprechen gegeben werden, die nicht stimmen oder nicht belegt werden können. Wir wollen zeigen: Das muss nicht sein.“
Mehr zum Sneaker-Projekt erfährst du bei Flip. Dort kannst du dich auch für einen regelmäßigen Newsletter anmelden.
Das Crowdfunding für GRND beginnt am Dienstag, den 04. Oktober um 8 Uhr auf Kickstarter.
Für einen Betrag zwischen 99 Euro und 129 Euro erhalten Unterstützer:innen ein Paar
MARABU-Sneaker, sobald diese produziert wurden.
Ebenfalls interessant: Warum guter Journalismus wichtig ist für eine bessere Welt, hat uns Felix Rohrbeck von Flip in einem Podcast-Gespräch erklärt:
** mit ** markierte oder orange unterstrichene Links zu Bezugsquellen sind teilweise Partner-Links: Wenn ihr hier kauft, unterstützt ihr aktiv Utopia.de, denn wir erhalten dann einen kleinen Teil vom Verkaufserlös. Mehr Infos.War dieser Artikel interessant?