Zertifizierte Schokolade ist gut, aber nicht gut genug, sagt das aktuelle Kakao-Barometer: Manager verdienen kaum weniger als ihre Konzerne in nachhaltige Schokolade investieren. Der Markt konzentriert sich weiter, der Schokoladenpreis spiegelt nicht mehr die realen Herstellungskosten wider. Das macht Kakao auf lange Sicht kaputt.
Schokolade ist beliebt, kein Supermarkt ohne ein eigenes Regal voller Schokoriegel und anderer Süßigkeiten. Der Weltkonsum steigt, zugleich gedeiht Kakao nur in einem schmalen Bereich in den Tropen. Würden übliche Marktgesetze gelten, müssten wir also viel Geld für die knappe Ware zahlen. Das Gegenteil ist der Fall: Schokolade ist viel zu billig. Und von dem, was der Kunde zahlt, kommt kaum was bei den Produzenten an.
Trotz zahlreicher Nachhaltigkeitsinitiativen und Selbstverpflichtungserklärungen von Schokoladenunternehmen wie Ferrero oder Mars liegt das Pro-Kopf-Einkommen der meisten Kakaobauernfamilien immer noch weit unter der Armutsgrenze, so das aktuelle „Kakao-Barometer“ in der deutschen Fassung (PDF) von Südwind Institut und Inkota, das jährlich Nachhaltigkeitsentwicklungen im Kakaosektor kritisch beleuchtet.
„Die Jahreseinkommen von GeschäftsführerInnen der großen Schokoladenhersteller sind häufig nicht viel geringer als die gesamten finanziellen Beiträge der Unternehmen für einen nachhaltigen Kakaoanbau“, bemerkt das Kakao-Barometer spitz und rechnet vor, dass „nur ein Prozent des Marketing-Budgets der größten Schokoladenhersteller (86 Millionen US-Dollar pro Jahr) die Kosten für die Weiterbildung von 430.000 Bäuerinnen und Bauern an der Côte d’Ivoire“ (Elfenbeinküste) decken würde.
Wertschöpfung, Marktmacht und Kinderarbeit
Das meiste Geld verdienen nicht die Bauern: 44,2 Prozent des mit Kakao verdienten Geldes steckt demnach schon der Einzelhändler ein, also zum Beispiel unsere Supermarktketten – die Verfasser des Papiers raten deswegen, den Einzelhandel stärker in die Diskussion über nachhaltigen Kakao einzubinden. 35,2 Prozent erhalten die Hersteller, also die Konzerne, die aus den Rohstoffen „Markenprodukte“ machen. Und dann wird’s schon dünn: Die Verarbeiter erhalten nur noch 7,6 Prozent und der Transport 6,3 Prozent. Ganze 6,6 Prozent bleiben beim Anbau, also den Bauern.
Möglich macht das auch die hohe Marktkonzentration. So vereinen die sechs größten Schokoladenfirmen vierzig Prozent des Marktes auf sich. Acht Händler und Vermahler kontrollieren drei Viertel des Welthandels mit Kakao. Und nach anstehenden Fusionen werden in Zukunft wohl nur noch zwei Verarbeiter 70 bis 80 Prozent der weltweit produzierten Industrieschokolade herstellen. Bei solch mächtigen Oligopolen fragt man sich ein wenig, warum die großen Unternehmen gleichzeitig behaupten, sie könnten an den bestehenden Verhältnissen wenig bis nichts ändern. Wer denn sonst?
Das äußerst lesenswerte Kakao-Barometer 2015 spricht auch andere Probleme an. So kennt beispielsweise niemand die genaue Menge des real zertifizierten Kakao, weil es auch mehrfach zertifizierten Kakao gibt. Auch stehen zwar die Regierungen der kakaoproduzierenden Länder dem Problem der Kinderarbeit heute offener gegenüber als früher, dennoch scheint es auf Gemeindeebene teils auch deswegen schwer zu sein, Kinderarbeitsverbote durchzusetzen, weil dort Verwirrung darüber herrscht, wo die erlaubte Mitarbeit von Kindern endet und wo verbotene Kinderarbeit beginnt.
Schwer vermittelbare Probleme und Intransparenz
Einige Zusammenhänge sind sehr komplex und lassen sich nicht einfach einem Marktteilnehmer in die Schuhe schieben. Ein Beispiel: Unternehmen, die versuchen, Dinge besser zu machen, arbeiten oft nicht transparent. Sie müssten dann nämlich zugeben, dass Armut und Kinderarbeit trotz Bemühungen immer noch sehr reale Probleme sind. Das wiederum wäre ein gefundenes Fressen für NGOs und Medien, die dann ja stets zu extrem harscher Kritik und vorwurfsvollen Schlagzeilen neigen. Weil die natürlich keiner haben will, bleibt die Branche lieber intransparent – doch genau deswegen fehlt ein übergreifender Austausch von Informationen und Erfahrungen. Infolgedessen weiß kaum jemand, welche Lösungsansätze tatsächlich funktioniert haben, welche nichts bewirkten, welche sich als als kontraproduktiv erwiesen haben.
Der Report wünscht sich daher mehr Zusammenarbeit und offene Kommunikation, damit sich Lernerfahrungen auf breiter Basis durchsetzen können. Denn bislang gäbe es einfach nicht genug unabhängige Evaluierungen von Unternehmensprojekten durch unabhängige Stellen, um die Wirkung einzelner Konzerninitiativen angemessen beurteilen zu können.
Wir müssen mehr für die Kakaoproduzenten tun
Das Kakao-Barometer rät nicht von Zertifizierungen ab, im Gegenteil. Eine Empfehlung lautet, dass die Unternehmen sich zum hundertprozentigen Einkauf von nachhaltig produziertem und unabhängig zertifiziertem Kakao verpflichten sollten.
Es reiche aber nicht, nur Produktivität und Ernteerträge zu steigern (was bei vielen Zertifizierungsprogrammen der Fall ist), dringend müsse man auch in die Infrastruktur der Kakaoanbauländer investieren. „Der Anbau muss diversifiziert werden, es muss Weiterbildungen geben und der Kakaopreis, den die Bäuerinnen und Bauern erhalten, muss erhöht werden“, so Friedel Hütz-Adams vom Südwind Institut.
Auch die Kampagne Make Chocolate Fair! fordert ein existenzsicherndes Einkommen für Kakaobäuerinnen und -bauern. Mehr als 100.000 Menschen aus ganz Europa haben die Petition der Kampagne bereits unterzeichnet und sich für faire Bedingungen im Kakaoanbau ausgesprochen. Mitmachen geht hier: Make Chocolate Fair!
Kakao-Barometer downloaden: hier (PDF)
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