Kino-Tipp: Welcome to Sodom – Dein Smartphone ist schon hier Von Andreas Winterer Kategorien: Wissen & Technik Stand: 13. August 2018, 08:00 Uhr Filmstill: Welcome to Sodom / Camino Filmverleih Die Filmdoku „Welcome to Sodom“ zeigt uns das ungeheure Ausmaß illegaler Elektroschrott-Entsorgung – als menschlich anrührendes Portrait der Arbeiter einer Elektro-Müllkippe in Ghana. Es klingt so gut, so sauber, so problemlösend: Elektroschrott entsorgen. Doch die Wahrheit ist viel dreckiger – und kann zum Beispiel in Ghana besucht werden. Das haben für uns die Regisseure Florian Weigensamer und Christian Krönes getan. Mit ihrem Team zeigen sie uns in der Filmdoku „Welcome to Sodom“ (Kinostart 2. August, Previews teils schon ab 31. Juli) den Westen der Hauptstadt Accra: Dort gibt es im Stadtteil Agbogbloshie eine Stätte, die schon vor Jahren zu „einem der schmutzigsten Orte der Welt“ gewählt wurde – die Elektroschrotthalde. Welcome to Sodom Diesen Teil von Accra betreten nur jene, die es müssen – und im Volksmund heisst der Stadtteil Agbogbloshie auch nur „Sodom“. Es wird empfohlen, sich nicht länger als zwei Stunden an diesem Ort aufzuhalten. Unter anderem auf dieser Mülldeponie landen unsere Computer, Monitore und anderer Elektroschrott aus illegaler, nicht fachgerechter Entsorgung. Während sich Europa neuerdings über die Flüchtlingskrise aufregt, lebt man dort schon seit Jahren mit der Elektroschrottkrise. Welcome to Sodom: hier leben die Menschen auch mit ihren Nutztieren direkt im Elektroschrott (Filmstill: Welcome to Sodom / Camino Filmverleih) In Ghanas Hauptstadt landen die nicht mehr gewünschten Abfälle einer immer moderneren, digitaleren, fortschrittlicheren Welt. Denn allein Deutschland exportiert ca. 400.000 Tonnen Elektroschrott illegal nach Afrika, so die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Weltweit sind es Millionen Tonnen an Elektronikschrott, die jährlich aus den fortschrittsgläubigen Industrienationen abgeschoben werden – allein etwa 250.000 Tonnen davon wandern nach Sodom. Und während die steuervermeidenden Technik-Konzerne selbst bei den ärmeren Konsumenten der reichen Staaten inzwischen den jährlichen Handy-Wechsel etabliert haben, wühlen in Ghana unter freiem Himmel Kinder und Jugendliche in Technik-Müll – und versuchen, damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dein Smartphone ist schon hier Es sind Bilder wie diese, die der Dokumentarfilm „Welcome to Sodom – Dein Smartphone ist schon hier“ uns eindringlich und ohne Kommentarspur vor Augen führt. Dein Smartphone ist schon hier, weil du garantiert schon dein zweites oder drittes Handy benutzt – und die Chance nicht klein ist, dass dein altes in Müllkippen wie dieser „entsorgt“ wurde. Oder dein Computer, dein Kühlschrank, deine Mikrowelle. Jährlich 250.000 Tonnen Elektroschrott landen allein in Agbogbloshie (Filmstill: Welcome to Sodom / Camino Filmverleih) Wir sind die Sorgen los – indem wir sie in Länder in Afrika migrieren lassen. Unser Schrott ist dort noch was wert, enthält er doch zahlreiche Rohstoffe wie Eisen, Aluminium und Kupfer. Doch von unseren Arbeitsschutz- und Umwelt-Vorschriften können die etwa 6.000 Ghanaer nicht mal träumen. Um an das Metall von zum Beispiel Kabeln zu kommen, wird deren Plastikmantel einfach abgefackelt – in pechschwarzen Rauchwolken, über deren Giftigkeit man sich keine Illusionen machen sollte. Feuer ist in Sodom eine gängige Methode, Metalle aus Elektroschrott zu gewinnen (Filmstill: Welcome to Sodom / Camino Filmverleih) Die Trennung der Wertstoffe findet in Sodom unorganisiert und unsachgemäß statt, teils mit Hilfe von offenem Feuern. Die hochgiftigen Dämpfe aus den Bauteilen werden in keiner Weise gereinigt. Menschsein in der Elektro-Apokalypse Welcome to Sodom lässt die Zuschauer hinter die Kulissen von Europas größter Müllhalde mitten in Afrika blicken. Der Film portraitiert die Verlierer des Digitalzeitalters und zeigt, wie Menschen am ganz untersten Ende der globalen, digitalen „Wertschöpfungskette“ leben. Dabei drückt die Dokumentation keineswegs anklagend auf die Schock-Tränendrüse, sondern zeigt vor allem, wie in Sodom Männer, Frauen und Kinder arbeiten, und wie sich jeder einzelne von ihnen fantasiereich auf die apokalyptischen Zustände um sie herum eingestellt hat. Das ist auch das einzige Manko des Films: Er läßt den Zuschauer oft mit den Bildern allein, gibt verdammt wenig Erklärungen, teilweise erst ganz am Ende. Man erfährt zum Beispiel nicht, wie groß das Areal ist, auf dem sich alles abspielt, und wie viele Leute dort leben und arbeiten. Die Menschen der Elektromüllkippe verstehen sich oft als Geschäftsleute (Filmstill: Welcome to Sodom / Camino Filmverleih) Besonders spannend: Die vorgestellten Menschen schildern uns ihre Sicht der Dinge. So sagt einer „Schickt mehr Geräte – das ist gut fürs Geschäft!“. Während wir das Ganze also vor allem mit Bestürzung betrachten, sind die Leute dort stolz, hart zu arbeiten und sehen Sodom als Möglichkeit, sich zu versorgen – trotz der Risiken für die Gesundheit. Das Team von „Welcome to Sodom – Dein Smartphone ist schon hier“ hat knapp zwei Monate lang auf der Müllkippe verbracht und ist dabei den Menschen sehr nahe gekommen. Und weil der Film uns zeigt, dass auch Menschen mitten im giftigen Armageddon noch etwas Glück finden können und neben „Sodom“ auch noch ein anderes Leben haben, sollten wir besonders gründlich darüber nachdenken, ob unser eigenes Glück wirklich vom neuesten Technik-Gadget abhängt. Vielleicht der wichtigste Dokumentarfilm des Jahres. Kinostart: 2. August 2018, derzeit noch in Kinos bis mindestens September Infos: www.welcome-to-sodom.de Kinofinder: www.welcome-to-sodom.de/#kinofinder Es wird empfohlen, sich nicht länger als 2 Stunden an diesem Ort aufzuhalten, der als einer der giftigsten der Erde gilt (Filmstill: Welcome to Sodom / Camino Filmverleih) „Es erschlägt einen alles, wenn man Agbogbloshie betritt. Der Lärm, die Arbeitsbedingungen, der Dreck, man hat ständig einen metallischen Geschmack im Mund, man hat keinerlei Orientierung auf diesem endlosen Areal“, erzählen die Regisseure Christian Krönes und Florian Weigensamer. „Die ankommenden Container sind voller Bildschirme und Computer, keiner kann kontrollieren, was davon funktionsfähig, was davon nicht mehr verwendbar ist. Es ist eine sehr billige Weise, das Zeug loszuwerden. Eine fachgerechte Entsorgung in Europa wäre um ein Vielfaches teurer.“ Was kann ich dafür? Nicht unser Problem? Leider doch: „In Deutschland werden mittlerweile knapp zwei Millionen Tonnen Elektrogeräte pro Jahr in Verkehr gebracht. 2016 wurden aber nur etwa 700.000 Tonnen ordnungsgemäß erfasst und recycelt“, kritisiert Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Doku: Welcome to Sodom (Bild: Camino Filmverleih) Schuld ist der Verbraucher, der einfach wegschmeisst, aber auch der Handel, der beim Verkauf dabei sein will, sich bei der Entsorgung aber oft aus der Verantwortung stiehlt. Aktuelle Testbesuche der DUH im Handel ergaben massive Rechtsverstöße bei Apple, Hagebau, Kaufland und Co. Resch fordert die Bundesländer auf, endlich Kontrollen durchzuführen und bei Verstößen konsequent Bußgelder zu verhängen. „Es liegt unter anderem an den nicht ausreichenden Rücknahmebemühungen der Vertreiber. Diese haben in 2016 trotz einer gesetzlichen Verpflichtung nur rund 70.000 Tonnen Elektroschrott zurückgenommen. In der Konsequenz befördert die Verweigerungshaltung des Handels auch den illegalen Export von Elektrogeräten nach Afrika“ – und führt dort zu den kranken Menschen und den verseuchten Landschaften, die uns Welcome to Sodom zeigt. Weiterlesen auf Utopia.de: 13 Bilder, die zeigen, warum wir unseren Konsum dringend ändern müssen Altes Handy entsorgen: Elektrogeräte kostenlos per Post recyclen Handy – Krieg und Verwüstung in der Hosentasche ** mit ** markierte oder orange unterstrichene Links zu Bezugsquellen sind teilweise Partner-Links: Wenn ihr hier kauft, unterstützt ihr aktiv Utopia.de, denn wir erhalten dann einen kleinen Teil vom Verkaufserlös. Mehr Infos. War dieser Artikel interessant? 32 0 Vielen Dank für deine Stimme! Verwandte Themen: Müll Smartphone HOL DIR DEN UTOPIA NEWSLETTER Leave this field empty if you're human: