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Nach Hassgesängen auf Sylt: Wie kann ich als Beobachter:in von Hetze reagieren?

Was tun bei Hetze?
Foto: CC0 / Unsplash / Joel Reyer (Symbolbild)

Ein Video von Feiernden auf Sylt geht gerade durch ganz Deutschland. „Ausländer raus, Deutschland den Deutschen“ wird darin gegrölt. Die Amadeu-Antonio-Stiftung gibt Tipps, wie man sich in solchen Situationen am besten verhält.

Einerseits will man helfen, andererseits will man sich keiner Gefahr aussetzen – zu entscheiden, wie man als Zeuge von Diskriminierung reagiert, ist nicht einfach. Ein Video von rassistischen Gesängen auf Sylt macht das Thema präsenter denn je. Robert Lüdecke, Pressesprecher der Amadeu-Antonio-Stiftung, gibt im Gespräch mit Utopia Tipps. Die Stiftung setzt sich für die Stärkung einer demokratischen Zivilgesellschaft ein, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet.

Nach den Vorfällen auf Sylt sei es laut Lüdecke besonders wichtig, Haltung zu zeigen – im Internet, in Familienkreisen oder auf der Arbeit. Das könne man tun, indem man das Thema anspricht oder das Video beispielsweise nicht weiter in den Sozialen Medien teilt. „Man muss nicht dabei gewesen sein, um Zivilcourage zu zeigen“, stellt Lüdecke klar.

Tipp vom Profi: Situation durch Irritation auflösen

Ist man es doch, gibt es mehrere Möglichkeiten, mit der Situation umzugehen. „Die beste Vorbereitung ist, solche Situationen mal im Kopf durchzuspielen“, empfiehlt Lüdecke. In der Situation selbst sei es besonders wichtig, diese so schnell wie möglich zu beenden. Das könne durch jede Art von Irritation erreicht werden. Konkrete Konfrontation ist oft gar nicht nötig, erklärt der Vertreter der Stiftung. „Wie man am besten irritieren könnte, muss sich jeder selbst überlegen. Das kann durch unverfängliche Rufe sein oder dadurch, dass ich ein anderes Lied anstimme.“

Je nachdem, wie man die Täter:innen wahrnimmt, könne man sie auch auf ihr Verhalten ansprechen. „Auf Sylt hätte ich mich das vermutlich getraut, bei Neonazis, die auf einem Dorffest patrouillieren wahrscheinlich eher nicht“, sagt Lüdecke. Dabei wichtig: Es sollte immer eine sprachliche Distanz geschaffen werden, indem man die Personen siezt. Das zeigt Außenstehenden, dass es sich nicht um einen Konflikt unter Freunden handelt. Außerdem sollte man die Personen nicht verbal angreifen und deshalb statt Sätzen wie „Du machst das falsch“ besser so etwas sagen wie „Ich fühle mich in dieser Situation unwohl“.

Um Gefahr zu vermeiden, sei es außerdem immer ratsam, sich Unterstützung und Mitstreiter:innen zu suchen. Das können Freund:innen sein, aber auch Fremde. „Die Erfahrung zeigt: Wenn Leute direkt um Hilfe gefragt werden, entziehen sie sich der Situation eigentlich nicht“, sagt Lüdecke. Nur traue sich oft keiner, den ersten Schritt zu machen.

Erste Anlaufstelle: Personen, die für die Veranstaltung verantwortlich sind

Sind Mitstreiter:innen gefunden, macht es Sinn, gemeinsam nach verantwortlichen Personen zu suchen und diese auf den rassistischen Vorfall aufmerksam zu machen. Das können Veranstalter:innen oder auch das Security-Personal sein. Diese können die Situation oft schneller auflösen, als ein Anruf bei der Polizei. Werden konkrete Straftaten beobachtet, sollte dennoch die Polizei eingeschaltet werden. „Das sehe ich zum Beispiel mit dem Hitlergruß im Video ganz klar erfüllt“, so Lüdecke.

Ob es sich bei den Gesängen generell um eine Straftat handelt, sei jedoch gar nicht eindeutig zu klären. Denn was hier greifen würde, sei der Straftatsbestand der Volksverhetzung. „Der wird aber sehr individuell von Gerichten bewertet.“ Ausschlaggebend sei vor allem der Effekt: Wird durch den Vorfall eine Masse angestachelt und zum Handeln aufgerufen? Dann werde der Straftatbestand erfüllt.

Im Fall Sylt könne man darüber durchaus diskutieren. „Durch das aufgenommene Video wird eine breite Masse erreicht. Dass die Sänger:innen das Video überhaupt aufgenommen haben zeigt, dass sie die Botschaft gut finden und verbreiten wollen“, hält Lüdecke fest. Und das Video zeigt auch Wirkung: Auf Veranstaltungen in mehrere Städten Deutschlands wurden die Gesänge bereits imitiert.

Gibt es ein direktes Opfer, ist Zivilcourage umso wichtiger

Das sei zwar rassistisch und diskriminierend, richtete sich aber in den genannten Fällen nicht an Einzelpersonen. Wenn das passiert, ist Zivilcourage noch viel wichtiger. „In solchen Situationen ist es wichtig, das Opfer anzusprechen, nicht den Täter“, empfiehlt der Pressesprecher. Dabei solle man ganz klar formulieren, dass man auf der Seite des Opfers steht. Auch fragen wie „Brauchst du Hilfe?“, „Was kann ich tun?“ sind sehr wichtig.

Hier gilt ebenfalls: Täter:innen durch Irritation verunsichern, um die Situation aufzulösen. Beispielsweise indem man sie laut und bestimmt anspricht und sie siezt. „‚Stopp! Lassen Sie das‘ könnte so eine Irritation sein“, schlägt Lüdecke vor. Unabhängig davon, wie die Situation endet, sei es sinnvoll, weiterhin bei der betroffenen Person zu bleiben. Das könne dieser viel Sicherheit geben.

Egal in welcher Situation – oberste Priorität sollte laut Lüdecke immer die eigene Sicherheit haben. Einen konkreten Handlungsplan gibt es also nicht – wichtiger sei immer situationsbedingt zu entscheiden und vor allem zu schauen, was man sich selbst zutraut.

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