Die erste Booster-Impfung ist schon eine ganze Weile her. Derzeit steigen die Infektionszahlen wieder – und Herbst und Winter kommen auch noch. Ist es an der Zeit für eine vierte Corona-Impfung?
Während die Ständige Impfkommission (Stiko) bisher noch eine Impfung für Menschen über 70 Jahre empfiehlt, spricht sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auch für einen zweiten Booster für Jüngere Menschen aus. Für wen ist die vierte Impfung denn nun sinnvoll? Welche Risiken birgt die vierte Impfung? Und wie gut hält der erste Booster noch? Utopia beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wem wird eine zweite Auffrischungsimpfung empfohlen?
Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt eine zweite Booster-Impfung bislang vier Personengruppen. Dazu zählen alle ab 70 Jahren sowie Menschen, die von einer Immunschwäche betroffen sind.
Zudem gilt die Empfehlung für Bewohner:innen von Pflegeheimen und für alle, die in medizinischen oder pflegerischen Einrichtungen tätig sind.
Gilt die Empfehlung, weil man gesundheitlich gefährdet ist, sollte man die vierte Impfung frühestens drei Monate nach der dritten bekommen. Bei medizinischem Personal sollten laut Stiko mindestens sechs Monate verstrichen sein.
Lauterbach sprach sich gegenüber dem Spiegel für eine vierte Impfung gegen Corona für Menschen unter 60 Jahren aus, nach Rücksprache mit dem Arzt. Wolle man den Sommer ohne das Risiko einer Erkrankung genießen, dann würde er „in Absprache natürlich mit dem Hausarzt auch Jüngeren die Impfung empfehlen„, so der SPD-Politiker gegenüber dem Spiegel. Mit der zweiten Booster-Impfung habe man „eine ganz andere Sicherheit“. Sie verringere das Infektionsrisiko für ein paar Monate deutlich. Auch das Risiko, an Long Covid zu erkranken, sei deutlich geringer.
Wenn ich nicht unter die Stiko-Empfehlung falle: Wie finde ich heraus, ob sich ein zweiter Booster für mich lohnt?
Eine klare Antwort auf diese Frage gibt es derzeit nicht – es führt kein Weg daran vorbei, seine persönliche Situation abzuwägen.
Klar ist aber: Mit der Zeit nimmt die Immunität gegen Covid-19 ab. „Es gibt nicht den vollständigen oder gar keinen Schutz, sondern der Schutz liegt abgestuft dazwischen“, sagt der Infektiologe Christoph Spinner. Er ist Oberarzt und Infektiologe am Universitätsklinikum rechts der Isar der Technischen Universität München.
Nach seiner Aussage besteht der beste Impfschutz ein bis drei Monate nach der dritten Impfung. Danach baut er ab – aber nicht bei jedem Menschen im gleichen Maße und Tempo.
„Bei Älteren lässt der Schutz schneller nach, weil ihr Immunsystem nicht mehr so gut durch Impfungen trainierbar ist wie das jüngerer Menschen“, erklärt Spinner, der auch zu Corona-Impfstoffen forscht.
Chronisch Kranke und immungeschwächte Menschen sprechen generell schlechter auf die Impfung an und verlieren auch den Schutz schneller, so der Infektiologe. Für sie ist eine vierte Impfung oder gar fünfte Impfung somit eher sinnvoll.
Laut Prof. Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover kann es auch vom Geschlecht abhängen, wie sich der Impfschutz im Laufe der Zeit verhält: Bei Männern nimmt er im Durchschnitt schneller ab als bei Frauen.
Der Direktor der Klinik für Pneumologie rät dazu, nicht mit falschen Erwartungen auf eine vierte Impfung zu blicken. „Die Impfung schützt vor schwerer Erkrankung zwar immer noch sehr, sehr zuverlässig“, sagt Welte.
Aber die derzeit zirkulierenden Omikron-Varianten sind leicht übertragbar. „Bei BA.5 liegt beispielsweise auch nach drei Impfungen die Schutzwirkung vor einer Infektion inzwischen bei unter 20 Prozent“, sagt Welte.
Man sollte an den zweiten Booster besser nicht die Erwartung heften, so eine Infektion komplett vermeiden zu können.
Kann ich herausfinden, wie gut mein Impfschutz derzeit ist, um daraus meine Entscheidung abzuleiten?
Nein. „Man kann nicht in der Breite die Antikörperspiegel messen, um daraus die Entscheidung für eine weitere Impfung zu ziehen“, sagt Tobias Welte. Wann genau sich für einen persönlich eine weitere Auffrischung anbietet, lässt sich nicht ermitteln.
Am Ende hängt die individuelle Entscheidung auch daran, welches Infektionsrisiko man durch seinen Lebensstil hat – und wie viel Kontakt man im Alltag mit vulnerablen Menschen hat.
„Wenn die letzte Impfung sechs Monate her ist und jemand nun im Sommer auf Festivals oder Großveranstaltungen gehen will, ist eine weitere Impfung wahrscheinlich ratsam“, sagt Christoph Spinner. „Wer von zu Hause aus arbeitet und außerhalb von Familie und Freunde wenig Kontakte hat, kann sicher noch etwas warten.“
Für den Münchner Infektiologen steht eines fest: Vor dem Oktoberfest gibt es für ihn einen weiteren Booster – und zwar mit zwei bis vier Wochen Vorlauf, damit sich der Impfschutz pünktlich zum Wiesn-Start aufgebaut hat.
Stichwort Timing: Auch das kann bei der individuellen Entscheidungsfindung eine Rolle spielen. „Wenn wir die wirklich starke Fallzahlen-Steigerung erst im Herbst bekommen, haben die jetzt Geimpften nicht mehr den besten Schutz“, sagt Welte.
Kann es denn für mich von Nachteil sein, wenn ich mich noch einmal boostern lasse?
„Eine zweite Booster-Impfung ist auf keinen Fall ein Fehler, wenn die erste mindestens drei Monate zurückliegt“, sagt Christoph Spinner. Allerdings: Wie groß der Nutzen ist, hängt vor allem davon ab, ob man einer Risikogruppe angehört und wie lange die letzte Impfung her ist.
Folgen die dritte und vierte Impfung zu schnell aufeinander, bringt das allerdings wenig Nutzen. „Darauf kann das Immunsystem aufgrund seiner begrenzten Kapazitäten gar nicht reagieren. Stimulieren Sie es weiter, kommt es zu keiner Reaktion mehr“, erklärt Tobias Welte. Auch Stiko-Chef Mertens sagte der Süddeutschen Zeitung dazu: „Das sind ja keine Lakritze, eine Impfung ist eine medizinische Maßnahme, ohne klare Indikation darf sie nicht erfolgen.“
Er rät dazu, einen Abstand von sechs Monaten zwischen dritter und vierter Impfung einzuhalten.
Und wenn ich mich nach der dritten Impfung bereits mit Omikron infiziert habe?
„Dann ist die Erkrankung quasi auch eine Art Booster“, sagt Welte. Wie lange die dadurch gebildeten Antikörper jedoch schützen, ist unklar. Aus seiner Sicht kann man in diesem Fall mit der vierten Impfung möglicherweise auch länger als sechs Monate warten. Doch auch hier gilt: Es fehlen Daten, um handfeste Empfehlungen zu geben.
„Allgemein lässt sich sagen: Jeder Kontakt mit den Virus – sei es durch Impfung oder Infektion – steigert die Immunität“, fasst Spinner zusammen.
Jedoch sagte die Immunologie-Professorin Christine Falk gegenüber der Süddeutschen Zeitung, dass bei jungen Menschen mit starkem Immunsystem unter Umständen eine vierte Impfung sogar dazu führen kann, dass sie sich nach der Corona-Infektion kränker fühlen als ohne die vierte Spritze. „Wenn man das Immunsystem so stark in Gefechtsbereitschaft versetzt, dann kann es passieren, dass es im Fall der Ansteckung entsprechend stark losfeuert“, so Falk.
Ergibt es Sinn, die vierte Impfung aufzuschieben – und auf die Omikron-Impfstoffe zu warten, die im Herbst kommen sollen?
Eine schwierige Frage, findet Infektiologe Spinner: „Man müsste ja das Risiko des Abwartens bis zur nächsten Impfung mit den möglichen Vorteilen des neuen Impfstoffs abwägen.“
Für die Expert:innen sind zu viele Fragen noch offen: Wie gut wirken die spezifischen Omikron-Impfstoffe – auch gegen andere, neue Varianten? Wann werden sie zugelassen? Im Zweifel ist also besser, mit dem zu arbeiten, was bereits da ist – den derzeit zugelassenen Impfstoffen.
Vor lauter Abwägen mit Blick auf den Herbst sollte man laut Tobias Welte eines nicht vergessen: die Grippeschutzimpfung. Laut dem Pneumologen ist es wahrscheinlich, dass uns im Herbst und Winter eine starke Grippewelle bevorsteht.
Gut zu wissen: „Beide Impfungen kann man an einem Tag machen – die Corona-Impfung in den einen Arm, die Grippeschutzimpfung in den anderen.“
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