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Gefahr durch Hitze: Wie die Bundesländer die Bevölkerung schützen

Hitzeplan
Foto: Ricardo Rubio/EUROPA PRESS/dpa; Utopia - JK

Durch den Klimawandel sind Hitzewellen Teil der Sommermonate geworden, sie werden immer wahrscheinlicher. Das wissen auch die Bundesregierung und die Bundesländer. Was aber wird aktuell unternommen, um die Bevölkerung zu schützen? Utopia hat sich die Hitzemaßnahmen aller 16 Länder angeschaut: ein gefährlicher Flickenteppich.

Hitze ist aktuell das größte durch den Klimawandel bedingte Gesundheitsrisiko für die Menschen in Deutschland. Allein im Jahr 2022 starben 4500 Menschen an Hitze. 2018 war der Sommer besonders heiß – mit 8700 Hitzetoten.

Erst kürzlich erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), Deutschland sei auf die Gefahr Hitzetod nicht gut vorbereitet. Bisher hätten nur wenige Kommunen Hitzeaktionspläne eingeführt, und nur selten seien Gesundheitsberufe daran beteiligt, warnte auch Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt.

Bereits vor drei Jahren hatte die Gesundheitsministerkonferenz der Länder beschlossen, „bis 2025 eine flächendeckende Erstellung von Hitzeaktionsplänen in Kommunen voranzutreiben“. Eine Pflicht solche Pläne zu erstellen, gibt es in Deutschland allerdings nicht. Das weiß auch Lauterbach, der den Bürger:innen am 13. Juni einen „Hitzeplan Deutschland“ mit konkreten Maßnahmen versprach – während die Außentemperaturen bereits die 30-Grad-Grenze überschritten hatten. Es wäre der erste bundesweite Hitzeaktionsplan, ob er allerdings verpflichtend umgesetzt werden muss, konnte das Bundesgesundheitsministerium auf Utopia-Anfrage nicht sagen.

Kurzum: Bürger:innen, insbesondere vulnerable Gruppen wie Ältere, Kinder oder Schwangere, müssen sich solange auf bestehende Hitzekonzepte verlassen. Diese wurden bislang aber nur von gut der Hälfte aller Bundesländer ausgearbeitet. Utopia wollte wissen: Was tun die jeweiligen Länder konkret, um die Menschen vor der Gesundheitsgefahr Hitze zu schützen?

Was ist ein Hitzeaktionsplan?

Zuallererst orientieren sie sich an den Handlungsempfehlungen des Bundes, die 2017 von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Gesundheit im Klimawandel“ unter Federführung des Bundesumweltministeriums (BMUV) erstellt wurden. Jene Empfehlungen sollen, so das formulierte Ziel, Gesundheitsfolgen vorbeugen. Länder und Kommunen können demnach anhand des Leitfadens des Bundes eigene Hitzekonzepte und -aktionspläne entwickeln. Bis zur Erstellung des von Lauterbach angekündigten „Hitzeplans Deutschland“ bleiben die Empfehlungen unberührt, teilte das BMUV Utopia mit.

Die Frage, ob und inwiefern sich die Relevanz der Handlungsempfehlungen des BMUV ändern, sobald das Bundesgesundheitsministerium seinen Hitzeplan vorstellt, konnte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums nicht beantworten. Währenddessen rollt die nächste Hitzewelle auf Deutschland zu.

Utopia hat sich deshalb die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung aller 16 Bundesländer angeschaut: Ob ein Hitzeaktionsplan und vergleichbare Schutzkonzepte vorhanden oder in Planung sind. Hessen ist bislang das einzige Bundesland, das den Empfehlungen des BMUV mit einem explizit eigenen Hitzeaktionsplan versucht gerecht zu werden. Andere Bundesländer warten mit Toolboxen oder Gutachten zum Hitzeschutz auf. In keinem Bundesland sind Maßnahmen, um die Gesundheitsgefahr für Bürger:innen zu minimieren, verpflichtend.

Vielmehr verlassen sich die Länder darauf, dass die Kommunen freiwillig Konzepte entwickeln und umsetzen. Eine Kontrolle durch eine zuständige Landesbehörde gibt es nicht. Eine transparente Übersicht, welche Kommunen in welcher Form ihre Bürger:innen schützen, sucht man ebenfalls vergeben. Mehr noch: Die Mehrheit der Länder sieht primär die Bürger:innen in der Pflicht, sich selbst adäquat vor Hitze abzusichern.

Welche Bundesländer schützen ihre Bürger:innen?
Welche Bundesländer schützen ihre Bürger:innen? (Grafik: Utopia)

Hessen als Vorreiter, andere Bundesländer hinken hinterher

Im Februar 2023 stellte das Hessische Ministerium für Soziales und Integration seinen landesweiten Hitzeaktionsplan vor. Auch er hat bislang einen Empfehlungscharakter. Demnach ist es für die Kommunen im Land nicht verpflichtend, die darin genannten Maßnahmen umzusetzen. Es drohen also auch keine Konsequenzen, sollten Kommunen keinen Hitzeschutz anbieten.

Thüringen, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen und Hamburg haben ebenfalls einen Hitzeaktionsplan in Vorbereitung oder vergleichsweise ähnliche Konzepte formuliert – sieben von 16 Ländern, wobei es auch hier Einschränkungen gibt: Einem Sprecher der Sozialbehörde Hamburg zufolge würde ein Hitzeaktionsplan bis frühestens Mitte 2024 fertig werden; Bremen wiederum hatte die Arbeit an einem Schutzkonzept aufgrund der Corona-Pandemie und Ressourcenmangel pausiert. Utopia teilte man mit, einen Hitzeaktionsplan bis Ende des Jahres finalisieren zu wollen.

Besonders auffällig: Brandenburg, das zu den am stärksten von Hitze betroffenen Regionen Deutschlands gehört, gab sich bislang mit einem Gutachten zufrieden. Das 300-seitige Papier dient bis dato als Entwurf für einen Hitzeaktionsplan sowohl auf Kommunal- als auf Länderebene. Anfang Juli erklärte das Umweltministerium, dass man sich besser auf den Klimawandel vorbereiten und daher einen Hitzeaktionsplan erstellen wolle. Brandenburg hat nach Berlin die meisten Hitzetage: Tage, an denen die Höchsttemperatur mehr als 30 Grad Celsius beträgt. Im vergangenen Sommer gab der Deutsche Wetterdienst (DWD) laut zuständigem Gesundheitsministerium an 18 Tagen Hitzewarnungen heraus. Für 2022 wurden 219 Hitzetote in Brandenburg gezählt – das sind mehr als doppelt so viele wie 2021 mit 111 Hitzetoten.

Ähnlich zurückhaltend sind die Maßnahmen in Thüringen und Bayern. Sogenannte Hitze-Toolboxen werden dort als Planungshilfen für Hitzeschutz-Maßnahmen angeboten, heißt es. Wie ein Sprecher des thüringische Gesundheitsministeriums Utopia mitteilte, sieht man dort die Toolbox als „Schritt zur Vorbereitung eines landesweitern Hitzeaktionsplans“. Dieser soll laut eigenen Aussagen bis 2025 fertig werden – im Gegensatz zu Bayern, wo ein landesweiter Hitzeaktionsplan laut zuständigem Gesundheitsministerium nicht in Vorbereitung ist.

Bevölkerungsstärkste Länder ohne flächendeckenden Hitzeschutz

Niedersachen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Nordrhein-Westfalen (NRW), Baden-Württemberg und das Saarland beabsichtigen weder landesweite Hitzeaktionspläne, noch haben sie vergleichbare Schutzkonzepte verwirklicht. Die ersten drei Bundesländer haben zudem nicht auf Utopia-Anfragen reagiert. Mit NRW (18 Millionen Menschen) und Baden-Württemberg (elf Millionen) haben Platz 1 und 3 der bevölkerungsstärksten Bundesländer keine flächendeckenden Strategien für bevorstehende Hitzewellen.

NRW, Sachsen und Baden-Württemberg erklärten auf Utopia-Anfrage, dass Hitzeaktionspläne besser innerhalb der Kommunen und Städte erarbeitet werden sollten. Schließlich könne man sich dort, so der Tenor, an die unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort anpassen. Im Saarland fordert die Grünen-Fraktion seit mehreren Jahren ein landesweites Schutzkonzept – ohne Erfolg. Wenig entschieden in der Sache wirkt auch die Antwort einer Sprecherin des zuständigen Gesundheitsministeriums. Sie teilte Utopia mit, die saarländische Regierung werde „in diesem Jahr alle notwendigen Prozesse starten, um die Erstellung einer Hitzestrategie schnellstmöglich voranzutreiben“.

Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein gehen noch einen Schritt weiter: Sie sehen nach eigenen Aussagen keine Notwendigkeit für eigene landesweite Hitzeaktionspläne. So erklärt das Gesundheitsministerium in Mecklenburg-Vorpommern, dass die „meisten Kommunen“ aufgrund „der landschaftlichen Lage und klimatischen Rahmenbedingungen“ nicht „so stark von gesundheitlich bedrohlichen Hitzerisiken betroffen“ seien wie Ballungsräume und große Städte in anderen Bundesländern.

Das Gesundheitsministerium in Schleswig-Holstein argumentiert auf Rückfrage von Utopia, das Bundesland sei im Gegensatz zu den südlich gelegenen Ländern seltener von Hitzeperioden betroffen. Dies gelte insbesondere für längere Hitzeperioden sowie Hitzeperioden mit Tropennächten, erklärte ein Sprecher. Dass das nicht so bleiben muss, zeigen Zahlen aus dem vergangenen Jahr. 2022 brach der Sommer in Schleswig-Holstein den bisherigen Hitzerekord dort. Dieser lag seit August 1992 bei 38 Grad am Lübeck-Blankensee, im Juli 2022 wurden in Grambek im Kreis Herzogtum Lauenburg 39,1 Grad gemessen.

Welche Handlungsempfehlungen des Bundes setzt welches Land wie um?

Die Handlungsempfehlungen des BMUV umfassen insgesamt acht Elemente, die einer Leitlinie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) folgen. Utopia gibt einen Überblick, welche Bundesländer den wichtigsten Kernempfehlungen in welchem Umfang folgen.

Koordinierung in Hitzephasen

Eine Kernempfehlung des Bundes sieht eine zentrale Koordinierungsstelle auf den Landesebenen vor. Ihre Aufgabe ist es, im Hitze-Akutfall kurz- sowie langfristige Maßnahmen einzuleiten. Auch einen Überblick über alle relevanten Institutionen vor Ort soll die angedachte Stelle haben, um etwa mit Gesundheitsbehörden Krisen zu managen. Der Bund empfiehlt außerdem, dass alle Koordinierungsstellen der Länder im Austausch miteinander stehen. Das Problem: Nicht alle Länder haben eine solche Stelle, um sich im Ernstfall zu koordinieren und zu unterstützen.

In den Bundesländern Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Hessen wurde bereits eine zentrale Koordinierungsstelle eingerichtet. Als solche agieren das Hessische Ministerium für Soziales und Integration (HMSI) und das Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen (LZG.NRW). Ohne eigenen Hitzeplan, aber mit Koordinierungsstelle berät das LZG.NRW „Kommunen in Fragen der Gesundheit und Gesundheitspolitik“, wie es heißt. Schließlich seien, so die Warnung auf der Webseite des Landeszentrums Gesundheit, die Belastungen für die Bevölkerung durch Hitze „enorm“ und die Folgen von Witterungsextremen teilweise „katastrophal“.

In Brandenburg entstand Mitte Juni das „Zentrale Netzwerk Hitzeschutz“. Darin vertreten sind nach offiziellen Angaben Expert:innen aus Gesundheit, Katastrophenschutz und Rettungswesen, Arbeitsschutz, Soziales und Stadtplanung. Im Saarland sowie in Hamburg arbeitet man nach offiziellen Angaben derzeit an einer Koordinierungsstelle.

Trotz Toolbox sieht Thüringen keine zentrale Koordinierungsstelle vor. Gleiches gilt für Bayern und Berlin. Ein Sprecher des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (LGL) verweist entgegen der Empfehlung des Bundes darauf, dass „die Rolle der Koordinierungsstelle“ von „unterschiedlichen Stellen innerhalb der Kommune übernommen“ werden könne. Eine Übersicht von etwaigen kommunalen Koordinierungsstellen liege dem Ministerium aber nicht vor, wie es auf Utopia-Anfrage heißt.

Auch betrachtet Bayern es als Aufgabe der Kommunen, eigene Hitzeaktionspläne auszuarbeiten. Als Beratungshilfe hierfür soll das „Bayerische Kompetenzzentrum für Gesundheitsschutz im Klimawandel“ dienen, das vergangenen Sommer entstanden ist. Maßnahmen sind der Toolbox zu entnehmen, die – wie der Name schon sagt – eine Sammlung möglicher Handlungsoptionen darstellt. Ein Eskalationsplan – welche Schritte in welchem Notfall während einer Hitzewelle zu ergreifen sind – sucht man vergebens. Das bayerische Gesundheitsministerium baut dieser Kritik vor, indem es schreibt: Die Toolbox sei „Anregung und Inspiration“. Ob eine Kommune konkrete Hitzeschutzpläne hat und umsetzt, müssen Bürger:innen demnach selbst erfragen.

Hitzewarnsysteme und Kommunikation

Folgt man den weiteren Kernempfehlungen des Bundes, müssen „hitzebezogene Gesundheitsinformationen“ die Menschen erreichen – möglichst zielgruppenspezifisch. Voraussetzung hierfür sei wiederum ein „verlässliches Hitzewarnsystem“. In Deutschland übernimmt diese Aufgabe der Deutsche Wetterdienst (DWD). Er betreibt seit mehr als zehn Jahren ein Hitzewarnsystem, das Hitzewarnungen an Gesundheitsämter oder Einrichtungen wie Alten- und Pflegeheime oder Kindergärten leitet.

Hierbei gibt es Abstufungen: Ab einer Temperatur von 32 Grad Celsius warnt der DWD vor einer starken, ab 38 Grad vor einer extremen Wärmebelastung. Steht akut eine Hitzewelle bevor, gibt der DWD für den aktuellen Tag sowie den Folgetag eine amtliche Hitzewarnung heraus, beispielsweise über die Webseite des DWD oder den DWD-Newsletter.

Das Bundesumweltministerium empfiehlt den Ländern -je nach Warnstufe – kurzfristig umsetzbare Maßnahmen aktiv an die Bevölkerung zu kommunizieren. Gleichzeitig verweist das BMUV auf die App des DWD oder die bundesweiten Warn-Apps „Katwarn“ und „Nina“, die Bürger:innen direkt nutzen können.

Hessen, Thüringen, Bayern, Berlin, Hamburg und Brandenburg etwa berufen sich in ihren Plänen und Konzepten auf das Offensichtliche: dass Kommunen und (Pflege-)Einrichtungen das DWD-Hitzewarnsystem nutzen könne und durch Plakate, Flyer, Medienkooperationen oder Webseiten der Kommunen, die Bürger:innen vor der Hitzebelastung warnen.

In Thüringen zum Beispiel sollen relevante Akteur:innen, insbesondere Personen im Gesundheits- und Pflegewesen, die Warnungen über Newsletter oder die DWD-App erhalten und daraufhin Akutmaßnahmen ergreifen. Dazu zählen laut Thüringens Toolbox unter anderem das Bereitstellen von kostenlosem Trinkwasser sowie die Weitergabe von Informationen, über Orte, an denen sich Menschen abkühlen können. Beispielhaft genannt werden Museen, Schwimmbäder, Vereinsheime und Gemeindezentren, in denen sich Bürger:innen dann Schutz suchen könnten – gegebenenfalls zu reduzierten Eintrittspreisen. Auch Bayern ruft die Kommunen dazu auf, die Bevölkerung über sogenannte „kühle Orte“ zu informieren. Oder eine Karte auf ihren Webseiten mit Trinkbrunnen und Wasser-Refill-Stationen anzubieten.

In Hessen informiert das Ministerium für Soziales und Integration (HMSI) Bürger:innen über regionale Medien und ÖPNV-Infotafeln, sobald das DWD-Warnsystem die zweite Stufe ausruft. Das Ministerium gibt dann bei einer gefühlten Temperatur von 38 Grad Celsius Hitze-Tipps, die Mediziner:innen seit Jahren zur Sommerzeit abgeben, darunter: Ausreichend Trinken, auf Alkohol verzichten, eine Kopfbedeckung tragen und körperliche Anstrengungen bei Mittagshitze meiden.

Alten- und Pflegeheime wiederum werden bereits bei Warnstufe 1 kontaktiert – bei einer gefühlten Temperatur von 32 Grad. Damit das jedoch passiert, müssen sich die Heime auf den entsprechenden E-Mail-Verteiler setzen lassen. Das Personal ist dann dazu angehalten, Maßnahmen zu treffen und zu dokumentieren, um Menschen vor den Folgen der Hitze zu schützen. Tatsächlich führt die hessische Betreuungs- und Pflegeaufsicht laut hessischem Hitzeaktionsplan Kontrollstichproben durch. In welchem Turnus und mit welchen möglichen Konsequenzen, sollten die Menschen nicht ordentlich geschützt werden, ist allerdings unklar. Im Hitzeaktionsplan selbst wird eine primär beratende Rolle der Betreuungs- und Pflegeaufsicht angedeutet.

Auch in Brandenburg werden Landkreise sowie kreisfreie Städte infolge einer Hitzewarnung des DWD informiert. Diese haben die Aufgabe, „die Akutkonzepte der kommunalen Ebene zu aktivieren“, wie es im Hitzeaktionsplan-Gutachten heißt, das das brandenburgische Gesundheitsministeriums (MSGIV) in Auftrag gegeben hat. Gleichzeitig räumt das Gutachten ein, dass nicht jeder Landkreis solche Konzepte mit „spezifischen Kommunikationskaskaden und Akutmaßnahmen“ hat. Ist das der Fall, so empfiehlt es das MSGIV, müssten etwa Gesundheitsämter den Kommunen Handlungsempfehlungen unterbreiten.

Mehr noch: Das Gutachten relativiert mit Blick auf die föderalen Strukturen in Deutschland Brandenburgs Rolle beim Schutz der Bürger:innen. Das Land nehme demnach eine „untergeordnete Rolle“ in einer akuten Hitzephase ein. Schließlich habe es „naturgemäß eine geringe bis nicht vorhandene Handlungs- bzw. Durchgriffsmöglichkeit: Pflegebedürftige Menschen können primär über die Träger der ambulanten oder stationären Pflege sowie Angehörige und Nachbarn erreicht werden, Kleinkinder über ihre jeweiligen Kitas etc.“, hält das Gutachten fest. Das bedeutet: Es ist vor allem die Aufgabe von Pfleger:innen, Mediziner:innen, Lehrer:innen und Arbeitgeber:innen, Betroffene zu schützen.

Hitzevorsorge in Innenräumen, Baumaßnahmen und Stadtplanung

Laut den Leitlinien des Bundesumweltministerium sollen Länder und Kommunen auch Maßnahmen ergreifen, die die Hitzebelastung in Innenräumen mindern. Beispielhaft nennt der Bund: Räume verdunkeln, Ventilatoren und angepassten Lüftungen einsetzen, Rollläden und Außenjalousien installieren, sowie Wände und Dächer isolieren. Der Bund unterbreitet zudem Hitzemaßnahmen, die direkt den (Neu-)Bau von Gebäuden und die Stadtplanung betreffen.

Hitzeschutz kann demnach zusätzlich durch den Einsatz von Thermoglas, solarbetriebenen Verschattungsanlagen oder die Installation von Trinkwasserspendern in öffentlichen Bauten geleistet werden. Weitere Flächenversiegelung, durch die sich Hitze staut, gilt es zu meiden – kühlende, schattenspendende Grünanlagen mit Wasserflächen zu „erhalten“ oder neu anzulegen.

Der Hessische Hitzeaktionsplan greift die kurzfristigen Maßnahmen für kühlere Innenräume auf. Und ergänzt sie etwa um „Gebäudebegrünung“, die für „Abkühlungseffekte“ sorgen könne. Klimaanlagen sollten demnach vor allem in Gebäuden „in Betracht gezogen werden“, in denen sich „gefährdete Menschen“ aufhielten. Gemeint sind Personen in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser – jene vulnerablen Gruppen, die es laut Bund besonders vor Hitze zu schützen gilt, die so aber vom Ermessen teils privater Entscheidungsträger abhängig sind. Denn: Zielgruppen der Maßnahmen sind laut hessischem Hitzeaktionsplan „maßgeblich Personen, die Räumlichkeiten planen, verwalten oder nutzen“. Sprich: Eigentümer:innen, Vermieter:innen, Bauträger:innen, öffentlicher Einrichtungen oder Arbeitgeber.

Auf Nachfrage von Utopia erklärte ein Sprecher des zuständigen hessischen Sozialministeriums, dass es „wichtig und sehr effizient“ sei, wenn Menschen ihr Verhalten eigenständig den klimatischen Bedingungen anpassten.

Auf Utopia-Anfrage, warum es etwa keine konkreten Pläne seitens der Politik gibt, Lüftungsanlagen beispielsweise in Schulen zum Schutz von Kindern- und Jugendlichen zu installieren, erklärte das hessische Kultusministerium: Man könne „nicht ohne Weiteres“ in die kommunale Selbstständigkeit eingreifen – „insbesondere dann nicht, wenn mit neuen Vorgaben Kosten verbunden sind“. Dennoch könnten Kommunen finanzielle Unterstützung erhalten oder Förderprogramme des Landes in Anspruch nehmen. Etwa bei der Modernisierung von Nichtwohngebäuden oder der Errichtung energieeffizienter Neubauten. Die Verantwortung aber liege bei den Schulträgern – also den Städten und Gemeinden, hält das Kultusministerium fest.

Wie schwierig es für einzelne Träger oder Institutionen ist, dieser Verantwortung nachzukommen, wissen jedoch die Expertengremien auf Landesebene. „Aufgrund der hohen Investitionen, langfristigen Planungen und Begrenzungen durch Vorschriften (z. B. Denkmalschutz) sind die baulichen Gegebenheiten kaum kurzfristig zu beeinflussen oder zu verändern“, hieß es 2017 in einer Hitze-Broschüre des Regierungspräsidiums Gießen, dessen Gesundheitsexpertise im Januar 2023 an das neu gegründete hessische Landesamt für Gesundheit und Pflege ging.

Bayern wiederum zeigt sich pragmatisch in der Stadtplanung: „Coole Straßen“ – die temporäre Sperrung von Straßenabschnitten für den Verkehr in heißen Stadtteilen – sollen die Wärmebelastung mindern. Statt Autos könnten „zusätzlich beschattete Sitzplätze geschaffen, Trinkbrunnen installiert und Wassernebelmaschinen aufgebaut werden“, schlägt die Hitze-Toolbox für Kommunen vor. Thüringens Tool-Box schlägt außerdem vor, mehr öffentliche Toiletten zu installieren.

Hilfe für besonders gefährdete Menschen, das Sozial- und Gesundheitswesen

Geht es nach den bisherigen Handlungsempfehlungen des Bundes, sollen mögliche Hitzeaktionspläne bestimmte Risikogruppen besonders berücksichtigen. Dazu gehören unter anderem ältere Menschen, isoliert Lebende, Pflegebedürftige, Personen mit starkem Übergewicht oder chronischen Erkrankungen, Säuglinge und Kinder.

Sie alle müssten, sofern sie sich nicht in Krankenhaus- oder Pflegeeinrichtungen aufhalten, primär durch Öffentlichkeitsarbeit samt Verhaltenstipps erreicht werden. Bayern und Thüringen setzen darüber hinaus auf die Solidarität innerhalb der Bevölkerung: Mit sogenannten Hitze-Patenschaften können sich Hilfsbereite registrieren, um etwa Nachbar:innen, die den genannten Risikogruppen angehören, zu helfen.

Die Maßnahmen, wie Menschen in Einrichtungen unterstützt werden sollen, ähneln sich in den Bundesländern, die eine Empfehlung rausgegeben haben. In Berlin etwa sehen die 5-seitigen Musterhitzeschutzpläne, die ausschließlich auf Krankenhäuser, ambulante Praxen, Bezirksämter und Pflegeeinrichtungen ausgerichtet sind, bei Hitzewarnstufe 2 einen Trinkplan für Patien:tinnen vor. Mit ihm sollen die Betroffenen ausreichend mit Wasser versorgt werden. Gefährdete Personen sollen zudem engmaschiger auf hitzebedingte Symptome beobachtet und gegebenenfalls in kühlere Zimmer verlegt werden.

Die bisherigen Hitzekonzepte der Länder, die solche haben, sehen zudem eine Schulung des Personals oder das Lüften der betroffenen Einrichtungen in den Morgenstunden vor. Berlin stellt dabei einen Sonderfall dar: Da sich in der Bundeshauptstadt die Hitzevorsorge nur auf den Gesundheitssektor bezieht, sind bauliche Maßnahmen beim Hitzeschutz weitestgehend und die Stadtplanung gänzlich ausgeklammert. Gleichzeitig konstatiert ein Sprecher der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege auf Utopia-Anfrage: „Hitzeschutz ist eine Gemeinschaftsaufgabe.“

Wenig Transparenz, viel Eigenverantwortung: Warum das gefährlich ist

Sieben von 16 Bundesländern stufen Hitzewellen – und damit eine Folge der Erderwärmung – als ausreichend wichtig ein, um ihre Bürger:innen mit landesweiten Empfehlungen und Strategien zu unterstützen. Zwei von ihnen, Hamburg und Bremen, stehen allerdings noch am Anfang ihrer Hitzeschutzkonzepte, während die anderen Länder die gesamte Verantwortung bei den Kommunen sowie der Bevölkerung selbst sieht.

Die Kommunen stehen, mit oder ohne Empfehlungen des Bundes und der Länder, vor einer strategischen wie auch finanziellen Mammutaufgabe – sollte sich ihr Hitzeschutz nicht auf Verhaltenstipps beschränken: nämlich dem Um- sowie Neubau von Städten, versiegelten Flächen und Gebäuden. Laut Statistischem Bundesamt verfügten die deutschen Kommunen in den vergangenen zwei Jahren vor allem durch Gewerbesteuereinnahmen zwar über einen Überschuss in niedriger Milliardenhöhe, allerdings ist dieser rückläufig.

Darüber hinaus sorgen die föderalen Strukturen, auf die sich die Landesministerien hinsichtlich fehlender Kontrollen und Pflichten berufen, für einen kommunalen Flickenteppich an Hitzemaßnahmen. Auch, weil Schutzkonzepte so vom individuellen Ermessen unterschiedlicher, zum Teil privater Akteur:innen, abhängen.

Expert:innen wie Dea Niebuhr, Professorin für Gesundheitswissenschaften an der Hochschule Fulda, hinterfragen etwa das politische Bewusstsein in den Kommunen für das Thema klimawandelbedingte Hitze. „Sie treffen auf Landkreis-Räte, die sagen: Das ist nicht prioritär oder wir haben nicht die finanziellen Mittel, um jetzt in den Hitzeschutz zu investieren“, erklärt sie im Interview mit Riffreporter.

Außerdem wisse man aktuell noch gar nicht, ob die aktuellen Hitzemaßnahmen wirken, zu neu und wenig evaluiert seien sie. Laut der Expertin brauchen Hitzeaktionspläne ein bis drei Jahre, um sich zu konsolidieren. Niebuhr sagt: „Sie müssen mit einer Maßnahme anfangen, etwa im stationären Pflegebereich, dann kommen viele weitere Bausteine dazu – auch solche, die nicht Aufgaben der Kommunen und Städte sind.“

Hinweis: Stand der Daten/Artikel zuerst erschienen am 7.7.2023

Hitzeschutzkonzepte der Länder: Hessens Hitzeaktionsplan; Hitze-Broschüre Betreuungs- und Pflegeaufsicht Hessen; Empfehlung Landesamt für Betreuung und Pflege Hessen; LZG.NRW; Hitze-Toolbox Bayern; Hitze-Toolbox Thüringen; Musterhitzeschutzpläne Berlin; Gutachten Brandenburg

Weitere verwendete Quellen: Handlungsempfehlungen des Bundes; Gesundheitsministerkonferenz; „Hitzeplan Deutschland“; Bundesärztekammer; Hitzewelle Deutschland; Hitzewarnsystem DWD; Bundesamt für Statistik; Riffreporter

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