Das Team um Moderator Jan Böhmermann hat im ZDF Magazin Royale Akten zum rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) veröffentlicht. Das Vorgehen wird kritisiert, vor allem Kanzler Olaf Scholz zeigt sich „nicht begeistert“.
Das Team um Moderator Jan Böhmermann hat im ZDF Magazin Royale NSU-Akten veröffentlicht. Nun gibt es dafür Kritik aus der Bundesregierung. Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist „nicht begeistert“, wie es heißt. Die Dokumente seien aus Gründen geheim gewesen.
Grundsätzlich gelte, dass Akten aus guten Gründen als geheim eingestuft werden könnten, ließ Scholz am Montag durch einen Sprecher laut ZDF mitteilen Es gebe Regeln für die „Entstufung von Akten“, also auch für die Aufhebung der Geheimhaltung.
Böhmermann, der am Freitag in Kooperation mit Frag den Staat hessische Akten zu den rechtsterroristischen Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) veröffentlicht hat, würde gegen diese Regeln verstoßen, so der Sprecher weiter. Ursprünglich sollten die Dokumente 120 Jahre, dann 30 Jahre unter Geheimhaltung bleiben.
Zahlreiche Dokumente hat der hessische Verfassungsschutz verloren
Die Recherche legte offen, dass der hessische Verfassungsschutz zahlreiche Papiere zu den NSU-Morden verloren hat. Mehrere Hundert Dokumente – laut Böhmermann 541 Aktenstücke – waren demnach nicht mehr auffindbar. Böhmermann erklärte daraufhin in seiner Sendung, die Veröffentlichung zeichne „ein mehr als zweifelhaftes Bild von der Arbeit des hessischen Verfassungsschutzes“. Ein weiterer Vorwurf: Auf die verfügbaren Informationen zu rechten Strukturen seien nicht immer Konsequenzen gefolgt.
„Wer hofft, in diesen Berichten die Antwort auf offene Fragen zum NSU, Beweise für gezielte Vertuschungsversuche oder gar den Beleg für die Rolle des Verfassungsschutzes bei der Mordserie zu finden, wird enttäuscht“, resümieren das ZDF Magazin Royale und Frag den Staat. Besonders erschreckend sei die Erkenntnis, dass „zahlreiche Hinweise auf Waffenbesitz von Rechtsextremisten“ angefallen seien, „die zum Zeitpunkt des Informationsaufkommens in der Regel nicht bearbeitet worden waren“.
Der NSU ermordete zehn Menschen
Aus dem Bundesinnenministerium hieß es dazu dem ZDF zufolge lediglich: „Wir haben keine eigene Einschätzung zu dem Inhalt.“ Auch die Arbeit des betroffenen Landesverfassungsschutzes wolle man nicht bewerten.
Innenministerin Nancy Faeser betonte demnach, dass durch die Veröffentlichung geheimer Dokumente „etwas über die Arbeitsweise von Sicherheitsbehörden“ abzuleiten sein könne. Sie kritisierte weiter, dass dies „eine Gefahr und ein Hindernis“ für die Behörden sei. Regierungssprecher Steffen Hebestreit erklärte, die Veröffentlichung geheimer Akten könne auch „die Rechte Dritter betreffen, auch Unbeteiligter“.
In den Jahren 2000 bis 2006 hatte die rechtsextreme Terrororganisation NSU zehn Menschen in Deutschland ermordet: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic, Mehmet Turgut, Ismail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşik, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter.
Bis heute steht die Arbeit der Sicherheitsbehörden und des Verfassungsschutzes in der Kritik. So wurde der Öffentlichkeit zunächst gar nicht mitgeteilt, dass der hessische Verfassungsschutz seit 2012 intern untersuchte, ob es in den Akten Hinweise auf den NSU gegeben hat. Die Hinterbliebenen der Mordopfer forderten bereits seit langem, die Akten des Verfassungsschutzes zu öffnen.
Lob seitens der Linken und Grünen
Lob für die Böhmermann-Recherche gab es unterdessen von der Linken. Torsten Felstehausen, innenpolitischer Sprecher der Linken im hessischen Landtag, sagte: Endlich könne sich die Öffentlichkeit ein eigenes Bild davon machen, wie der Verfassungsschutz über Jahre mit Hinweisen auf rechten Terror umgegangen sei.
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im hessischen Landtag, Mathias Wagner, teilte am Sonntag in einer Stellungnahme mit, dass sich die Recherche mit den Bewertungen deckten, die bislang aus Sicht der Grünen alle jene gezogen hätten, die die Akten gelesen hätten. Laut SZ erklärte Wagner: „Die Unterlagen zeichnen ein desolates Bild über den Zustand des Verfassungsschutzes in den damaligen Jahren. Er war in keiner Weise auf die Herausforderungen eines zunehmenden Rechtsextremismus in unserem Land vorbereitet. Dabei wäre genau das seine Aufgabe gewesen: das frühzeitige Erkennen von Gefährdungen für unsere Demokratie. Dieser Aufgabe ist er zu der damaligen Zeit nicht nachgekommen.“
Drohen Böhmermann rechtliche Konsequenzen?
Offen bleibt, inwiefern dem ZDF, Jan Böhmermann und dem Portal Frag den Staat rechtliche Konsequenzen drohen. Seit dem Cicero-Urteil 2007 dürfen Journalist:innen Ergebnisse geheimer Dokumente, die ihnen zugespielt werden, öffentlich machen. Doch ein gesamtes Dokument im Internet zu veröffentlichen, könnte wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat strafrechtlich relevant werden. Das Team um Böhmermann hatte – um die Quellen zu schützen – die NSU-Akten vollständig abgetippt und daraus ein neues Dokument erstellt, wie Böhmermann auf Twitter schrieb. Auch, um keine digitalen Spuren zu hinterlassen.
Das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen erklärte auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes, das im Internet veröffentlichte Dokument werde geprüft. Dies geschehe mit Blick auf „enthaltene personenbezogene Daten und tangierte Staatswohlbelange“. Dazu stehe das Landesamt „im Austausch mit den Polizei- und Verfassungsschutzbehörden“.
Die beiden NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten sich 2011 getötet, um der Festnahme zu entgehen. Als einzige Überlebende des NSU-Trios wurde Beate Zschäpe am 11. Juli 2018 als Mittäterin zu lebenslanger Haft verurteilt.
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