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Ist sie eine Öko-Terroristin? Umweltaktivistin kämpft gegen 8 Jahre Haft

Jessica Reznicek sitzt im Gefängnis. Am 28. Juni 2021 nahm ihr Leben eine heftige Wendung.
Foto: Cristina Yurena Zerr

Die US-Aktivistin Jessica Reznicek geht gegen ihr Urteil in Berufung. 2021 hat sie ein Gericht mit 8 Jahren Haft bestraft, nachdem sie eine Öl-Pipeline mehrfach sabotiert hatte. Angewandt wurde eine Straferweiterung. Es steht die Frage im Raum: Ist sie eine Öko-Terroristin?

Jessica Reznicek sitzt im Gefängnis. Am 28. Juni 2021 nahm ihr Leben eine heftige Wendung: Ein Gericht im US-Bundesstaat Iowa verurteilte die heute 40-Jährige zu acht Jahren Haft, drei Jahren Bewährung und einer Geldstrafe von mehr als drei Millionen US-Dollar an den Konzern Energy Transfer. Die Staatsanwaltschaft hatte sie wegen „Verschwörung zur Beschädigung einer Energieproduktionsanlage“ und „böswilliger Verwendung von Feuer“ angeklagt.

Reznicek ist somit straffällig geworden – bei ihrem selbsternannten Kampf gegen die die umstrittene Dakota Access Pipeline. Die Öl-Pipeline tangiert in Iowa ein Reservat der Sioux Native Americans, einem Stamm der Ureinwohner:innen Amerikas. Da die Leitung unter dem See Oahe verläuft, sehen Gegner:innen vor allem die dortige Wasserversorgung gefährdet, weshalb sie von Umweltzerstörung durch das Energieunternehmen sprechen.

Das Gericht, das Reznicek verurteilt hat, sieht hingegen die Schuld der Aktivistin als erwiesen an. Es bewertete die Taten der US-Amerikanerin als inländischen Terrorismus, da sie durch die Beschädigung von Energieinfrastruktur beabsichtigt habe, „das Handeln der Regierung durch Einschüchterung oder Zwang zu beeinflussen“. Diesen Tatbestand regelt das sogenannte „terrorism enhancement“, eine Art Straferweiterung, die Formen der Selbstjustiz verhindern will. So die Argumentation der Strafverfolger:innen. Reznicek habe demnach versucht, „das Gesetz in eigene Hände zu nehmen“, heißt es.

Gegen das Urteil ist die Umweltaktivistin nun in Berufung gegangen. Zu keinem Zeitpunkt sei die Beeinflussung der Regierung Rezniceks Ziel gewesen, heißt es im Antrag ihres Verteidigers. Bereits 2021 beteuerte die Aktivistin in einer Stellungnahme, sie sei „keine politische Person“ und schon gar nicht „eine Terroristin“. Ihr Verteidiger argumentiert nun: Wäre die Terrorismus-Erweiterung nicht angewandt worden, wäre das Strafmaß deutlich geringer ausgefallen, und hätte wie Grist berichtet vermutlich weniger als vier Jahre betragen.

Jessica Rezniceks Zukunft ist noch ungewiss. Über ihre Berufung soll in den kommenden Wochen entscheiden werden.
Jessica Rezniceks Zukunft ist noch ungewiss. Über ihre Berufung soll in den kommenden Wochen entscheiden werden. (Foto: Free Jessica Reznicek)

Was war genau passiert? Zusammen mit einer Gleichgesinnten sabotierte Reznicek 2016 mehrfach die Dakota Access Pipeline, die zum damaligen Zeitpunkt gebaut wurde. Reznicek verbrannte unter anderem Maschinen; mit einem Schweißbrenner zerlegten die beiden Frauen Stahlventile der Pipeline, wie die taz berichtet. Die Fertigstellung der Anlage verzögerte sich dadurch um Wochen. Täglich 470.000 Barrel Öl sollten durch die Leitung gepumpt werden, die mit ihren fast 2000 Kilometern durch die Bundesstaaten North Dakota, South Dakota, Iowa zu einem Pipelineknotenpunkt in Illinois verläuft.

Reznicek selbst sagt, sie habe aus Verzweiflung heraus gehandelt, da mehrere Lecks dazu geführt hätten, dass Rohöl in Böden und Gewässer gesickert sei. 2017, nachdem die beiden Frauen die Pipeline mehrfach sabotiert hatten, hielten Reznicek und ihre Komplizin – eine ehemalige Grundschullehrerin – eine eigens veranstaltete Pressekonferenz vor Journalist:innen, auf der sie ihre Taten öffentlich machten. Danach tauchte die Umweltaktivistin unter, bis das FBI sie schließlich stellt.

Eine wesentliche Motivation für ihre Aktionen schöpfte die Umweltaktivistin, die bekennende Christin ist, aus ihrem Glauben. „Indigene Tradition lehrt uns, dass Wasser Leben ist. Die Schrift lehrt uns, dass Gott am Anfang Wasser und Erde geschaffen hat, und dass es gut war“, soll Reznicek in ihrem Abschlussplädoyer vor der Urteilsverkündung laut taz gesagt haben.

Seit ihrer Inhaftierung ist es die Catholic-Worker-Bewegung, die Reznicek weiterhin den Rücken stärkt – unter anderem mit einer Gruppe, die unter den Namen „Free Jessica Reznicek“ auf ihren Fall aufmerksam macht.
Seit ihrer Inhaftierung ist es die Catholic-Worker-Bewegung, die Reznicek weiterhin den Rücken stärkt – unter anderem mit einer Gruppe, die unter den Namen „Free Jessica Reznicek“ auf ihren Fall aufmerksam macht. (Foto: Free Jessica Reznicek)

Reznicek gehört der Catholic-Worker-Bewegung an – einer selbstorganisierten, von der Kirche unabhängigen Gemeinschaft. Gerechtigkeit und Solidarität hätten obersten Stellenwert. Obdachlose, Transpersonen und andere marginalisierte Gruppen würden hier Unterschlupf finden. Seit ihrer Inhaftierung ist es auch diese Bewegung, die Reznicek weiterhin den Rücken stärkt – unter anderem mit einer Gruppe, die unter dem Slogan „Free Jessica Reznicek“ auf ihren Fall aufmerksam macht.

Zu der Bewegung fand die Umweltaktivistin nach ihrem Studium der Politikwissenschaften in Des Moines, Iowas Hauptstadt, sowie einem längeren Aufenthalt in New York 2011. An der Ostküste hatte Reznicek an den Demonstrationen der Occupy-Wallstreet-Bewegung teilgenommen, die eine stärkere Kontrolle des Banken- und Finanzsektors fordert. Das selbsternannte Ziel: die Schere zwischen Arm und Reich schließen. Zweimal reiste Reznicek auch nach Israel, wo sie aufgrund ihres Protests für die Palästinenser:innen abgeschoben wurde, wie die taz schreibt. Auch in Südkorea und Zentralamerika sammelte sie Erfahrungen als Aktivistin. „Ich glaube, dass all diese Erfahrungen in meinem Leben in diesen Zeitpunkt gipfelten, als ich von der Dakota Access Pipeline erfuhr“, so die 40-Jährige rückblickend.

Schon 2015 erklärten die Sioux Native Americans, dass der Bau der Pipeline der souveränen Nutzung und Bewohnung ihres Reservats zuwiderlaufen würden.
Schon 2015 erklärten die Sioux Native Americans, dass der Bau der Pipeline der souveränen Nutzung und Bewohnung ihres Reservats zuwiderlaufen würden. (Foto: Free Jessica Reznicek)

2015, noch vor den Sabotage-Akten, erklärten die Sioux Native Americans, dass der Bau der Pipeline der souveränen Nutzung und Bewohnung ihres Reservats zuwiderlaufen würde. Doch die Einwände blieben ungehört, weshalb sich nach und nach massiver, unter anderem juristischer, Widerstand gegen das Projekt formierte. Inzwischen mit Erfolg: 2020 entschied das Bezirksgericht für den District of Columbia, dass der Pipeline-Betreiber eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung durchführen muss. Energy Transfer sieht darin die Gefahr, die Leitung vollständig stilllegen zu müssen, wie der Guardian berichtet. Schließlich könnte die Maßnahme Jahre dauern. Das Oberste Gericht der USA, der Supreme Court, wies im Februar dieses Jahres die Bitte des Energiekonzerns, die Entscheidung anzufechten, ab. Die Umweltprüfung muss demnach stattfinden, auch wenn bis zu einem abschließenden Befund weiterhin Öl fließen darf.

Auch Rezniceks Zukunft ist noch ungewiss. Über ihre Berufung soll in den kommenden Wochen entschieden werden. Kritiker:innen der Straferweiterung sagen, die darin enthaltene Definition terroristischen Handelns sei zu weit gefasst und werde nur inkonsequent angewandt. Sicherheitsbehörden hingegen betonen eine angeblich abschreckende Wirkung. Bei Reznicek, die durch die Geldstrafe ihr Leben lang verschuldet sein wird, ist dieser Effekt offenbar nicht eingetreten. Wie die taz schreibt, soll sie kurz vor ihrem Haftantritt zwar den Abschied von ihren Kamerad:innen bedauert haben. Trotzdem sei sie „voller Kraft“ und der Überzeugung, „immer noch mit Anstand zu diesem wichtigen Moment in der Geschichte“ gestanden zu haben.

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