Die Klimakrise führt dazu, dass unsere Lebensmittel an bestimmten Nährstoffen verlieren. Das haben Wissenschaftler:innen in verschiedenen Studien belegt. Was das für Folgen hat und wie die Menschheit noch gegensteuern kann, erklären Expert:innen gegenüber Utopia.
Die Klimakrise stellt die Menschheit vor zahlreiche Herausforderungen. Auch unsere Ernährung wird sich durch die Erderwärmung maßgeblich verändern. Denn Studien haben erwiesen, dass wichtige Nutzpflanzen wie Reis, Getreide und Kartoffeln zunehmend an Nährwert verlieren – wegen der steigenden Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre. Die Pflanzen enthalten immer weniger für den Menschen wichtige Nährstoffe wie Proteine.
So beeinflusst CO2 den Nährstoffgehalt von Lebensmitteln
Wie kommt das? Lewis Ziska ist Professor für Umwelt- und Gesundheitswissenschaften an der Mailman School of Public Health der Columbia University und hat für das US-Agrarministerium die Folgen des Klimawandels für die Landwirtschaft untersucht. Er erklärt den Effekt gegenüber Utopia.
„Pflanzen sind auf Kohlenstoff angewiesen, der durch Kohlendioxid aus der Luft bereitgestellt wird“, so der Forscher. CO2 ist ein wichtiger Bestandteil der Photosynthese und fördert das Pflanzenwachstum sowie die Bildung von Zucker und Stärke. Die chemische Zusammensetzung einer Pflanze spiegelt ein Gleichgewicht zwischen dem CO2 wider, das die Pflanze aus der Luft gewinnt, und den Nährstoffen, die sie aus dem Boden aufnimmt.
Steigt die CO2-Konzentration, wachsen Pflanzen schneller, produzieren dabei aber auch weniger Proteine. Proteine sind Eiweißkörper, die Menschen unter anderem zum Erhalt von Zellen und Gewebe benötigen. Dazu kommt, dass sich der Nährstoffgehalt im Boden nicht ändert. Der schneller wachsenden Pflanze stehen also nicht mehr Mineralstoffe und Stickstoff zur Verfügung, weshalb sie im Verhältnis weniger davon aufnimmt. „Die Pflanzenchemie gerät aus dem Gleichgewicht“, warnt Ziska.
Die CO2-Konzentration hat laut Ziska seit 1960 um 30 Prozent zugenommen und wird bis zum Ende des Jahrhunderts um weitere 50 Prozent ansteigen.
Auch Obst und Gemüsesorten sind betroffen. Sie verlieren durch einen erhöhten Gehalt an atmosphärischem Kohlendioxid circa 15 Prozent ihrer Carotinoide – das zeigt eine Studie, die 2019 im Fachblatt „Molecular Nutrition and Food Research“ veröffentlicht wurde. Diese Carotinoide sind fettlösliche Pigmente, werden im Körper zu Vitamin A umgewandelt und sind wichtig für die Immunabwehr.
Proteinrückgang unter anderem in Reis nachgewiesen
Ziska hat gemeinsam mit Forscher:innen aus China und Japan untersucht, wie sich eine höhere CO2-Konzentration in der Luft auf Reis auswirkt und die Ergebnisse 2018 im Fachmagazin „Science Advances“ veröffentlicht.
Die Wissenschaftler:innen bauten 18 Reissorten in Freilandversuchen mit kontrollierter atmosphärischer CO2-Konzentration an. Dabei handelte es sich um verbreitete Reissorten – vor allem aus Japan und China – und um neue Hybrid-Linien. China zählt zu den wichtigsten Reisexporteuren weltweit.
Für den Versuch wurde auf den Feldern Röhren verlegt, aus denen genug CO2 strömte, um eine dauerhaft erhöhte Konzentration in der Luft herzustellen. Der damit erzeugte Wert (570 bis 590 Teile CO2 pro Millionen Teile Luft) wird schätzungsweise bis Ende des Jahrhunderts auch natürlich vorkommen.
Das Ergebnis des Experiments: Der Gehalt an Protein und Mikronährstoffen wie Eisen und Zink im Reis ging zurück. Zink ist im menschlichen Körper an Prozessen wie Wundheilung beteiligt, Eisen unter anderem am Sauerstofftransport. Werte von Vitamin E stiegen an, B-Vitamine sanken. Vitamin E schützt die Zellen vor oxidativen Schäden. Zu den B-Vitaminen zählen acht Stoffe, die unter anderem wichtig für den Stoffwechsel, die Blutbildung und die Nerven sind.
Nicht nur Reis und Getreide: Auch tierische Produkte betroffen
Wie stark Nährstoffgehalte schrumpfen werden, lässt sich schwer vorhersagen. „Es kann sehr schnell passieren“, so Ziska. In seiner Reis-Studie verloren die Sorten im Schnitt 10 Prozent ihres Proteingehalts, sowie acht Prozent Eisen und fünf Prozent Zink. Bei Weizen und Gerste stellte eine Studie aus den USA, die bereits 2007 im Fachblatt „Global Change Biology“ veröffentlicht wurde, Proteinverluste von circa 10-15 Prozent fest. Kartoffeln verloren 14 Prozent ihrer Proteine, Sojabohnen deutlich weniger.
Ziska zufolge wird der Effekt auch Bio-Lebensmittel betreffen. Selbst Lebensmittel, die unter Folien oder in Treibhäusern angebaut werden, sind nicht sicher vor dem Effekt. Der Experte betont: „Kein Lebensmittel wächst im Vakuum, alle haben Luftkontakt.“ Die Luft in Treibhäusern etwa stammt von Außen und selbst mit Folien gelangt auch Umluft an die Pflanzen.
Ziska zufolge wird der Nährstoffrückgang sogar Auswirkungen auf tierische Produkte haben. Er verweist auf eine siebenjährige Studie aus dem Jahr 2018, die im Fachblatt „Ecological Applications“ veröffentlicht wurde. Sie hat die die Auswirkungen höherer Temperaturen und gestiegener CO2-Werte auf Futtergräser untersucht.
Die Forschenden stellten fest, dass unter anderem der Stickstoffgehalt in den Gräsern abnahm. Stickstoff ist ein Stellvertreter für Protein: Je weniger Protein im Gras, desto weniger Gewicht (also unter anderem Fleisch) nehmen Kühe zu. Ob sich der Effekt auch auf die Fleischqualität auswirkt, kann Ziska nicht bestätigen. Er vermutet aber, dass zum Beispiel die Milchproduktion zurückgehen kann, wenn die Tiere weniger Proteine erhalten oder die Qualität des Futters abnimmt. Auch die Milchindustrie wird von dem Effekt also betroffen sein.
Weniger Nährstoffe im Essen: Verborgener Hunger könnte zunehmen
Wenn der Nährstoffgehalt in der Nahrung abnimmt, drohen weitreichende Konsequenzen. Das zeigt sich am Beispiel Reis: Über ihn nehmen etwa 600 Millionen Menschen – vor allem in Südostasien – mehr als 50 Prozent ihrer Energie und Proteine zu sich. Ziskas Studienergebnisse von 2018 deuten darauf hin, dass der CO2-Anstieg in der Atmosphäre für einen großen Teil der Weltbevölkerung zu Ernährungsdefiziten führen wird.
Ein Großteil der Änderungen und das größte Risiko werde in den Ländern mit dem höchsten Reisverbrauch und dem niedrigsten Bruttoinlandsprodukt auftreten, heißt es in der Studie. Mit steigendem Einkommen konsumieren Menschen demnach vielfältigere Kalorienquellen, und nehmen Proteine vor allem aus Fisch, Milchprodukten und Fleisch auf.
Die genauen gesundheitlichen Folgen, die mit einem abnehmendem Nährstoffgehalt einhergehen, lassen sich bislang nicht prognostizieren. Die Daten aus Ziskas Studie legen nahe, dass in ärmeren Ländern, in denen viel Reis gegessen wird, die Gesamtbelastung durch Krankheiten zunehmen könnte. Auch die frühkindliche Entwicklung könnte demnach beeinträchtigt werden.
Eine Meta-Analyse von 2014 warnt davor, dass Fettleibigkeit und „verborgener Hunger“ drohen zuzunehmen. Fettleibigkeit kann das Risiko für verschiedene Erkrankungen wie Diabetes, Herzinfarkt und Schlaganfall erhöhen, warnt die Deutsche Adipositas Gesellschaft. Von „verborgenem Hunger“ ist die Rede, wenn man zwar Kalorien zu sich nimmt, nicht aber genügend Nährstoffe. Derzeit sind laut der Deutschen Welthungerhilfe zwei Milliarden Menschen davon betroffen. Diese Zahl könnte also infolge der Klimakrise zunehmen.
Mehr Proteine als nötig
Wie sich der Nährstoffrückgang in westlichen Industriestaaten auswirken wird, ist ebenfalls schwer abzusehen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) weist gegenüber Utopia darauf hin, dass Konsument:innen westlicher Industrieländer im Durchschnitt mehr Proteine aufnehmen als nötig. In westlichen Industrieländern tritt Proteinmangel derzeit selten auf, betroffen sind eher Menschen über 65 Jahren. Daraus lässt sich folgern, dass die Auswirkungen eines Proteinrückgangs in pflanzlichen Lebensmitteln hierzulande begrenzt wären.
Anders sieht es bei Zink aus: „Die Zinkspeicher im Körper sind sehr begrenzt und können eine Unterversorgung schlecht ausgleichen“, erklärt die DGE. Der Stoff sollte täglich mit der Nahrung zugeführt werden. Ein schwerer Zinkmangel äußert sich unter anderem durch ein vermindertes Geschmacksempfinden, Appetitlosigkeit und entzündliche Veränderungen der Haut. Auch Eisenmangel kann schwere Folgen haben und – wenn er dauerhaft auftritt – zu Blutarmut (Anämie) führen, was den Sauerstofftransport im Körper stört.
Nährstoffverlust durch CO2: Kann man ihn vorbeugen?
Wenn Lebensmittel weniger Nährstoffe enthalten, kann sich das also auf die Gesundheit auswirken. Wie können Menschen sicherstellen, dass sie ihren Körper weiterhin ausreichend versorgen? Pflanzenphysiologe Ziska schätzt, dass man nicht unbedingt mehr essen, sondern sich vielfältiger ernähren sollte.
Zum Thema vielfältige Ernährung hat die DGE 10 Regeln erarbeitet. Befolgt man sie, sollte der Körper alle Nährstoffe erhalten, die er braucht. Die Basis (75 Prozent) sollte eine pflanzliche Ernährung bilden, die mit tierischen Produkten (25 Prozent) ergänzt wird. Wichtig: Diese Empfehlungen berücksichtigen zukünftige Änderungen in Nährstoffkonzentrationen noch nicht.
Der Verein listet außerdem auf, mit welchen Lebensmitten man zum jetzigen Zeitpunkt sicherstellen kann, dass man ausreichend Zink zu sich nimmt. Besonders zinkhaltig sind zum Beispiel Bergkäse, Schweinefleisch, Wildreis und Vollkornnudeln. Viel Protein steckt in Tofu, Vollkornnudeln, Erbsen und Linsen und einigen tierischen Produkten. Um ausreichend Eisen aufzunehmen, empfiehlt die DGE reichlich Getreide und Getreideprodukte (Vollkorn) sowie eisenreiche Gemüsearten und Hülsenfrüchte. Fleisch sollte man laut DGE in Maßen essen, „aber nicht mehr als 300–600 Gramm pro Woche“. Vegetarier:innen sollten zu eisenreichen pflanzlichen Lebensmitteln immer ein Vitamin-C-reiches Produkt wie Orangensaft oder Paprika verzehren.
Sind genmanipulierte Pflanzen die Lösung?
Um einem CO2-bedingten Nährstoffverlust in Lebensmitteln im Zuge des Klimawandels entgegenzuwirken, schlägt Experte Ziska unter anderen die genetische Manipulation von Pflanzen vor. „Wir können uns mit genetisch veränderten Organismen und genetischer Vielfalt befassen oder auf politischer Ebene Anreize schaffen.“ Eine Möglichkeit wäre, Reisbauern eine Prämie für proteinreiche Sorten anzubieten. In seiner Studie schlägt er außerdem vor, Reis zu züchten, der auch bei hohen CO2-Konzentrationen hohe Nährstoffanteile hat.
Dies könne jedoch lange dauern, heißt es in der Studie. Außerdem müsste man auch andere klimabedingte Änderungen wie steigende Temperaturen berücksichtigen – diese sollen sich ebenfalls auf die Proteinproduktion von Pflanzen auswirken. Gentechnisch modifizierte Lebensmittel gelten als umstritten. Der BUND Naturschutz betont, dass gesundheitliche Risiken wie Antibiotikaresistenzen zu wenig untersucht werden. Ziska dagegen argumentiert: „Es gibt keine Belege dafür, dass gentechnisch modifizierte Organismen mit der Gesundheitsqualität zusammenhängen“.
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