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Mangelnde Selbstkontrolle oder die Gene? Neurobiologe über Körpergewicht

Neurobiologe über Körpergewicht
Foto: CC0 Public Domain / unsplash - Sander Dalhuisen

Warum neigen manche Menschen eher zu mehr Körpergewicht als andere? Der Neurobiologe Stephan Guyenet erklärt, welche Rolle Gene auf das Körpergewicht haben.

Menschen mit Übergewicht oder Adipositas mangelt es an Willen und Selbstkontrolle – so zumindest lautet das sich immer noch hartnäckig haltende Vorurteil. Dabei gilt derzeit mehr als die Hälfte der Deutschen als übergewichtig. In seinem 2017 erschienenen Buch „The Hungry Brain“, thematisiert der Neurobiologe Stephan Guyenet die Gründe für Übergewicht und Adipositas. Den Glauben an Selbstdisziplin und Willenskraft hält Guyenet dabei für grundlegend überschätzt. Eine entscheidende Rolle spielen demnach die Gene und das Unterbewusstsein, wie der Biologe in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (SZ) erklärt.

Laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) ist von Übergewicht die Rede, wenn das Körpergewicht bei einer bestimmten Körpergröße über das definierte „Normalgewicht“ hinausgeht. Dazu wird das Verhältnis von Körpergewicht zu Körpergröße berechnet. Starkes Übergewicht (Adipositas) ist laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als eigenständige Krankheit eingestuft, die einen Risikofaktor bildet für bestimmte Erkrankungen – wie Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einzelne Krebserkrankungen.

Um Menschen mit einem höheren Gewicht als dem vom RKI definierten „Normalgewicht“ nicht herabzuwürdigen, ist vor allem in den sozialen Medien der Begriff „Mehrgewicht“ zunehmend verbreitet – oft auch in Verbindung mit der Body-Positivity-Bewegung. Der Begriff ist jedoch nicht medizinisch definiert.

„Die Gehirne von Menschen mit Übergewicht funktionieren anders“

Guyenet vertritt die These, dass Menschen nur begrenzt Einfluss darauf haben, wie viel sie essen oder sich bewegen: „Unsere Gehirne haben sich über Millionen von Jahren entwickelt und die meisten Prozesse, die unser Essverhalten beeinflussen, passieren unbewusst. Wir entscheiden uns nicht dafür, hungrig zu sein oder Appetit auf etwas Bestimmtes zu haben.“ Diese Prozesse laufen laut dem Biologen im Unterbewusstsein ab und sorge dafür, dass viele Menschen mehr essen, als gut für sie sei.

Der Verweis auf Selbstdisziplin und Willensstärke sei unfair, stellt Guyenet fest. Denn „die Gehirne von Menschen mit Übergewicht funktionieren anders“. Demnach sei das Körpergewicht vor allem genetisch bedingt. Durch Zwillingsstudien könne belegt werden, dass der Einfluss der Gene auf das Körpergewicht bei etwa 70 Prozent liege, so der Autor.

Der Präfrontale Kortex, ein Teil des menschlichen Gehirns sei „ziemlich anpassungsfähig“, erklärt der Autor im SZ-Interview. Das Gefühl, satt zu sein, entspringe allerdings dem Stammhirn – dort sammeln sich zahlreiche Informationen aus dem Magen und Darm sowie dem Blutkreislauf. Die Information, dass genug Essen vorhanden ist, wird aus dem Stammhirn an den bewussten Teil des Gehirns weitergegeben. Diese Abläufe passieren unbewusst, ähnlich wie die Grundfunktionen – Herzschlag, Atmung und Verdauung, die ebenfalls im Stammhirn gesteuert werden. An diesen Vorgängen können Menschen dem Biologen zufolge nichts ändern, „auch nicht durch Weiterbildungen oder Psychotherapie“. 

Wie groß die jeweilige Versuchung von Menschen ist, noch ein weiteres Mal zu Schokolade oder Chips zu greifen, sei aus diesen Gründen vor allem genetisch bedingt.

Welche Rolle spielt die moderne Ernährungskultur?

Übergewicht und Adipositas sind vor allem in den vergangenen Jahrzehnten zu einer gesellschaftlichen Herausforderung geworden. Bis vor etwa hundert Jahren hätte es etwa kaum Fälle von Adipositas in den Vereinigten Staaten gegeben, und selbst bis vor dreißig Jahren seien die Zahlen deutlich geringer gewesen als gegenwärtig, hält Guyenet laut SZ fest.

Dies sei vor allem auf Veränderungen der menschlichen Ernährungsumgebung zurückzuführen: „Die Art und die Menge des Essens, die uns umgibt, hat sich im großen Stil verändert. Damit können die Gehirne der meisten Menschen nicht gut umgehen“, attestiert Guyenet. Vor allem die „große Auswahl an verführerischen, kalorienreichen Lebensmitteln“ und die Verbreitung verarbeiteter Lebensmittel sei in diesem Sinne ein großes Problem. Denn durch die Verarbeitung, so der Experte, werden Lebensmittel „noch verführerischer und noch kalorienhaltiger“. Moderne Nahrungsmittel haben demnach ein geringeres Volumen und ein geringeres Gewicht pro Kalorie, als die meisten natürlich vorkommenden.

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