Die Klimakrise ist die größte globale Herausforderung unserer Zeit. Sie greift in alle Lebensbereiche und fordert gesamtgesellschaftliche Strategien. Dazu müssen Perspektiven aus verschiedenen Bereichen gehört werden. Utopia hat deshalb dieselben fünf Fragen fünf Expert:innen gestellt. Das sind ihre Antworten.
Wie wollen wir als Gesellschaft angesichts der voranschreitenden Erderwärmung leben? Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Vielmehr müssen unterschiedliche Ansichten integriert werden, um der Klimakrise gesamtgesellschaftlich zu begegnen. Utopia macht mit seinem Format 5 Fragen – 5 Expert:innen den Anfang, wenngleich es noch vieler weiterer Stimmen bedarf: Fünf Menschen aus der Zukunftsforschung, Psychotherapie, Politik, dem Aktivismus und der Migrationsforschung schildern darin ihre Sichtweisen rund um die Klimakrise.
Im fünften und letzten Teil der Serie antwortet Dr. Benjamin Schraven. Er ist Migrationsforscher, Berater und Associate Fellow des German Institute of Development and Sustainability (IDOS). Die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Migration sowie globalen Migrationstrends sind seine Schwerpunktthemen. Zu den Herausforderungen der „Klimamigration“ hat er unter anderem die Internationale Organisation für Migration (IOM) sowie die Europäische Kommission beraten. Jüngst erschien sein Buch „‚Klimamigration‘ – Wie die globale Erwärmung Flucht und Migration verursacht“.
Utopia: Herr Schraven, die Meldungen zu Hitze-Rekorden, Sturzfluten, Dürren – kurzum Extremwetterereignissen – überschlagen sich in letzter Zeit. Wenn das der neue Normalzustand wird: Wie müssen wir damit umgehen?
Benjamin Schraven: Auch wenn einige Stimmen immer noch sagen werden „So was hat’s früher doch schon gegeben“, müssen wir erkennen, dass das nicht stimmt. Die Klimakrise ist da und sie wird nicht wieder verschwinden. Wir können eher davon ausgehen, dass die Auswirkungen der globalen Erwärmung immer heftiger werden.
Trotzdem sollten wir versuchen, diese Extreme nicht fatalistisch als das „neue Normal“ hinzunehmen. Die Klimakrise ist eine große Herausforderung. Neben künstlicher Intelligenz, geopolitischen Veränderungen, Migration oder generell demographischen Trends sind die Erderwärmung und ihre Folgen sicherlich die größte Herausforderung der Menschheit im 21. Jahrhundert. Wir müssen daher versuchen nicht nur den Klimaschutz, sondern auch Maßnahmen der Anpassung an die Folgen der Klimakrise massiv voranzutreiben. Im Englischen beschreibt es das Wort „Climate Action“ ganz gut. Dieser Begriff umfasst alle Maßnahmen, die darauf abzielen, Treibhausgase zu reduzieren und/oder die Resilienz gegenüber dem Klimawandel zu erhöhen.
Arbeitsmigration etwa kann eine Maßnahme sein, die Menschen resilienter macht. Viele Menschen im globalen Süden, die zum Beispiel in ländlichen Gebieten unter den Folgen der Klimakrise leiden, machen das heute schon so: Sie migrieren – meistes ohne ihre Familien und innerhalb ihrer eigenen Länder – mit der Absicht, für eine gewisse Zeit in größeren Städten oder der kommerziellen Landwirtschaft zu arbeiten und dort Geld zu verdienen. Dann kehren Sie zurück. Das verdiente Geld wird dann nicht zuletzt dazu genutzt, um klimabedingte Verluste (z. B. Ernteeinbußen) oder Schäden (z. B. an Gebäuden) zu kompensieren. Idealerweise kann das so verdiente Geld genutzt werden, um die wirtschaftliche Basis des Haushaltes „klimafester“ zu machen – etwa weg vom Regenfeldbau und hin zu einem nicht-landwirtschaftlichen Kleinunternehmen.
„Noch können wir das Schlimmste verhindern“
Stichwort lebenswerte Zukunft für nachfolgende Generationen: Manche Menschen zweifeln angesichts der Klimakrise an der Sinnhaftigkeit, überhaupt noch Kinder zu bekommen. Ist das nachvollziehbar und was würden Sie ihnen sagen?
Es ist zu früh, die Apokalypse auszurufen. Noch können wir gegensteuern und das Schlimmste verhindern – auch wenn wir die Konsequenzen der Erderwärmung schon heute sehr zu spüren bekommen. Aus Sicht der Konflikt- und Migrationsforschung müssen wir mit Blick auf eine mögliche Zunahme an bewaffneten Konflikten und Fluchtmigration festhalten, dass es hier keine simplen Automatismen gibt. Mit anderen Worten: Ein massives Anwachsen von Kriegen um knapper werdende Ressourcen sowie Fluchtmigration aufgrund von Klimafolgen ist grundsätzlich vermeidbar. Sowohl Konflikte als auch Flucht bzw. Migration haben vielfältige Ursachen. Selbst in heute schon stark vom Klimawandel betroffenen Ländern und Regionen sind es nahezu immer auch wirtschaftliche, politische oder soziale Faktoren, die Kriege oder Migration stark beeinflussen. Das bedeutet, dass funktionierende staatliche Institutionen, lokale Anpassungsstrategien und ein gutes Ressourcenmanagement zum Beispiel wichtige Mittel sein können, um Konflikte zu verhindern oder sie zumindest zu mindern.
Keine andere Aktivist:innen-Gruppe polarisiert momentan so sehr wie die Letzte Generation. Sie stößt auf Zustimmung, aber auch auf breites Unverständnis. Ist die gesellschaftliche Mehrheit, die einen derartigen Klima-Protest bislang meidet, nicht empört genug? Sollte sie mehr Widerstand zeigen – und wenn ja, wie?
Viele Menschen haben angesichts von Preissteigerungen, hohen Energiekosten usw. primär erstmal andere Sorgen als die Klimakrise. Das muss man akzeptieren. Das heißt andererseits aber nicht, dass ein Großteil der Menschen sich keine Gedanken, geschweige denn Sorgen aufgrund der Folgen des Klimawandels macht. Eine aktuelle Umfrage, die im Auftrag des Bundesumweltamtes durchgeführt wurde, zeigt ja, dass die überwältigende Mehrheit der Menschen in Deutschland großen Handlungsbedarf beim Thema Klima sieht.
Viele Menschen sorgen sich aber darum, dass Maßnahmen des Klimaschutzes nicht angemessen sozial abgefedert werden. Und wenn die Menschen den Eindruck haben, dass vor allem die Normalverdienenden den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft hin zur Klimaneutralität stemmen müssen, nicht so sehr aber die wirtschaftlich und finanziell Privilegierten, dann ist das natürlich fatal. Das zeigt die Notwendigkeit, dass Ökologie und Soziales immer zusammen gedacht werden müssen. Von daher sollten mehr Menschen mehr Widerstand zeigen, aber nicht nur nach dem Motto „Für mehr Klimaschutz“, sondern gemäß der Parole „Für mehr sozial gerechten Klimaschutz“.
„Auch in Europa werden Menschen aufgrund der Klimakrise ihre Heimat verlassen“
Was sollte uns angesichts der klimatischen Bedingungen die kommenden Jahre am meisten Sorgen machen – und was gibt uns Hoffnung?
Die Auswirkungen der Klimakrise bedrohen die menschliche Sicherheit weltweit. Es gibt, wie bereits erwähnt, keine Automatismen. Die Folgen der Erderwärmung erhöhen nichtsdestotrotz die Gefahr von lokalen Konflikten, Fluchtmigration oder Nahrungsmittelkrisen. Dies ist dann vor allem für Länder und Regionen gefährlich, die ohnehin schon von Instabilität betroffen oder bedroht sind. Europa muss nicht mit einem gigantischen Zustrom von zig Millionen „Klimaflüchtlingen“ aus dem globalen Süden rechnen. Das ist eher unrealistisch, denn die Hauptbetroffenen der Klimakrise sind vor allem ärmere Bevölkerungsgruppen wie kleinbäuerliche Familien oder städtische Arme.
Diese Menschen haben nicht die Mittel, um etwa von Ostafrika aus in Richtung Europa zu migrieren. Flucht und Migration im Kontext des Klimawandels spielen sich vor allem innerhalb der betroffenen Länder und Regionen ab.
Das bedeutet aber, dass wir uns darauf einstellen müssen, dass auch Menschen innerhalb Europas aufgrund der Klimakrise ihre Heimat verlassen werden müssen. Das wird nicht auf einen Schlag passieren und wird auch nicht innerhalb der nächsten wenigen Jahre schon zu einem gigantischen Problem werden. Aber viele europäische Küstengebiete etwa sind vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht. In Europa müssen wir beginnen, uns Gedanken zu machen, wie wir diese Herausforderung angehen wollen. Hoffnung macht, dass ein Großteil der Menschen die Dimension der Klimakrise begriffen hat. Klimaschutz und Nachhaltigkeit werden für viele Menschen und einen Großteil der Wirtschaft immer wichtiger. Das ist schon mal was.
Wenn Sie einen konkreten Klima-Wunsch an die Bundesregierung frei hätten: welcher wäre das?
Ich würde diesen Wunsch wie folgt formulieren: Bitte sorgt immer für größtmögliche Kohärenz zwischen Klima-, Sozial- und zum Beispiel auch der Zuwanderungspolitik – und spielt diese Politikbereiche sowie die entsprechenden Maßnahmen nicht gegeneinander aus. Die Kohärenz zwischen Ökologie und Sozialem wurde bereits erwähnt. Aber auch Migrations- bzw. Zuwanderungspolitik und „Climate Action“ müssen zusammen gedacht werden.
Der Fachkräftemangel unter dem Deutschland und andere Länder zunehmend leiden, betrifft nicht nur Einzelhandel oder Gastronomie. Auch gerade die wirtschaftlichen Sektoren, auf die es beim Klimaschutz und der Anpassung an den Klimawandel ankommt – Energiewirtschaft, Bauwirtschaft, Landwirtschaft (um nur einige zu nennen) – brauchen dringend Fachkräfte mit den entsprechenden Kenntnissen und Fähigkeiten, um die notwendigen Transformationen vorantreiben zu können. Das wird ohne eine gut geplante und fair ausgestaltete Zuwanderung nicht funktionieren.
Die anderen Teile der Serie 5 Fragen – 5 Expert:innen finden sich hier
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